Weinfrühling
Wenn die ersten jungen Weine des Jahres erhältlich sind und die Weinberge wieder zum Leben erwachen, dann ist er da: der Weinfrühling und damit die Zeit, die Weinernte des Vorjahres zu feiern.
Text: Doris Thallinger
Fotos: Adobe Stock, Urs Kuckertz
Der Weinfrühling ist eine Zeit des Aufbruchs und der Erneuerung in der Welt des Weins, in der Winzer und Weinliebhaber gleichermaßen die Ankunft der neuen Jahrgänge feiern. Diese Jahreszeit markiert den Beginn eines neuen Zyklus im Weinanbau, in dem die Reben nach der Ruheperiode des Winters wieder zum Leben erwachen. Die ersten zarten Blätter sprießen, die Knospen brechen auf und die Weinberge erstrahlen in frischem Grün. Doch der Weinfrühling ist mehr als nur ein naturbedingtes Phänomen – er ist die Zeit der Verkostungen! So versammeln sich Winzer, Weinliebhaber und Neugierige aus aller Welt, um die neuesten Jahrgänge zu probieren und zelebrieren: Die Weinlese des vergangenen Jahres wird nun in den Kellern zu edlen Tropfen ausgebaut und die Weingüter öffnen ihre Türen den Besuchern, die sich auf eine sensorische Reise durch die Welt des Weins begeben möchten.
Der neue Jahrgang
„Man sagt, 2023 sei leichtfüßig und elegant. Allerdings ist es immer schwierig, einen Jahrgang zu verallgemeinern“, erklärt Rakhshan Zhouleh, Chefsommelier im St. Peter Stiftskulinarium. Der mehrfach ausgezeichnete Spitzensommelier hat sich vor mehr als 35 Jahren seiner Leidenschaft rund um Wein und Aromen verschrieben und seine Expertise ist international gefragt. „Man kann nicht sagen, 2023 sei ein gutes, ein schlechtes oder ein Jahr der Mittelklasse. Man muss gezielt nach den einzelnen Rebsorten gehen. Generell jedoch war 2023 eine Herausforderung für viele Winzer – diejenigen, die darauf vorbereitet waren und entsprechend reagiert haben, konnten tolle Weine hervorbringen. Insofern ist 2023 durchaus ein attraktiver Jahrgang.“ Denn ein jedes Jahr hat seinen Charakter, der im Wein bleibt – ganz unabhängig von Herkunft und Machart.
Eine Wissenschaft für sich
Bevor ein Wein bzw. ein Jahrgang überhaupt verkostet wird, ist für Rakhshan Zhouleh eine Menge an Vor-Recherchen selbstverständlich: Anhand seiner übers Jahr erstellten Skizzen und Notizen verschafft er sich einen Überblick über die jeweiligen Perioden einer Region, über Witterung und Umwelteinflüsse – noch unabhängig von Weingut und Rebsorte. „Ich muss genau wissen, was wann passiert ist, diese Infos bekomme ich zum Teil direkt von den Winzern oder von den Weininstituten. Erst, wenn ich das entsprechende Vorwissen gesammelt habe, probiere ich die Weine“, erklärt der Weinkenner: „Als Sommelier muss man immer am Ball bleiben und sich jedes Jahr über Neuigkeiten und Veränderungen informieren, welche Winzer etwas in ihrer Machart verändert haben, wie sie sich an Veränderungen wie zum Beispiel den Klimawandel anpassen.“
Er selbst probiert im Jahr an die 4.000 unterschiedlichen Weine, aktuell, um die – ohnehin sehr umfangreiche und exquisite – Weinkarte des St. Peter Stiftskulinarium zu erweitern, bzw. zu aktualisieren. „Jedes Jahr kommen 200 neue Weine dazu, dafür werden 200 andere Weine aus der Karte gestrichen. Insgesamt umfasst die Weinkarte rund 800 Weine.“
Gekostet wird der neue Jahrgang, der derzeit meist noch im Fass bzw. Stahltank reift. „Diese Weine sind noch nicht fertig, aber man kann bereits erkennen, welcher Wein wachsen wird, welchen Wein man auf der Karte haben möchte. Junge Weine, wie nun der Jahrgang 2023, seien grundsätzlich schwer zu beurteilen: „Oft braucht der Wein noch Zeit, um seinen wahren Charakter zu entwickeln.“
Den Charakter der einzelnen Weine erklärt Rakhshan Zhouleh wie die Entwicklung innerhalb einer Familie: „Zunächst sind sich die Jahrgänge noch ähnlich, dann aber wächst jeder Wein anders in der Flasche. Der Charakter ist eine Komposition aus verschiedenen Elementen: der Handschrift der Natur, der Handschrift der Rebsorte(n) und der Handschrift des Winzers. Diese drei Parameter verleihen dem Wein sein Gesicht und seinen Charakter.“ Drei Jahrgänge desselben Weins, vom selben Weingut, derselben Lage können sich erkennbar voneinander unterscheiden.
