„Man muss
ein wenig
besessen sein“
40 Jahre Galerie Eboran
Ein durchschnittlich stattlicher Mann, der in dieser Geschichte nur ein Statist sein soll, betritt eine Parfümerie, dort kauft er ohne zu zögern jenen klassischen Herrenduft, zu dem er schon seit frühester Jugend greift. Das Neue, Unbekannte ist ihm ein Graus, das Gewohnte seine Leidenschaft. Auf Umwegen lenkte seine stoische Duftwahl schnell den Fokus auf den Lavendel, der mehr oder weniger modellhaft als Archetypus der Duft- und Heilpflanze herhalten muss. Er verspricht allen das Seelenheil, schützt gegen Hexerei, ist Insekten- und Mottenschutz, und beruhigt das Gemüt – zumindest sagt man so…
All das und nicht weniger geschieht auf traditionell österreichische Weise, natürlich im Kaffeehaus. Dass sich dieses in Hallein befindet, soll hier nur insoweit von Bedeutung sein, weil sich neben ebendiesem auch eine Parfümerie befindet, aus der just im kreativen Moment obiger, der Kaffeehausrunde wohlbekannter Freund und Zwetschkenröster heraustritt, dessen Geschichte eingangs erwähnt wurde. Ebenfalls bedeutungsschwanger ist die Tatsache, dass menschengroße Playmobilfiguren in direkter Nachbarschaft des Kaffeehauses am Eingang eines, wie sollte es anders sein, Spielwarengeschäfts Wache halten. Dass diese Kaffeehausrunde aus den Künstlern Wagner, Brauneis und Schwaighofer sowie Eboran-Kreativist Joe Wagner besteht, führt die Geschichte dann, nach gedanklichen Umwegen, schicksalsgleich in die Galerie Eboran und zu deren September Ausstellung „Teaser Lavendel“.
Lavendel als Lösung für einfach alles?
In jener Ausstellung steht der Lavendel als Planta Universalis für all die Duft- und Heilpflanzen der Welt. Und ebenso wie der Lavendel allegorisch als das universale Heilmittel auftritt, so steht einem das Playmobilmännchen als die größte und dabei übrigens völligst vergessene, ebenfalls in diesem Kontext allegorische Minderheit gegenüber. 22 Milliarden weilen in den Kinderzimmern dieser Welt unter uns und erinnern daran, dass eine Minderheit nicht durch die Größe der Gruppe definiert werden muss. Gegen jede Mehrheit dominieren Minderheiten aber immer wieder den Diskurs, zum Guten oder Schlechten. Verführerisch ist sie, die Minderheit: Während der Pandemie waren es jene, die um die Verschwörung wussten. In den Marketing-Büros dieser Welt verführen uns Minderheiten von geschäftstüchtigen Verkaufsexperten heute zu Kinderschokolade, damals zu Zigaretten. Dabei sehen die Werbeträger aus wie eben jene Plastikmännchen, mal ein blonder Junge, mal ein einsamer Cowboy. Was ist verführerischer als die Alltagsgestalten der Playmobilgesellschaft? So verführen die Menschen, die Minderheiten, der Lavendel. Doch was wäre, wenn eben dieser Lavendel nicht die Verführung, sondern die Lösung des Problems, nämlich des gesamtgesellschaftlichen, wäre. Vielleicht braucht es auch Verführung, um dieses zu lösen oder auch eine pseudowissenschaftliche Herangehensweise. Und weil niemand Gesichertes weiß, sollte eingehend darüber nachgedacht werden.
Bildkombinat Bellevue – Peter Brauneis und Joe Wagner
Nicht unbedingt, aber vielleicht doch sollte man auch einmal darüber nachdenken, wie das weibliche Pendant zum Playmobilmännchen genannt wird – vielleicht Playmate? Hätten wir das gern? Oder wollen wir die Playmobilfiguren eh lieber als divers betrachten? Wer jetzt Ärger oder Verwunderung in sich aufkommen spürt, der kommt der Galerie auf emotionaler Ebene schon näher. Denn eines war Eboran schon immer – Provokation. Auch wenn diese inzwischen erwachsen geworden ist. Aber was heißt das?
Erwachsenwerden ist Reife, nicht Stillstand. Out of the box, aber bitte mit Stil, man ist schließlich 40 geworden! Es ist ein bisschen weniger Geheimniskrämerei und inzwischen etabliert. Um revolutionär und mutig zu sein, muss man nicht schmuddeln, beziehungsweise nicht mehr, früher vielleicht ein bisschen, manchmal aber trotzdem und dabei immer auf die Sache fokussiert, niemals proletenhaft, sondern immer mit der Eloquenz des Artisten. So zeigt es die folgende eher zufällig erstellte Rückschau in der Form von Geschichten.
