„Jugendkultur ist lästig für die Politik“

Eigentlich ist Markus Rauchmann Wiener, eigentlich ist er Marketing- und Kommunikationsexperte, eigentlich ist er auch zu alt, um noch viel mit Jugendkultur zu tun zu haben. Aber ganz uneigentlich ist dieser Markus Rauchmann ein ewig Junger, einer der es sich zum Ziel gesetzt hat, der Jugendkultur in Salzburg auf die Sprünge zu helfen.

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Markus Rauchmann

Markus Rauchmann ist kein Schreibtischtäter, man trifft ihn als Truckfahrer bei der Unite Parade oder mit einer Kabeltrommel in der Hand beim Bühnenaufbau fürs 5020 Festival. Kaum einer weiß mehr über Salzburgs Jugendkultur als Markus, er organisierte von 2015 bis 2022 das TAKE THE A-TRAIN MUSIC-FESTIVAL im Bahnhofsviertel und ist seit 2022 Hauptorganisator des 5020 Festivals, bestens vernetzt in der jungen Szene Salzburgs kämpft er für ein „wylderes Salzburg“.

Markus, du könntest mit deiner Zeit auch Werbekampagnen internationaler Konzerne betreuen, trotzdem stehst du hier und kämpfst für deine Festivals. Es ist eine Aufgabe voller Stress und bürokratischem Aufwand. Warum das Ganze?

Ich bin Meidlinger, ein Vorstadtkind aus Wien. Mich hat das Stadt-Milieu immer fasziniert, die Bahnhofsgegend und alle Grätzln, wo es problematisch ist und ein bissal weh tut. Wo die Leute wenig Geld haben und Migration ein Thema ist, da herrscht eine spezielle Stimmung. Der spannendste Teil einer Stadt ist da, wo nicht alles nach Plan läuft, wo Dinge einfach passieren. So entstand ‚Take The A-Train‘ vor neun Jahren. Auch das 5020 Festival schlägt in diese Kerbe, denn die Jugend ist in Salzburg eine vernachlässigte Subkultur.

Und das, obwohl du der Jugend ja schon entwachsen bist…

Ich habe drei Kinder, einer davon ist Musiker, einer studiert in Wien. Meine Tochter ist noch in Salzburg. Alle zieht es aber nach Wien, nach dem Motto: Ich mache die Schule fertig und bin weg. Es fehlt einfach an Möglichkeiten für eine junge Subkultur. Ich lebe seit dreißig Jahren hier und habe feststellen müssen, dass auf die Jugend und das Studentische komplett vergessen wird. Gerade im Sommer geht es nur um Hochkultur. Da wird immer kolportiert, dass die Jungen eh nicht hier sind und der Großteil der Studenten nach Hause fährt, aber das stimmt nicht. Bei der letztjährigen Premiere des 5020 Festivals hatten wir 42.000 Besucher. Es musste nur eine Plattform geschaffen werden, um der Jugend ein Stück von dem zu geben, was sie braucht: einmalige Erlebnisse, Rückzugsräume, Niederschwelligkeit abseits von Konsumationszwängen und das Wissen, dass sie willkommen ist, auch wenn am Residenzplatz gerade der Tod nach dem Jedermann schreit.

Nun sprichst du in Zusammenhang mit Jugendkultur viel von Festivals. Ist ein Festival der ultimative Ausdruck heutiger Jugendkultur?

Ja und Nein. Ein Festival setzt ein Zeichen, es macht etwas sichtbar, und zwar in der Mitte des öffentlichen Raumes. Die Salzburger Festspiele tragen die klassische Musikkultur weit über unsere Grenzen hinaus und ein Jugendkulturfestival macht sichtbar, wie die Jugend heute leben möchte. Welche Möglichkeiten hat man heute als junger Mensch in der Stadt, um Spaß zu haben und ein Stück Freiheit zu fühlen? Eine Hand voll Clubs, wo man Eintritt zahlen und etwas konsumieren muss, während man von öffentlichen Orten wie dem Salzachufer oder den Parks abends verjagt wird, sind keine wirkliche Lösung.

Was versteht man eigentlich unter Jugendkultur?

Jugendkultur ist ein bisschen Rebellion. Es ist das Hinterfragen unserer erwachsenen Strukturen und das sollte man unterstützen. Die Jugend ist interessiert und nachdenklich, aber es ist ihr wichtig, dass etwas auf ihrer Wellenlänge präsentiert wird, nicht von oben herab, sondern aus ihren eigenen Reihen, manchmal schräg, aber immer offen für alle. Es geht viel um Diversity, Nachhaltigkeit und Technologie. Die Jugend will gehört werden, mal laut sein und ganz demokratisch öffentliche Räume nutzen. Musik ist omnipräsent. Aber was die jungen Leute vor allem wollen, ist ihre Ruhe vor uns Alten. Skateboarden, Musik auflegen, ein 6er-Tragerl Bier zur Salzach oder in den Park mitbringen und einfach beieinander sein. Das wird meiner Meinung nach in Salzburg verhindert. Man will keinen Lärm in der Stadt, man will keine jungen Leute.

Lebt die Jugendkultur von Grassroots-Bewegungen?

Ja, eindeutig und damit bin ich eigentlich schon der Falsche zu diesem Thema. Jugendkultur entsteht in Communities und mit engagierten jugendlichen Menschen. Es gibt wunderbare Beispiele in dieser Stadt, wie die Club Commission, umtriebige DJs, die Leerstände bespielen wollen, und Nachwuchs-Graffitisprayer. Junge Underground-Künstler, die einfach Platz für sich brauchen. Denen muss man die Chance geben, gänzlich unbürokratisch was zu machen. Wenn die die halbe Zeit ehrenamtlich im Schloss Mirabell irgendwelche Formulare ausfüllen müssen, dann wird aus Subkultur ganz schnell ein spießiger Veranstalter. Da muss die Stadtverwaltung in Salzburg noch dazulernen.

