„Du bist reich,
solange du Familie hast“
Für ein würdevolles Altern in Indien
Für viele Senioren in Indien ist es eine Frage von Leben und Tod, Verwandte zu haben, die für sie sorgen. Ältere Menschen ohne Familie bleibt oft nur das Betteln und ein trostloses Leben auf der Straße. Deshalb unterstützen die Austrian Doctors seit 2022 ein Seniorenheim vor den Toren Kolkatas, das Menschen ein würdevolles Altern erlaubt.
In Indien, einem Land mit tief verwurzelten familiären Bindungen und traditionellen Werten, werden Familienmitglieder im Alter grundsätzlich ohne Wenn und Aber durch ihre Familien unterstützt. Die Eltern haben alles gegeben, um die Kinder großzuziehen, und die erwachsenen Kinder fühlen sich verpflichtet, dies an die Eltern zurückzugeben, wenn diese in den Ruhestand gehen oder erkranken. Die meisten Inder verbringen ihr gesamtes Leben in Mehrgenerationenhaushalten, in denen Kinder, Eltern und Großeltern unter einem Dach zusammenleben. Doch nicht jeder hat das Glück, eine Familie zu haben, auf die man sich verlassen kann. Puspa Roy verlor ihren Ehemann nach nur sechs Monaten Ehe und blieb kinderlos: „Ich bekam dann eine Stelle als Dienstmädchen bei einer Familie im Howrat District, für die ich fast 45 Jahre arbeitete. Mit 61 Jahren wurde ich immer schwächer und war oft krank. Da haben sie mich hinausgeworfen, und ich musste auf der Straße leben.“
Endstation Straße
Andere verlieren ihre Familie durch Wegzug. Die Jungen bekommen in einer anderen Stadt Arbeit. Das Einkommen reicht oft gerade mal aus, um selbst zu überleben, und so stellen die Kinder ihre Zahlungen an die Eltern ein. Diesen bleibt dann oft nur die Obdachlosigkeit, denn ein Lebensunterhalt lässt sich im fortgeschrittenen Alter nur schwer verdienen. Gleich ergeht es vielen Personen mit geistigen Beeinträchtigungen, die von Familienmitglied zu Familienmitglied geschoben werden, wie der heute 57-jährige Subrato Basu. Schon als Kind hätte er erhöhten Förderbedarf gebraucht, aber professionelle Hilfe wurde ihm nie zuteil. Als seine Eltern im Jahr 2018 verstarben, kam er bei Verwandten unter, die aber bald nicht mehr damit zurechtkamen, dass er nie gelernt hatte, sich selbst zu versorgen. Also stellten sie jede Unterstützung für ihn ein und ignorierten ihn, worauf Subrato bald darauf, tief traurig, von selbst das Haus verließ, um auf der Straße zu leben. Ohne ein umfassendes staatliches Rentensystem oder eine flächendeckende soziale Sicherung sind viele ältere und beeinträchtigte Menschen in Indien gezwungen, auf der Straße zu leben und zu betteln; andere arbeiten mit über 70 Jahren täglich auf dem Feld oder als Rikschafahrer, um sich zumindest ernähren zu können. Prekäre hygienische Bedingungen und zu starke Arbeitsbelastung verschlechtern die Gesundheit der Senioren massiv. Ein Platz zum Leben und die nötigste Grundversorgung ist der größte Wunsch dieser Menschen in Westbengalen und Kolkata. Leider wird genau diese Gruppe von Hilfsorganisationen oft übersehen, aber nicht von allen.
Austrian Doctors
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Wenn Helfer zu Helfern finden
Seit einigen Jahren unterstützen die Austrian Doctors das Ananda Ashram Bridhawas Seniorenheim in der Nähe von Kolkata. Es ist eine Einrichtung, die älteren Menschen wie Subrato und Puspa ein würdevolles Altern ermöglicht. Das Altersheim wird in Zusammenarbeit mit der lokalen NGO Kamina Social Welfare betrieben. Isabella Röhrich, stellvertretende Geschäftsführerin der Austrian Doctors, ist vor Kurzem aus Kolkata zurückgekehrt: „Ziel unserer Reise war es, die Einrichtungen in Indien und Bangladesch zu besuchen. In Kolkata stand natürlich auch das Ananda Ashram auf dem Programm. Ursprünglich hatten wir eine Partnerschaft mit der Francis Asisi School, die Kindern aus armen Verhältnissen Schulbildung ermöglicht und sie mit dem Nötigsten versorgt. Diese machte uns auf Kamina aufmerksam. So fanden wir als Helfer zu den Helfern vor Ort.“ Die Kamina Social Welfare Society gibt es schon seit 1979. Anfangs beschränkte sich das Engagement der Gründungsmitglieder darauf, Kleidung und Bücher zu verteilen und bei Familienproblemen psychologische Unterstützung zu bieten. Erst später kam dann das Altersheim hinzu. „Ein großer Schritt, wenn man bedenkt, dass sich die Hilfsorganisation komplett aus Spenden der lokalen Bevölkerung finanziert, denn reich ist hier, 60 Kilometer vor Kolkata, kaum jemand“, so Röhrich.
