Zeitloser Appell für Humanität

Ein griechisches Mysterienspiel in der Felsenreitschule

Die selten gezeigte Oper „The Greek Passion“ plädiert im heurigen Salzburger Festspielsommer für Humanität in einer von Eigennutz und Kälte geprägten Welt und bezieht sich damit auf gegenwärtige Geschehnisse. Eine Neuproduktion mit junger Starbesetzung: Die amerikanische Sopranistin Sara Jakubiak mimt die verwitwete Dorfhure Katerina, der junge französische Dirigent Maxime Pascal steht am Pult der Wiener Philharmoniker, der australisch-schweizerische Theaterregisseur Simon Stone inszeniert.

Sara Jakubiak

Geschichte wiederholt sich und bietet damit zeitlosen Stoff für die große Opernbühne. So kam es vor rund 100 Jahren im Anschluss an den 1. Weltkrieg zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Königreich Griechenland und dem anatolischen Teil des zerschlagenen Osmanischen Reiches. Während dieses Griechisch-Türkischen Krieges ist die Handlung der Oper „The Greek Passion“ angesiedelt, deren Hintergrund die Migrationswellen und ethischen Säuberungen bilden. Bohuslav Martinůs „Griechische Passion“ wird im August erstmalig bei den Salzburger Festspielen zur Aufführung gebracht und legt damit auch den Finger in die Wunden unserer Zeit: Flucht, Vertreibung und der Hass auf alles Fremde. Damals, in den Jahren 1919-22, gab es zwar weder Asylanträge, Aufnahmezentren oder Abschiebeverfahren – Bezugspunkte zu gegenwärtigen Geschehnissen und das humanitäre Schicksal von Flüchtlingen sind jedoch unverkennbar.

Allegorie der Passion Christi

Die Handlung der Oper spielt im wohlhabenden griechischen Dorf Lykovrissi, wo die Bewohner gerade das Osterfest feiern. Der Priester Grigoris wählt für ein im nächsten Jahr geplantes Passionsspiel frühzeitig seine Darsteller aus, darunter den Schafhirten Manolios als Christus und die junge Witwe und Dorfprostituierte Katerina als Maria Magdalena. Kurz darauf kommt eine Gruppe von entkräfteten, hungrigen Flüchtlingen im Dorf an und bittet um Asyl und bebaubares Land. Die Bewohner sind gespalten. Während sich die eine Gruppe für Hilfsbereitschaft und Empathie einsetzt (allen voran der Hirte Manolios), wird ihnen vom Dorfpriester und seinen autoritätsgläubigen Anhängern jede Hilfe verweigert – schnell zieht sich ein Riss durch die Gesellschaft.

Die Darsteller des Mysterienspiels identifizieren sich indessen immer mehr mit ihren Rollen, sehen das Leben Christi als vorbildhaft an und werden sich stärker ihrer Verantwortung für die Armen bewusst. Diese bäuerliche Allegorie auf die Passion Christi gipfelt darin, dass Manolios vom Priester Grigoris von der Dorfgemeinschaft ausgestoßen wird, da der Hirte wiederholt für die Flüchtlinge Partei ergreift und immer mehr Anhänger um sich schart. Es entwickelt sich eine tragische Eigendynamik: Manolios ruft die Flüchtlinge zu einem physischen Kampf auf, um sich mit Gewalt zu holen, was man ihnen verwehrt. Auf ein Zeichen vom Priester stürzt sich der Judas-Darsteller Panait auf Manolios und ersticht ihn. So wiederholt sich die Passion Christi auf dramatische Weise – bloß an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit und mit anderen Protagonisten.

Schicksal eines Flüchtlings

Das Libretto stammt vom Komponisten Bohuslav Martinů selbst und basiert auf dem 1948 geschriebenen Roman „Der wiedergekreuzigte Christus“ des griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis, der vor allem durch die spätere Verfilmung seines Romans „Alexis Sorbas“, mit Antony Quinn in der Hauptrolle, Bekanntheit erlangte. Martinů schrieb „The Greek Passion“ als seine 14. und letzte Oper 1956, die Uraufführung des Werkes fand in seiner Zweitfassung 1961 im Stadttheater Zürich statt, zwei Jahre nach dem Tod von Bohuslav Martinů. Obwohl das Werk selten aufgeführt wird, zählt es zu den wichtigsten geistlichen Opern des 20. Jahrhunderts. Auch in Salzburg wird die vieraktive Oper erstmalig bei den Festspielen zu sehen sein.

Simon Stone

Maxime Pascal

„… in den aggressivsten Momenten fühlen wir, wie sonniges, helles Licht die Musik durchdringt.“

Maxime Pascal über die Harmonien in „The Greek Passion“

Was den Komponisten mit dem Werk verbindet, ist, dass auch er seiner Heimat beraubt wurde, nachdem Paris von den Nazis besetzt wurde und er 1941 in die USA emigrieren musste. Geboren wurde Martinů 1890 im böhmisch-mährischen Grenzland, 1923 ging er nach Paris, wo er sich mit der französischen Musik in ihrer Klarheit, Ordnung und Balance vertraut machte und in Kontakt mit Igor Strawinsky und dem Jazz kam. In den 1930er Jahren wurde sein kompositorisches Schaffen vom Neoklassizismus beeinflusst. Martinůs Kompositionen weisen ein starkes musikalisches Erbe auf, indem er tschechisch gefärbte Rhythmen und Melodien sowie böhmische Weisen in sein Schaffen einfließen lässt.

