Hardcoresport Ultracycling

An der Grenze der Leistungsfähigkeit

Beim Ultracycling legen Radfahrer extrem lange Strecken von mehreren hundert- oder sogar tausend Kilometern zurück. Schlafmangel und totale Erschöpfung gehören für die Teilnehmer zum Rennalltag.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Radrennen, bei denen es oft um Geschwindigkeit und Sprintfahrten geht, steht im Ultracycling die Ausdauer und das Bewältigen extrem großer Entfernungen im Vordergrund. Viele Rennen werden nach dem Nonstop-Prinzip gefahren. Hier gibt es keine Tagesabschnitte, nach deren Erreichen die Fahrer verschnaufen könnten. Die Uhr läuft ab dem Start durch bis zum Finish, und das oft tagelang! Das führt dazu, dass sich die Athleten in der Regel nur ein bis zwei Stunden Schlaf gönnen, bevor sie wieder in den Sattel steigen. Ultracycling ist ein extremer Sport, der selbst die härtesten Radsportler an ihre Grenzen führt. Es erfordert eine ausgezeichnete körperliche Fitness, mentale Stärke und eine sorgfältige Planung. Hier geht es nicht um gemütliches Radeln und Genießen der Umgebung – es geht um Schweiß, Schmerz und die pure Ausdauer.

„Am Vormittag, wenn du noch frisch bist, nimmst du viel von der beeindruckenden Landschaft mit, am Nachmittag kommt dann der Tunnelblick und es geht nur mehr ums Treten. Abends fallen dir am Rad die Augen zu und du führst Selbstgespräche, um nicht einzuschlafen.“ Dominik Meierhofer

Dominik Meierhofer, Team Mia4

Geboren: 12.07.1994
Beruf: Reisemobiltechniker im Autohaus Wenger
Hobbies: Essen, Wohnmobil Reisen
Team Mia4: Ursprünglich bestand das Team aus drei Familienmitgliedern und Dominik, inzwischen sind bis zu 8 Betreuer mit dabei. Hinzu kommt noch Dominiks Trainer Thomas. 
Größte Erfolge:

2019: Sieg beim Race Around Austria 1.500km 
2021: Sieg beim 24h Virtual World Time Trail Championships (WM) am Heimtrainer
2022: 3.Platz beim Race Around Austria Extreme mit 2.200km

Nächste Ziele: 2024 Race Across America (RAAM)

Die gnadenlosen Strecken

Österreich, mit seinen majestätischen Alpen und hügeligen Landschaften, bietet Ultracyclisten einige der anspruchsvollsten Herausforderungen weltweit. Die Bergpässe, darunter der Großglockner und das Timmelsjoch, sind Legenden unter den Extremsportlern. Die steilen Anstiege und kurvenreichen Abfahrten erfordern absolute Konzentration und körperliche Höchstleistungen. Hier gibt es keine Zeit, die Aussicht zu bewundern, denn man kämpft gegen die Uhr und die eigenen Grenzen. „Du findest in Europa nichts, was so lang bergauf geht wie der Glockner von Heiligenblut. Die Herausforderung ist, dass man nie weiß, ob man tags oder nachts am Glockner ankommt. Wenn du deine letzte Schlafpause vor 20 Stunden hattest und total ausgepowert Heiligenblut erreichst und dann noch die ganze Nacht über den Glockner vor dir hast, dann fordert dich das bis zum Letzten“, so Dominik Meierhofer. Der Salzburger ist inzwischen ein wettkampferfahrener Fahrer, der sein ganzes Leben nach den Wettbewerben ausrichtet. Profis gibt es in diesem Sport keine, jeder geht daneben noch einem Brotberuf nach, trotzdem kann er sich der Faszination nicht entziehen, erzählt der 28-Jährige: „Das ist wie eine Sucht. Der Moment, wenn du total fertig bist und gar nicht mehr aufs Rad willst und du trotzdem weiterfährst. Oft geht es dir ziemlich dreckig, aber du gibst einfach nicht auf.“ Die Faszination besteht zum einen aus der Herausforderung des durchgängigen Fahrens, zum anderen aus dem Langstreckenerlebnis. „Am Vormittag, wenn du noch frisch bist, nimmst du viel von der beeindruckenden Landschaft mit, am Nachmittag kommt dann der Tunnelblick und es geht nur mehr ums Treten. Abends fallen dir am Rad die Augen zu und du führst Selbstgespräche, um nicht einzuschlafen. Es ist der totale Kampf mit dir selbst“, fasst Dominik seine Erfahrungen zusammen.

Die unbeugsame Mentalität

Ultracycling ist ein Sport, der nicht nur körperliche, sondern auch mentale Stärke erfordert. Die Ultracyclisten müssen sich auf unvorhersehbare Wetterbedingungen, Schlafentzug und schier endlose Kilometer einstellen. Das Durchhaltevermögen und der eiserne Wille, trotz der Erschöpfung weiterzufahren, sind entscheidend für den Erfolg.

