Gesundheitsfaktor Schlaf
Schlaf ist heutzutage eine der am meisten unterschätzten Tätigkeiten, wenn es um unsere Gesundheit geht. Immer mehr Studien belegen, wie wichtig eine ausreichende und erholsame Nachtruhe ist, während unsere moderne Gesellschaft immer schlechter schläft.
Text: Dominic Schafflinger
Fotos: Adobe Stock, Frederick M. Brown/Getty Images, Dr. Michael Leitner/auvidi.at
Je weniger man schläft, desto kürzer ist das Leben“, erklärt Matthew Walker in seinem 2018 erschienenen Kompendium „Das große Buch vom Schlaf“. Der Neurowissenschaftler und Psychologe forscht seit über 20 Jahren zu dem Thema, inzwischen an der Universität von Berkeley in Kalifornien. Seit Jahren schlafen die Industrienationen nicht nur kürzer, sondern auch schlechter. Österreich ist hier keine Ausnahme, wie der renommierte Salzburger Schlafforscher Manuel Schabus weiß: „46 Prozent der Österreicher berichten über Ein- oder Durchschlafprobleme. Nur mehr 31 Prozent bezeichnen sich als gute Schläfer und auch Kinder und Jugendliche sind immer mehr davon betroffen.“ Gesunder Schlaf ist kein Luxus – er ist eine Notwendigkeit, um gesund und leistungsfähig zu bleiben.
Die Schlafqualität in Österreich hat sich in den letzten Jahren stetig verschlechtert. Als Gründe nennt Manuel Schabus Pandemie, Ukraine Krieg, Inflation und Klimakrise: „Wir sind seit 4 Jahren permanent im Krisenmodus und diese Unsicherheit nehmen wir mit ins Bett, vor allem Kinder und Jugendliche.“ Fast die Hälfte der Bevölkerung berichtet von Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen. Schlafmediziner empfehlen Erwachsenen sieben bis neun Stunden pro Nacht zu schlafen, doch die Realität sieht anders aus: Die Hälfte der Österreicher schläft weniger als sieben Stunden. Das Erste, was man für einen gesunden Schlaf tun kann, ist also, mehr davon zu sich zu nehmen. Da sich der Arbeitsbeginn oft nicht verschieben lässt, heißt das, konsequent früher ins Bett zu gehen. „Ob man genug Schlaf bekommt, lässt sich einfach dadurch herausfinden, ob man am Wochenende gleich viele Stunden wie an Arbeitstagen schläft. Wer hier mehr zusammenbringt, leidet am sogenannten Social Jetlag, bei dem der Körper den versäumten Schlaf am Wochenende nachholt“, verrät Manuel Schabus. Zu viel Schlaf können wir kaum bekommen, denn auch wer neun Stunden und mehr schläft, wird davon nicht krank. Zwar gibt es Studien, die genau das nahelegen, doch Matthew Walker weiß, dass es sich bei Menschen, die extrem viel schlafen, meist um chronisch Kranke handelt, die ebendiese Studien oft verfälschen.
Im Schlaf repariert und regeneriert unser Körper sich selbst, während unser Gehirn die Erlebnisse des Vortages verarbeitet. In der ersten Nachthälfte gibt es viele Tiefschlafphasen, in denen beschädigte Zellen repariert und die Immunabwehr gestärkt wird. In der zweiten Nachthälfte passiert dann die Informationsverarbeitung, in der Erinnerungen konsolidiert und dauerhaft gespeichert werden. Wenn Kinder in Albträumen vor Monstern oder Spinnen davonlaufen, trainiert das Gehirn beispielsweise Überlebensinstinkte. „Auch wenn das heute nicht mehr so wichtig ist, so ist der Traum eine perfekte Simulation, um uns neue Verhaltensweisen anzueignen. Über Probleme zu schlafen, ist somit evolutionär sinnvoll und hilft, intuitiv Dinge zu erfassen“, so Manuel Schabus.
