Unerwartete Geschmacksymphonien

Foodpairing ist ein faszinierendes Konzept, um Langeweile am Teller entgegenzuwirken, selbst kreativ zu werden und trotzdem gut voraussagen zu können, welche Zutaten miteinander harmonieren. Es ist eine Einladung zu mehr Neugierde in der Küche.

 

„Wissen ist Macht, aber nur durch Ausprobieren wird Kochen zu einer Kunst“, erklärt Küchenchef Andreas Senn gleich als Erstes. Durch die Kenntnis der Aromastoffe und Geschmackskomponenten, die den Charakter von Speisen und Getränken prägen, entsteht eine völlig neue Herangehensweise ans Kochen, mit der es gelingt, seine Gäste kontinuierlich zu verblüffen. Für das nötige Wissen sorgt im Foodpairing die Biochemie, welche die Zutaten auf molekularer Ebene betrachtet und für jede Zutat komplexe Aromaprofile erstellt. Anhand dieser Profile lassen sich ansprechende und gleichzeitig völlig neue Zutatenkombinationen erschaffen. Da Foodpairing trockene Wissenschaft und subjektiven Genuss verbindet, haben wir uns neben der knallharten sachlichen Recherche mit Andreas Senn noch einen der besten Köche Salzburgs an die Seite geholt und die wichtigsten Fakten in ein spannendes 4-Gänge-Menü inkl. Getränkeempfehlung gepackt.

Vorspeise – Kiwître

Die Geschichte des Foodpairings beginnt damit, dass der belgische Chefkoch Sang Hoon Degeimbre, der 2016 auch im Hangar 7 gastkochte, sich die Frage stellte, warum Kiwi nach Meer schmeckt. Biochemiker Bernard Lahousse fand die Antwort darauf in Aldehyden, speziellen Molekülen, die einen meerartigen Duft verbreiten. So entstand das erste Foodpairing Gericht, die Kiwître. Hier vereinigen sich die Meeresaromen von Auster und Kiwi zu einer wahren Geschmacksexplosion.

Alle fünf Geschmacksrichtungen sollten in jedes Gericht im richtigen Verhältnis einfließen. Fisch und Meeresfrüchte verfügen beispielsweise über eine leichte Süße, hinzu kommen Salz und die Säure von Zitrusfrüchten, um das Geschmacksspektrum abzurunden. Mit dem gezielten Einsatz der Geschmacksrichtungen können Gerichte subtil ausbalanciert werden. Salz hebt Bitterkeit auf und eine Prise Zucker verstärkt Umami Geschmack und das Essen schmeckt herzhafter.

Andreas Senns Basis für Kokoscreme

Kokosmilch, Ingwer, Zitronengras und Kaffir-Limettenblätter köcheln lassen und abschmecken. Feste Bestandteile entnehmen, aufschäumen und über die Kiwître drapieren. Anstatt der Austern kann auch Sashimi (rohe Fischfilets) verwendet werden.

Zwischengang – Rote Rüben Carpaccio mit Maracuja und Walnüssen

Rote Rüben enthalten neben Geosmin auch nach Pfirsich und Ananas duftende Lactone. Die Knolle versprüht einen blumigen Rosenduft, ähnlich dem von Äpfeln und Pyrazine, die für den erdigen dumpfen Geschmack verantwortlich sind. All die genannten Früchte ergänzen die Rote Beete hervorragend und als Kontrast zur erdigen Geschmacksnote empfiehlt sich die Säure von Zitrusfrüchten. Für Küchenchef Senn sind Rote Rüben eine hochflexible Zutat: „Roh schmeckt sie erdig, gekocht wird sie süß und als Chips frittiert erhält man wunderbare Röstnoten, so gibt es kaum ein Gericht, in das man Rote Rüben nicht integrieren kann.“

Falls die Kids keine Roten Rüben mögen, können sie es mit Flavor-Flavor Learning versuchen. Das bedeutet, sie kombinieren den ungeliebten Geschmack mit zwei Zutaten, die die Kids lieben. Schon lernt das Gehirn auch die Freude an Roten Rüben. Der Salat aus Rote Beete, Maracuja und karamellisierten Walnüssen ist eine ungewöhnliche Kombination, die durch ihre Aromenvielfalt besticht.