Die Partnerschaft der beiden NGOs funktionierte von Beginn an hervorragend. Kamina Social Welfare betreibt das Altenheim und ist stets vor Ort, sodass die Betreuer wissen, was die Bewohner wirklich benötigen. Die Austrian Doctors fördern das Projekt finanziell und stellen den Bewohnern ihre medizinische Betreuung zur Verfügung. „Für uns ist es wichtig, mit anderen NGOs zu kooperieren, und hier im Ashram ist es möglich, mit einer komplett lokalen Organisation zusammen zu arbeiten. Das ist für alle die beste Lösung.“
Zu Gast im Ananda Ashram
Das Grundstück des Ananda Ashram Bridhawas Seniorenheims liegt vor den Toren der Millionenmetropole Kolkata und ist trotzdem mitten auf dem Land. Überall dominiert das Grün der Urwälder und die ockerfarbene Erde, die man nur hier, am indischen Subkontinent, findet. Diese Farben prägen die Natur Bengalens und auch den umfangreichen Garten, der sich rund um die Wohnhäuser des Seniorenheims erstreckt. Fitte Bewohner bauen hier selbst Gemüse an und erweitern so den Speiseplan des Seniorenheims. Hinter dem Gemüsegarten liegt das Reisfeld und dazwischen gibt es Milchkühe, Ziegen, Hühner und einen Fischteich. Das Leben ist einfach, gibt den Bewohnern jedoch ihre Selbstbestimmung zurück und ermöglicht ein würdevolles Altern.
Anfangs bestand das Seniorenheim aus einem Einzelhaus und viel brach liegendem Grund. Dank der Mittel der Austrian Doctors konnte die Landwirtschaft aufgebaut und die laufenden Kosten für Lebensmittel und Personal auf sichere Beine gestellt werden. Zusätzlich wurde die medizinische Versorgung verbessert. Das Seniorenheim ist nun auch Treffpunkt regionaler Gesundheitsaktionen, erzählt Isabella Röhrich: „Wir arbeiten beispielsweise mit einer lokalen Organisation in sogenannten ‚Eye Health Camps‘ zusammen. Diese stellt den Menschen unentgeltlich Brillen zur Verfügung und wir führen kostenlose Augenuntersuchungen und auch kleine ambulante Operationen durch. Die Camps finden immer wieder im Ashram statt, so ist es auch ein wertvoller Platz des Austauschs geworden. Im ganzen Umkreis ist das Seniorenheim bekannt.“
Gemeinschaft und Selbstbestimmung
Aktuell leben 30 Bewohner im Ananda Ashram Bridhawas. Neben einem Schlafplatz und Verpflegung erhalten die Senioren hier medizinische Versorgung und vor allem eine unterstützende Gemeinschaft. Die fitteren kümmern sich rührend um die Kranken, und auch die alltäglichen Reinigungsarbeiten sowie das Kochen übernehmen die Bewohner Großteils selbst. Bei allem was die Seniorinnen nicht leisten können greifen drei fest angestellte Betreuerinnen unter die Armeuspas Aufgaben reichen vom Gemüseschneiden bis hin zur Pflanzenpflege, und sie kümmert sich um Alte und Kranke, soweit es ihr eigener Gesundheitszustand zulässt. Subrato hilft bei den Gartenarbeiten, angelt im Fischteich und hütet die Kühe und Ziegen. Beide sind überglücklich, hier zu sein, und haben im Seniorenheim ihr Zuhause und viele Freunde gefunden. „Gerade Subrato hat sich seit seiner Ankunft völlig verändert. Er erhält nun regelmäßige psychologische Betreuung, und ich lernte ihn als glücklichste Person im Ananda Ashram kennen, er lacht ständig und macht Scherze. Das Seniorenheim hat sein Leben komplett zum Positiven verändert“, erinnert sich Isabella Röhrich: „Wenn man so etwas erlebt, dann weiß man, warum unsere Arbeit hier so wichtig ist.“
Das nächste große Projekt des Ananda Ashrams ist die Errichtung einer offenen Küche sowie eines Aufenthaltsraumes im Bereich zwischen den Gebäuden. Diese Erweiterung wird den Bewohnern noch mehr Gemeinschaftsgefühl und Lebensqualität bieten. Wer die Austrian Doctors unterstützen möchte, kann das mit einer Spende oder einer Kooperation tun. Denn bei der Salzburger NGO, die noch viele weitere Projekte in Asien und Afrika fördert, kann man sicher sein, dass die Unterstützung wirklich dort ankommt, wo sie gebraucht, und so weit wie möglich von lokalen Partnern umgesetzt wird.