„Kunst ist immer auch Provokation. Aber egal, was man macht, es darf nie ordinär sein, sondern immer mit Stil.“
Joe Wagner
Anonyme Augenverführungen
Vor ungefähr 40 Jahren ist die Galeriegründerin noch zahnärztliche Assistentin. Fleißig, verlässlich, doch schon immer ist Veronika Hitzl etwas mehr den schönen Dingen zugetan als den Leiden der großen bzw. kleinen zahnärztlichen Welt. Was ihrem Auge ganz und gar keine Freude bereitet, sind die hässlichen Flecken an der Wand, die ihr Chef im Wartezimmer als Bilder deklariert. Lösungsorientiert arrangiert sie eine Umbestückung, weg vom Fleck und hin zum Kunstwerk, am besten von Mozarteum Studenten. Diese dürfen aber zu dem Zeitpunkt, unter Androhung eines prompten Fluges aus den ehrwürdigen Universitätshallen, nicht offiziell ausstellen, trotzdem tun sie es dann, aber anonym. So kamen auch die Bilder eines jungen, damals gleichermaßen unbekannten wie unbenannten Mannes, den wir heute als Robert Schaberl kennen, in die zahnärztlichen Aufenthaltsräume. Gleich darauf aber sofort verkauft, bis aufs letzte Bild. Als Zahnarzt Narobe in Pension geht, kommt auch der Name zur Welt – das Palindrom Eboran. So ist sie 1984 geboren, die Galerie der anonymen Augenverführungen, der erste Schritt in den Untergrund, und doch noch immer auf dem Boden der Seriosität, denn ernstzunehmender als beim Doktor kann es eigentlich nicht zugehen – doch nicht mehr lange!
Text: Dominic Schafflinger
Bilder: Eboran, Wolfgang Schweighofer
Underground und Sommerfrische
1992 werden neue Räume gesucht. Denn die Bewohner des die Zahnarztpraxis beherbergenden Gebäudes wollen keine Galerie, schließlich blockieren Besucher den einzig vorhandenen Aufzug und überhaupt sollte man sich vor zu viel Aufregung in Acht nehmen, sind sich die anscheinend kunstunverständigen Bewohner sicher. Vielleicht liegt es aber nicht am Kunstverständnis, sondern daran, dass Veronika Hitzl für ihre Ausstellungen regelmäßig den Dachboden sowie die Waschküche in Beschlag nimmt. In dieser müssen Kunstkritiker schon mal die feuchten Pumphosen beiseiteschieben, um überhaupt erst an die Kunstwerke, zum Beispiel von Barbara Höller, zu kommen. Letztendlich findet sich aber der durchaus kunstverständige Herr Kommerzialrat Schwendemann, der der verzweifelten Neugaleristin Hitzl Räumlichkeiten anbietet, nicht gegen Miete, sondern im Austausch gegen Kunstwerke. Auf 350 Quadratmetern sind die zwar groß, aber trotzdem das Gegenteil von seriös. Denn die Reifenhallen gleich nebenan vom Elmokino verfügen über einen eher ursprünglich urbanen Charme und das junge Galeristenteam erfindet sich neu, mit Partys, jungen Bands, Tänzern und Performancekünstlern. Da das Klo von einem eben jenen solchen gerade mit einem Vorschlaghammer zerstört wurde, macht man bei einer der Partys mit dem benachbarten türkischen Lokal einen Deal. Eine Tänzerin tanzt nach ihrem Auftritt im Eboran dort weiter und die Eboran-Gäste dürfen dafür das stille Örtchen des türkischen Restaurants mitbenutzen. Kein Menschenhandel, sondern alles freiwillig – versprochen und verjährt. Mit der Hilfe von Dr. Barbara Wally kommt 1992 die Sommerakademie in die Eboran-Galerie und bleibt dort 22 Jahre, ziemlich genau bis zum nächsten Umzug. Und auch große Namen kündigen sich vermehrt bei Eboran an. Ortner & Ortner (heute O&O Baukunst), Lauren Ewing, Schabus oder Irina Nakhova, die bald darauf auf der Biennale in Venedig ausstellt, sind nur einige der illustren Gäste. Junge Künstler und bekannte Größen, von denen viele selbst das erste Mal in der Eboran-Galerie ausgestellt haben, erschaffen ein Netzwerk, das immer wieder neue aufregende Ausstellungen möglich macht. Trotzdem bleibt Eboran ein Unikat. Als Stargast Andreas von Weizsäcker anreist, verspricht man ihm Hirschragout mit Knödeln. Doch ein Stromausfall vereitelt fast die hehren Pläne. Doch Eboran ist nicht Eboran, wenn es nicht auch gegen die Windmühlen des Schicksals anritte wie einst Don Quijote. So wird der Gaskocher einfach draußen aufgestellt. Knödel wie Ragout entstehen quasi direkt am Bürgersteig vor der Galerie. Und der Weizsäcker? – Durchaus überrascht, aber voll des Lobes über Essen, Kunst und Galeristin Hitzl.
Irgendwann geht der Kommerzialrat Schwendemann in Pension, und weiß vielleicht auch nicht mehr so recht wohin mit seinen Kunstwerken, auf jeden Fall muss aus den Reifenhallen ausgezogen werden, aber vis-à-vis ist schon ein Dartclub samt Keller leer, praktisch mit kleiner Bar zum Kino-Aperitif. Täglich verraten die Zigarettenstummel vor dem Schaufenster die ungefähre Anzahl der stillen Beobachter des Galerietreibens und plötzlich steht eines Abends der damals noch unbescholtene Heinz Schaden vor der Tür und kündigt der Galerie Eboran seine Unterstützung an, die die Veronika Hitzl, im Moment noch charmant dankend ein bisschen vor sich herschiebt. Vielleicht weil sie ahnt, dass sie die irgendwann noch dringender brauchen wird.