Geosmin ist ein Geruchsmolekül, das nur in verschwindend geringen Mengen vorkommen muss, um wahrgenommen zu werden. Wenige Milligramm auf 1000 Tonnen reichen aus, um unsere Geruchsrezeptoren zu stimulieren. Geosmin ist für den Duft nach Erde, Regen und frisch gepflügten Äckern verantwortlich. Mit etwas Säure lässt sich Geosmin einfach aufspalten und das Aroma dadurch abschwächen.

Hauptgericht – Schweinemedaillons in Schokoladensauce

Die mexikanische Küche verwendet auch in Hauptgerichten gerne Schokolade. Die sogenannte Mole Negro de Oaxaca ist ein traditionelles und zugleich hochkomplexes Rezept. Ein einfacheres Foodpairing Experiment ist es, einfach dem heimischen Schweinsbraten ein paar Kakaobohnen mit in die Sauce zu legen. Die nussige Bitterkeit der Kakaobohnen passt hervorragend zu leicht süßlichem Fleisch. Andreas Senn entlockt auf diese
Weise seinem Secreto vom Iberico Schwein unglaublich viele neue Aromakombinationen. Diese machen den Genuss erst aus, denn während der Mensch nur in der Lage ist, die fünf Geschmacksrichtungen sauer, salzig, bitter, süß und umami (herzhaft, würzig) zu schmecken, können die 400 Rezeptoren der Nase weit mehr als 10.000 unterschiedliche Gerüche wahrnehmen. „Die Aromen, von denen wir glauben, sie zu schmecken, riechen wir eigentlich”, weiß Sternekoch Senn.

Beilagen Tipp aus Senn’s Restaurant:

Frischen Mais vom Feld entsaften, den Saft aufkochen und abschmecken. Durch die Stärke wird er dick wie Püree. Man erhält den puren, intensiven Maisgeschmack. Achtung, geht nur mit frischem Mais.

Dessert – Gurke, Erdbeere und weiße Schokolade

Gurken sind botanisch betrachtet Früchte, auch deshalb bietet sich die Gurke wunderbar für Desserts an. Das Aromaprofil von Gurken besteht hauptsächlich aus zwei Aldehyden, deren Reaktion mit der Luft den typischen Gurkengeruch erzeugt. Das Geschmacksprofil der Gurke ist hauptsächlich grün und grasig. Hier überschneidet es sich mit dem Geschmack der Erdbeere, wobei diese noch eine starke fruchtige Aromakomponente aufweist, die die Gurke angenehm kontrastiert. Weiße Schokolade fügt der Mischung noch milchig-nussige und karamellartige Noten hinzu, was die Kombination zu einem ganz besonderen Erlebnis macht.

Getränkebegleitung – Tomatenwasser Tonic mit Sellerie und Limetten

Während das Fruchtfleisch von Paradeisern ein frisches Aroma hat, stecken fettige Umami-Aromen direkt unter der Haut und in den Kernen. Für Tomatenwasser verwendet man meist die ganze Frucht. Es ist eine tolle Möglichkeit, eine sogenannte Geschmacksillusion bei seinen Gästen hervorzurufen, denn die klare, wasserähnliche Flüssigkeit schmeckt wie Tomatensaft. Die Tomaten werden leicht aufgemixt und mit Salz, Pfeffer und eventuell Essig abgeschmeckt. Nun lässt man die klare Flüssigkeit durch ein Passiertuch oder einen Kaffeefilter langsam abtropfen. Mit Tonic aufspritzen, eventuell noch einen Schuss Vodka hinzufügen und eine Selleriestange dazu reichen. Die übriggebliebenen Tomatenreste verarbeitet man zu Tomatensauce.

„Trauen Sie sich viel auszuprobieren, oft gibt es Aromakombinationen, von denen man glaubt, es passt nicht, aber am Ende kommt etwas richtig Geniales dabei heraus.”

Buchempfehlung:
Für alle, die tiefer in die Welt der Aromen eintauchen möchten, gibt es Lesestoff von den Entwicklern des Foodpairing-Konzeptes.

Die Kunst des Foodpairing
Erschienen im ZS Verlag
Erscheinungsjahr 2020
ISBN 978-17847-2-290-6

Text: Dominic Schafflinger, Fotos: Adobe Stock, iStock, Dominic Schafflinger, Senn’s Restaurant, Florian Mitterer, Lukas Jahn

2023-08-03T12:18:02+02:00

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