Auch wenn wir im Schlaf das Gefühl haben, zu fallen oder im Sumpf stecken zu bleiben, werden wir Zeuge eines weiteren faszinierenden Prozesses im Körper. „Während wir uns im REM-Schlaf befinden, ist die Gehirnaktivität fast wie im Wachzustand, jedoch reduziert der Körper den Muskeltonus, damit wir uns selbst und andere nicht gefährden. Will das Gehirn dann die Beine bewegen und schafft es nicht, legt es diese Erfahrung im Traum als Sumpf oder zeitlupenartige Bewegung aus“, erklärt Schlafexperte Schabus: „All das sind völlig natürliche und gesunde Phänomene, doch sobald der Schlaf gestört wird, kann dieses Programm nicht mehr ungestört durchlaufen, und es kommt zu Problemen.“
Insomnie, also Schlaflosigkeit, betrifft viele Menschen. Sie äußert sich durch Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen, frühzeitiges Erwachen oder nicht erholsamen Schlaf. Viele Betroffene nehmen jedoch keine professionelle Hilfe in Anspruch und versuchen, ihre Schlafprobleme selbst zu lösen – oft mit Hausmitteln, Alkohol oder Melatonin. Auch rezeptpflichtige Schlafmittel sind weder eine gesunde noch nachhaltige Lösung, denn laut vieler Studien, die Matthew Walker in seinem Buch vorstellt, ist das Sterberisiko schon bei 18 Tabletten im Jahr 3,6-mal höher als bei Menschen, die keine Schlafmittel zu sich nehmen.
Manuel Schabus hat die Erfahrung gemacht, dass Insomnie-Patienten in Schlaflaboren oft einen ähnlichen Schlaf haben wie gesunde Menschen: „Das verdeutlicht, dass es sich um ein subjektives Krankheitsbild handelt. Die nachweisbaren Auswirkungen von Insomnie, wie schlechte Konzentration, Gereiztheit oder andauernde Müdigkeit, lassen sich aber objektiv diagnostizieren.“ Treten Schlaflosigkeit und Symptome mindestens dreimal pro Woche über einen ganzen Monat auf, sollte ein Arzt konsultiert werden. Insomnie fällt in die Kompetenz von speziell auf Schlafprobleme ausgebildeten Psychologen und Psychotherapeuten. Mit der sogenannten kognitiven Verhaltenstherapie bei Insomnie oder CBT-I werden dem Patienten effektive Techniken an die Hand gegeben, mit denen schlechte Schlafgewohnheiten abgelegt werden können. Schlafprobleme können auch in Verbindung mit Depressionen auftreten, wobei sich bei der Behandlung von Insomnie oft auch depressive Symptome verbessern und umgekehrt.
Prof. Dr. Matthew Walker forscht an der University of California, Berkeley und ist Direktor des dortigen Schlaflabors.
12 Tipps für einen gesunden Schlaf
Von Matthew Walker:
1. Halten Sie regelmäßige Schlaf- und Aufstehzeiten ein, auch am Wochenende.
2. Treiben Sie täglich Sport, aber nicht innerhalb von zwei bis drei Stunden vor dem Schlafengehen.
3. Vermeiden Sie Koffein und Nikotin, da Koffein bis zu acht Stunden wirkt.
4. Trinken Sie vor dem Schlafengehen maximal ein Glas Alkohol.
5. Vermeiden Sie schwere Mahlzeiten am späten Abend.
6. Verzichten Sie abends auf schlafstörende Medikamente oder besprechen Sie alternative Einnahmezeiten mit Ihrem Arzt.
7. Machen Sie nach 15 Uhr keine Nickerchen mehr.
8. Entspannen Sie sich vor dem Schlafengehen mit einem Ritual wie einem Bodyscan, Musik oder einem Buch.
9. Nehmen Sie ein heißes Bad vor dem Zubettgehen.
10. Schlafen Sie in völliger Dunkelheit, in einem kühlen, geräuschlosen Raum ohne digitale Geräte, und in einem bequemen Bett.