Das MARK Salzburg beklagt umgekehrt, dass es zwar viele gibt, die was machen wollen, aber seit Corona immer weniger als Zuschauer dabei sind.

Genau deshalb haben wir mit dem 5020 Festival auch versucht, eine Dachmarke zu schaffen, mit der alles möglich ist: Workshops, Gay/Lesbian Events, Performances, Graffiti Aktionen, Marionettentheater und Podiumsdiskussionen, aber auch viele Partys. Denn wenn der DJ-Event geil war, dann geht man auch einmal zu einem Workshop oder zu einem Poetry Slam. Unter einem coolen Mantel ist die Zugkraft viel stärker. So attraktiviert ein Festival auch alle anderen Jugendaktivitäten der Stadt.

Wie siehst du den Stand der Jugendkultur in Salzburg – auch im Vergleich mit Wien und anderen österreichischen Städten?

Der große Unterschied zwischen Wien oder auch Linz ist, dass in Salzburg ein Großbürgertum regiert, dem es hauptsächlich um die Bewahrung des barocken Ambientes geht. Man unterstützt die Salzburger Festspiele, was gut ist, aber auf die Jugend hat man komplett vergessen. In Wien steht die Stadt einfach auch dahinter, dass nicht jeder Bürger immer friedlich schlafen kann. Hier die Pakistani, die um 4 Uhr morgens einen Stand aufbauen, dort ein paar Punks, die sich lauthals streiten und gegenüber ein Gassenfest – ‚Thats a city that never sleeps‘. Salzburg ist anders, da können zwei bis drei Anrainer ein ganzes Fest verhindern. Es ist das Fehlen von Lebendigkeit in der Innenstadt – Salzburgs Altstadt muss da dringend dazulernen, ansonsten ist es nicht mehr als das größte Freilichtmuseum Europas.

„Cave, Denkmal oder Sub – das waren Orte, die lässig waren. Hier konnte man schon mal schlafen, auf der Couch liegen, ohne etwas zu konsumieren oder bis 4 Uhr morgens feiern, auch ohne viel Geld auszugeben.“

Markus Rauchmann

„In Wien steht die Stadt einfach auch dahinter, dass nicht jeder Bürger immer friedlich schlafen kann. In Salzburg ist das anders.“

Markus Rauchmann

Seitens der Stadt beteuern im Gespräch alle Seiten, wie sehr ihnen die Jugend am Herzen liegt.

Ich denke einfach, die Jugendkultur ist lästig für große Teile der Politik, Verwaltung und des Altstadtverbandes. Während der Festspielzeit ist jeglicher Lärm in der Nähe der Altstadt völlig unerwünscht. Hier regiert die Einstellung: „Es gibt ja eh die von der Stadt geförderten Vereine, wie die ARGE, das Jazzit oder das Rockhouse, da sollen die Jugendlichen hingehen und die Festspiele bitte ja nicht stören.“

Ist das diesjährige ARTmosFLAIR (vormals Linzergassenfest) noch interessant für die Jugend?

Ich denke, der Altstadtverband hat seinen Weg gefunden, mit Entertainment in der Stadt umzugehen. Man möchte niederschwellige, gleichzeitig leise und für Touristen attraktive Happenings schaffen. Das nennt man dann ARTmosFLAIR. Die Händler sollen ihr Geschäft machen, die Gastronomen ohne Aufruhr Bier verkaufen und irgendwo ins Eck stellt man einen DJ für die Jugend. Sicher hat das eine nette Atmosphäre, aber wenn das brave Linzergassenfest am Makartplatz mit den Trucks der UNITE PARADE zusammentrifft, wird man auf den ersten Blick erkennen, wie die Jugend ihren Tag verbringen möchte.

Abseits von einzelnen Veranstaltungen gibt es auch fast keine Subkultur-Beisln mehr.

Es fehlt an allen Ecken und Enden. Beisln wie früher das Cave oder das Sub in Mülln waren unglaublich wichtig. Das sind Plätze, die lässig waren, die Freiheit und Rückzug bedeuteten. Hier konnte man schon mal schlafen, auf der Couch liegen, ohne etwas zu konsumieren oder bis 4 Uhr morgens feiern, auch ohne viel Geld auszugeben. Es gibt immer weniger Orte, die die Jugend akzeptieren, ohne gleich ans Geldverdienen zu denken.

Warum sollen sich die Jugendlichen eigentlich unbedingt die Altstadt zurückerobern? 

Weil die Altstadt jedem gehört. Wie schon gesagt verändert Teilhabe die Beziehung, die man zu diesem Ort hat. Wir haben das beim heurigen 5020 Festival Opening im Festspielhaus gesehen. Viele trauten sich fast nicht rein, weil sie gelernt haben, dass das nur für die reichen Deutschen da ist. Letztendlich haben sich die Festspielmitarbeiter in ihren klassischen Arbeitsuniformen mit der kurzärmligen Jugend vermischt und alle feierten im Karl-Böhm-Saal friedlich bis in die Früh. Wenn Universität, Festspiele und Kirche mehr mitziehen würden, dann könnten die Hörsäle oder sogar der Dom für die Jugendkultur geöffnet werden. Plätze, die vorher mit Spießigkeit oder einem Verbot besetzt waren, werden auf einmal unvergesslich und cool. Das ist dann echte Teilhabe an der Altstadt und bindet die Jugend an „ihr“ Salzburg.

Text: Dominic Schafflinger, Fotos: www.kaindl-hoenig.com

2023-08-01T09:14:54+02:00

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