„Ich wollte immer junge Künstler unterstützen und eine Plattform für ihre Werke bieten. Das ist inzwischen wie eine Sucht für mich geworden, man muss ein wenig besessen sein!“
Veronika Hitzl
Agent Provocateur
Es folgt nach ein paar Jahren der Umzug in die Polizeiwachstube am ehemaligen Gaswerkgelände in Lehen. Das rot-weiß-rote Schild bleibt, die Aufschrift „Polizei“ wird durch Eboran getauscht, macht aber nix, denn wer in Lehen einen Strafzettel erhält, kommt trotzdem, kann diesen zwar nicht bezahlen, aber bleibt aufgrund der exzessiven Bilderwelten. Drinnen findet sich 90er-Jahre-Beamtenstubencharme inklusive Ausnüchterungszelle, die bei Festlichkeiten dann auch oft belegt ist, allerdings unverschlossen bleibt. Bei den 20-Jahr-Feierlichkeiten arrangiert man, passend zum Lokal, falsche Polizisten, die mit Blaulicht daher gebraust kommen, sofort die verdutzten Gäste befragen und den einen oder anderen in die Zelle direkt vor Ort abführen. Grundsätzlich war das auch schon damals verboten und wird erst so richtig skurril, als dann wirklich die echte Polizei vor der Türe steht, weil Künstler Kai Kuss vor dem Haus eine Sprengung, rein künstlerischer Natur, durchführt, die laut, rumpelnd und trotzdem ebenso illegal ist wie die falsche Polizei, die nun im Stiegenhaus versteckt werden muss, um den langen Arm des Gesetzes nicht noch mehr zu erbosen. Provokation ist damals Eboran, und Eboran ist Provokation.
Bei einigen macht sich allerdings trotz allen Schabernacks das Gefühl breit, dass es ein bisschen bergab geht, andere genießen die beengte Nähe zu den Kunstwerken, und als die Räumlichkeiten 2012 abgerissen werden sollen, geht erstmals das große Beten um sich, man könnte gar glauben, die Galerie würde sich nun endgültig zum tiefen Glauben hinwenden und ihre revolutionäre Gesinnung zugunsten frommer Anständigkeit an den Nagel hängen, doch wer Eboran und die Hitzl kennt, der weiß, dass der liebe Gott auch so schon etwas für sie überhat, und so passiert dann das Wunder von Lehen.
IHS 38
IHS, allgemein bekannt für Jesus, Heiland, Seligmacher (lateinisch, weil das ist auch wichtig: Iesus Hominum Salvator) verspricht auch im Fall von Eboran Erlösung, allerdings eine völlig andere als jene, die sich die ersten Kirchenväter erhofften. In Verbindung mit der schicksalsschwangeren Nummer 38 lässt sich die künstlerische Losung bis heute auf die aktuelle Postanschrift in der Ignaz-Harrer-Straße 38 anwenden, in der Eboran letztendlich unterkommt. Zum Auszug aus der Polizeiwache nun kommt es so, dass Veronika Hitzl nicht zum Heiland, sondern zum Schaden, also zum amtierenden Bürgermeister geht und dieser nun ausreichende finanzielle Hilfe für die nun doch schon gereifte Eboran verspricht. Auf der Suche nach Räumlichkeiten kommt man im Restaurant Tokio Bay mit Besitzer Ooi ins Gespräch über die hohen Quadratmeterpreise vor Ort, und der vermittelt, mit den prophetischen Worten: „Geh gar nit. Kommen Sie in einer Woche wieder, ich spreche mit Die Salzburg“ – das kleine Wunder mit dem Bauträger. Bald darauf zieht Eboran in den zweiten Stock des neu errichteten Gebäudes in der IHS 38. Man ist und bleibt nun angekommen, seit 12 Jahren bis heute. Edel, international und gepflegt, aber leider seit 2013 ohne Sommerakademie, dafür mit viel Musik. Jiddischer Klezmer, jazzige Volksmusik oder Brass mischen sich mit Provokationen wie dem nackten Flitzer am Balkon bei der Ausstellung Land Art oder alten, umfunktionierten Zigarettenautomaten und aktuell eben mit Teaser Lavendel. Hier schließt sich die Geschichte zum ewiglichen Kreis aus junger Kunst und internationalen Ausstellenden. Von mehr oder weniger dezenter Provokation und gewachsenem Stil. Das Einzige, was bei Eboran niemals endet, ist so etwas wie gelöstes Nachdenken über die Kunst, die Gesellschaft und das Leben an sich. Das Renommee der Galerie geht von ihren jungen Künstlern wie bekannten Größen aus. Trotz einer guten Prise Ironie und Humor ist sie nach wie vor und auch in Zukunft einer der ernstzunehmenden Kunst(t)räume Salzburgs.