„Manche Jahrgänge sind wilder, ungezähmter als andere – wie bei einem Tier muss man dann wissen, wie man damit umgeht: zum Beispiel, indem man ihn mit der richtigen Speise kombiniert – dann erst zeigt er sein wahres Gesicht.“
Als Beispiel führt er den Blaufränkisch „Mariental“ von Ernst Triebaumer an: „Von diesem Top-Wein haben wir im St. Peter Stiftskulinarium teilweise 15 Jahrgänge im Weinkeller. Wenn ein Gast diesen Wein bestellt, weiß ich stets, wie das Wetter im betreffenden Jahr war, wie er schmeckt. Dennoch probiere ich vorher IMMER, welcher Jahrgang am besten zur jeweiligen Speise passt. Ich weiß, wie er schmecken muss – und erhalte durch das Kosten die Bestätigung darüber, was in diesem Jahr in der Natur passiert ist oder was der Winzer anders gemacht hat.“
Die Stimmung eines Sommerabends
„Vergleichbar wie bei einem Parfum, gibt es Weine, die besser zum Sommer und zu lauen Sommerabenden passen“, erklärt Rakhshan Zhouleh: „Wenn die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit nach oben gehen, wähle ich aromatischere Trauben aus, Rebsorten, die dem Wein Vitalität geben.“ Beispiele für diese Aromarebsorten sind unter anderem Gelber Muskateller, Sauvignon Blanc, Weißburgunder oder Gewürztraminer. Als Aperitif empfiehlt der Profi gerne auch Sekt, der aus diesen Elementen besteht, wie beispielsweise die „Prickelnde Liebe“ von Stefan Lang (Neckenmarkt, Mittelburgenland), ein Frizzante aus Sauvignon Blanc und Gelber Muskateller.
„Leichtfüßig muss der Wein sein!“, schwärmt Rakhshan, „das trifft im Sommer auch auf Rotweine zu: Ein Pinot Noir mit seinen Erdbeer- und Kirscharomen passt wunderbar zu einem Sommerabend, idealerweise leicht gekühlt bei 16 °C, ebenso wie einige Merlots mit Kakao-Kirschnote.“
Empfehlungen für einen gelungenen Sommerabend mit den neuen Jahrgängen:
Günstige Preisklasse:
Weingut Matthias Hirtzberger Wösendorf in der Wachau:
Grüner Veltliner Steinfeder, Lage Stab
Grüner Veltliner Federspiel, Lage Treu
Schloss Gobelsburg, Kamptal:
Riesling Urgestein
Riesling Gaisberg (etwas kräftiger)
Mittlere Preisklasse:
Bio-Weingut Pollerhof, Röschitz im Weinviertel:
Grüner Veltliner „Frau Mayer“
Schloss Maissau am Manhartsberg, Weinviertel:
Grüner Veltliner Lage Neuberg-Schanz
Grüner Veltliner Quittengang (kräftig, geschmeidig, cremig)
Weingut Ecker Eckhof, Kirchberg am Wagram:
BIO Roter Veltliner, Ried Steinberg
Gehobene Preisklasse:
Weingut Martin Muthenthaler, Elsarn am Jauerling, Wachau:
Grüner Veltliner Ried Brandstatt
Weingut Franz Hirtzberger, Spitz, Wachau:
Grüner Veltliner Smaragd Ried Honivogl
Riesling Smaragd Ried Singerriedel
Weingut F.X. Pichler, Oberloiben, Wachau:
Grüner Veltliner Smaragd Unendlich
Riesling Smaragd Dürnsteiner Kellerberg
Weingut Willi Bründlmayer, Langenlois, Kamptal:
Riesling Heiligenstein LYRA
Weingut Nikolaihof, Mautern, Wachau:
Riesling Vinothek
(Demeter)