In den ersten Rennen geben Newcomer oft innerhalb der ersten 24 Stunden auf. Wenn den Fahrer die erste Erschöpfung übermannt, wirken die noch kommenden Kilometer und Tage so respekteinflößend und erdrückend, dass es unmöglich erscheint, ans Ziel zu kommen. Mit jedem Rennen lernt man aber langsam, mit dem inneren Schweinehund umzugehen, ist sich Dominik sicher: „Man muss das Rennen als Belohnung sehen. Man hat den ganzen Winter wie ein Verrückter trainiert und jetzt geht’s  darum zu zeigen, was man kann. Das gibt mir die Kraft. Um 3 Uhr früh kommt dann oft auch noch Wut dazu, dann beißt man durch.“

Die lange Belastung nahe der Leistungsgrenze ohne wirkliche Pause ist aber auch eine mentale Herausforderung. Psychisch pendeln die Fahrer oft zwischen dem Verhalten eines Kleinkindes und eines Superhelden. „Wenn man richtig am Ende ist, bettelt man das Team an, dass man in den Versorgungswagen darf, ein bisschen später geht’s dann wieder besser und du glaubst, du bist unsterblich.“ Die Herausforderung für das meist ehrenamtliche Betreuerteam besteht dann darin, zu unterstützen und genau abzuschätzen, wann wirklich eine Gefährdung für den Fahrer vorhanden ist. Die Betreuer, die immer über Funk verbunden sind, müssen wissen, wann der Fahrer aufgebaut und motiviert werden muss, wann man ihm etwas verwehrt und wann harte Worte angebracht sind.

Die Hingabe zur Sportart

Der Großteil der Ultracyceling Community ist in Europa und den USA beheimatet, weswegen die Rennen auch meistens dort stattfinden. Vor allem die Ultracycling-Community in Österreich wächst kontinuierlich. Gleichgesinnte teilen gemeinsam ihre Leidenschaft, Erfahrungen und Erkenntnisse, um sich gegenseitig zu unterstützen und zu motivieren. Profis gibt es aber keine, Dominik Meierhofer zum Beispiel ist Mechaniker beim Autohaus Wenger in Kuchl – in Vollzeit. Einige sind in Vereinen engagiert und fahren im Team, andere wie Dominik sind aber Einzelkämpfer, die nur eine Handvoll Freunde und Familie im Hintergrund haben. Die Startgebühren bei den Rennen sind oft hoch. Zirka 1000 Euro kostet die Teilnahme beim Race Around Austria. Dazu kommen noch mindestens drei Profifahrräder: „Ich arbeite mit einem Zeitfahrrad für flache Strecken, einem Rennrad, wenn es bergauf geht und ein Reserverad, falls etwas kaputt geht. Der Kostenpunkt dafür liegt bei ca. 30.000 Euro. Ich habe das Glück, dass Michi‘s Radladen aus Kuchl die Bikes sponsert, sonst ginge das nicht. Auch andere lokale Firmen tragen etwas bei. Aber für den Race Across America reicht das leider noch nicht“, so Dominik.

Die Ultracycling-Disziplinen:

Langstreckenrennen: Hierbei handelt es sich um Radrennen, bei denen die Teilnehmer oft mehrere Tage oder Wochen unterwegs sind. Beispiele sind das Race Across America (RAAM), das sich über rund 5000 Kilometer erstreckt und der Race around Austria mit insgesamt 2200 Kilometern und einer Höhendifferenz von 30.000 Metern.

24-Stunden-Rennen: Bei diesen Veranstaltungen versuchen die Fahrer, so viele Kilometer wie möglich innerhalb eines Zeitraums von 24 Stunden zurückzulegen. Der Klassiker ist hier das Rennen am Nürburgring.

Bikepacking: Beim Bikepacking handelt es sich um das Radfahren über lange Strecken. Es ist eine Kombination aus Radfahren und Abenteuerreisen. Die gesamte Ausrüstung muss dabei selbst befördert werden und es darf keinerlei Unterstützung von einem Team geben. Ob man campt oder Hotels bucht, ist den Teilnehmern überlassen. Ein Paradebeispiel ist das 3939 Kilometer lange Transcontinental von Belgien nach Griechenland.

Auf dem Weg zum Race Across America

Um seinen Traum wahr werden zu lassen und beim Rennen quer durch die Vereinigten Staaten antreten zu können, benötigt Dominik noch Sponsoren. Es müssen ein großer Campingbus und zwei Pace Cars angemietet werden, Flüge und Versorgung für das 10-köpfige Team bezahlt werden. Zusätzlich benötigt der Semiprofi einen Arzt sowie einen Physiotherapeuten, die permanent vor Ort sind. „Das Rennen geht durch 50 Grad heiße Wüsten und in den Rocky Mountains ist man auf über 3000 Metern unterwegs, wenn da was passiert, benötigt man sofort ärztliche Betreuung und ohne Physio geht es sowieso nicht“, weiß Dominik und ergänzt: „Nur wenn wir die Finanzierung auf die Beine stellen können, kann ich auch wirklich antreten. Ich freue mich über jeden, der mich unterstützen möchte.“

Ultracycling ist zweifellos ein Sport der Extreme. Sportler wie Dominik Meierhofer stellen sich der gnadenlosen Landschaft und ihren eigenen inneren Dämonen. Für sie geht es nicht nur um das Genießen der Umgebung, sondern darum, sich selbst zu überwinden und sportliche Höchstleistungen zu erbringen. Dabei muss es nicht gleich ins Ausland gehen, denn Ultracycling in Österreich ist für diejenigen, die den ultimativen sportlichen Kick suchen schon eine ungemeine Herausforderung auf Weltklasseniveau.

Text: Dominic Schafflinger

Fotos: Anze Furlan / psgt productions, Team Mia4, www.facebook.com/RAAMraces

2023-11-17T12:41:53+01:00

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