11. Verbringen Sie täglich mindestens 30 Minuten im Sonnenlicht.
12. Bleiben Sie nicht länger als 20 Minuten wach im Bett. Stehen Sie auf und tun Sie etwas Entspannendes, wenn Sie nicht schlafen können.
Während Insomnie im Schlaflabor schwerer zu diagnostizieren ist, ist bei Schlafapnoe eine Untersuchung im Schlaflabor unabdingbar. Wenig gefährlich ist die obstruktive Apnoe, die kurzzeitig den Rachen verschließt und sich in lautem Schnarchen äußern kann. Oft ist der Grund hierfür Fettleibigkeit, Alkoholkonsum oder einfach nur chronisches Rückenschlafen. „Meist hilft es, sich einen Tennisball auf den Rücken zu binden. So schläft man nicht mehr rücklings und der Rachen bleibt offen“, rät Manuel Schabus. Auch der Verzicht auf Alkohol oder Gewichtsreduktion sind einfache Heilmethoden. Die zentrale Schlafapnoe ist jedoch eine ernsthafte Schlafstörung, bei der der Brustkorb im Schlaf keinen Atemimpuls mehr bekommt. Nach 30 Sekunden schlägt das Gehirn Alarm und der Tiefschlaf wird unterbrochen, damit wieder eingeatmet werden kann. Neben den typischen Anzeichen von Insomnie, die dieser nächtliche Überlebenskampf mit sich bringt, kann der regelmäßige Sauerstoffmangel das Gehirn schädigen und muss daher unbedingt behandelt werden. Nach der Insomnie ist die Apnoe die zweithäufigste Schlafstörung, verrät Autor Matthew Walker. Wesentlich seltener ist die Parasomnie oder Schlafterror. Der Betroffene wacht hier nachts mit einem Schrei auf, spricht im Schlaf oder knirscht mit den Zähnen. Klinische Schlaflabore sind auch hier in der Lage, eine genaue Diagnose zu stellen.
„Wer zu wenig schläft, wird dumm, dick und krank“, fasst Forscher Schabus zusammen. Bei Schlafmangel geraten Leptin und Ghrelin durcheinander, jene Hormone, die für die Hungerregulierung zuständig sind. Somit liegt auch der Umkehrschluss nahe: Wer viel schläft, nimmt leichter ab und verringert zusätzlich sein Diabetes-Risiko. Chronische Apnoe vervierfacht das Schlaganfallrisiko und verdreifacht das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Schlechte Schläfer leiden öfter an Angst und Depression, verbuchen doppelt so viele Arztbesuche, erbringen eine verminderte Arbeitsleistung und produzieren sieben Mal so häufig Arbeitsunfälle wie Ausgeschlafene. Wer eine Nacht nicht schläft, hat, laut Neurologe Walker, 400 Prozent mehr Konzentrationsaussetzer als ein Ausgeschlafener. Besonders gefährdet sind Menschen, die in Schichtarbeit tätig sind, da diese oft unregelmäßige Schlafmuster haben.
Es gibt viele Möglichkeiten, die Schlafqualität zu verbessern. Ein Schlaftagebuch kann helfen, Muster und Probleme zu erkennen. 20 bis 30 Minuten vor dem Einschlafen sollte man alle Bildschirme ausschalten, und Achtsamkeitsübungen bereiten den Körper auf eine geruhsame Nacht vor. Am wichtigsten ist,
jeden Abend aufs Neue zu entspannen, zu entschleunigen und zu genießen.
Gesunder Schlaf für Kinder
Kinder brauchen deutlich mehr Schlaf als Erwachsene. Schulkinder benötigen etwa zehn Stunden Schlaf, Teenager sogar noch mehr. Eltern sollten daher feste Schlafenszeiten festlegen und dafür sorgen, dass abends keine Bildschirme mehr genutzt werden. Eine angenehme Schlafatmosphäre ist besonders wichtig –
mit kuscheliger Bettwäsche, gedämpftem Licht und einer gemütlichen Kuschelecke.