Generationenwechsel

Intendant Markus Hinterhäuser verantwortet die Oper einem jungen Team und setzt damit auf eine neue Generation: Simon Stone führt Regie und kehrt nach seinen eindrucksvollen Inszenierungen von Reimanns „Lear“ (2017) und Cherubinis „Médée“ (2019) zu den Salzburger Festspielen zurück. Stone wurde 1984 in Basel geboren, studierte am Victorian College of the Arts in Melbourne und arbeitete in den darauffolgenden Jahren als Regisseur, Autor und Schauspieler in Australien. 2011 wurde er Hausregisseur am Belvoir St Theatre in Sydney. Auch an europäischen Theater- und Opernhäusern erarbeitete Stone in den letzten Jahren zahlreiche Produktionen, die mehrfach mit dem Nestroy-Theaterpreis ausgezeichnet wurden.

Seit der 1985 geborene Maxime Pascal im Jahr 2014 als erster Franzose den Nestlé and Salzburg Festival Young Conductors Award gewann, trat er bereits mehrfach bei den Salzburger Festspielen auf, zuletzt mit einer konzertanten Aufführung von Wolfgang Rihms „Jakob Lenz“. In diesem Festspielsommer dirigiert er erstmals eine szenische Opernproduktion bei den Salzburger Festspielen und steht damit erstmals am Pult der Wiener Philharmoniker. „Das ist ein Traum, der wahr wird. Ich bin äußerst dankbar, dass Markus Hinterhäuser mir die Möglichkeit eröffnet hat“, erzählt Pascal bei einem Interview und sieht seine Aufgabe darin, „das Publikum genau das hören zu lassen, was die Intention von Martinů und Kazantzakis war.“

Absolutes Klangerlebnis

Von der „Griechischen Passion“ existieren zwei Versionen, in Salzburg kommt heuer die sogenannte „Zürcher Fassung“ zur Aufführung, nicht jedoch in der deutschen Übersetzung, sondern im englischen Original. „Die Zürcher Fassung ist stringenter und wirkungsvoller, die Geschichte wird geradliniger erzählt, und die Farben und das „Parfum“ der Partitur sind darin konzentrierter“, führt der junge Maestro Maxime Pascal aus. Er gliedert den Chor in zwei Gruppen: jene der Dorfbewohner, die auf der Bühne sesshaft ist und jene der Flüchtlinge, die aus der Ferne ankommt und im Verlauf der Handlung beweglich bleibt, um sich am Schluss der Oper wieder zu entfernen. Um die Wirkung des Chors noch zu verstärken, kommt der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor hinzu, der als Symbol für die neuen Wurzeln der Flüchtlinge steht.

Salzburg-Debüt für Jakubiak

Auf der Bühne der Felsenreitschule entführt uns Sara Jakubiak in die Welt der jungen Witwe Katerina, der beim geplanten Passionsspiel die Rolle der Maria Magdalena zuteilwird. Es handelt sich um ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen. Die amerikanische Sopranistin ist polnischer und deutscher Abstammung und kommt ursprünglich aus Bay City, Michigan. Nach ihrem Gesangsstudium an der Yale University und am Cleveland Institute of Music, wagt sie den Schritt über den großen Teich. Ihre internationale Karriere beginnt sie 2013 mit dem Europadebüt an der English National Opera als Marie in „Wozzeck“. Daran schließen zwischen 2014 und 2018 große Erfolge an der Oper Frankfurt an (u.a. als Tatiana in „Eugen Onegin“ und Freia in „Das Rheingold“). Spätestens seit ihrer Eva an der Seite von Jonas Kaufmann in den Münchner „Meistersingern“ im Mai 2016 und ihrem Triumph an der Deutschen Oper Berlin in Christoph Loys Inszenierung von „Das Wunder der Heliane“ 2018 zählt sie zu den gefragtesten Sopranstimmen in Europa. Mit ihrer farbenreichen, wandelbaren Stimme und ihrer ausdrucksstarken Bühnenpräsenz begeistert sie regelmäßig ihr Publikum, außerdem beherrscht sie ein großes Repertoire.

Oper zu singen ist für Sara Jakubiak wie Sport, sie trainiert ihre Rollen mit Gesangsübungen und Fitnessstudio. Als ehemalige Star-Softballspielerin, die an Turnieren in den gesamten Vereinigten Staaten teilnahm und dabei zwei Staatsmeisterschaften gewann, ist dieser Vergleich nicht verwunderlich.

Zuletzt war Sara Jakubiak im Mai/Juni in der Titelrolle in „Francesca da Rimini“ an der Deutschen Oper Berlin zu bewundern. Nach ihrem Debüt in der „Griechischen Passion“ diesen Sommer in Salzburg übernimmt Jakubiak Rollen in „Die Frau ohne Schatten“ (R. Strauss) an der Opéra de Lyon im Oktober, „Elektra“ (R. Strauss) am Royal Opera House in London im Jänner 2024 und in Wagners „Die Walküre“ in Dallas/USA ab Mai 2024.

THE GREEK PASSION

Oper in vier Akten (uraufgeführt 1961)
Bohuslav Martinů (1890–1959)
Neuinszenierung
4 Vorstellungen: 13./18./22./27. August
Felsenreitschule

„Jenen, die in großem Glauben der allumfassenden Liebe entgegenschreiten, wird der Weg von denen versperrt, die sich weigern, von der Selbstsucht abzulassen.“

Martinů über den Handlungskern der „Griechischen Passion“

Text: Doris Thallinger

Fotos: Adobe Stock, Guillaume de Sardes, Reinhard Werner, Ashley Plate, Curtis Brown

2023-08-01T10:25:46+02:00

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