Zwischen Himmel und Hölle

Text: Susanne Rosenberger
Fotos: SF / Ruth Walz, SF / Bernd Uhlig, Algirdas Bakas

Asmik Grigorian ist eine der gefragtesten Sopranistinnen unserer Zeit. Seit sie 2018 als Salome bei den Salzburger Festspielen den internationalen Durchbruch erzielte, liegen ihr Publikum und Kritiker zu Füßen. In diesem Sommer singt sie in Puccinis Il trittico alle drei Titelrollen an einem Abend und ergründet dabei verschiedene Facetten der Existenz – aufgespannt zwischen Himmel und Hölle.

Durch die gekonnte Symbiose zwischen ihrer magischen Stimme und darstellerischen Kraft überzeugt Asmik Grigorian seit knapp vier Jahren auf allen großen Opernbühnen der Welt. Obwohl die litauische Sopranistin schon lange im Geschäft ist, gelingt ihr der internationale Durchbruch erst mit der Salome bei den Salzburger Festspielen im Jahr 2018. Nach ihrem Gesangsstudium an der Litauischen Akademie für Musik und Theater tritt die Tochter zweier gefragter Opernsänger zunächst vor allem im Osten auf – in Litauen, Georgien, Riga und St. Petersburg. Ab 2011 wird die Sängerin auch häufiger außerhalb der baltischen Staaten engagiert, seit ihren Rollen als Marie in Tschaikowskis Mazeppa an der Komischen Oper Berlin (2013) und als Nastasja in der Tschaikowski-Oper Die Zauberin am Theater an der Wien (2014) zieht sie auch im deutschsprachigen Raum langsam die Aufmerksamkeit auf sich.

Internationaler Durchbruch
Ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen gibt sie 2017 als Marie in Alban Bergs Wozzeck, ein Jahr später überzeugt sie Publikum und Kritiker in Salzburg mit ihrer gesanglichen und darstellerischen Leistung in der Titelrolle der Salome von Richard Strauss. Von da an überschlagen sich die Ereignisse – Asmik Grigorian wird 2019 von der Opernwelt zur „Besten Sängerin des Jahres“ gewählt und bei den Austrian Music Theater Awards zur „Besten weiblichen Hauptdarstellerin“ gekürt. Kürzlich ernennt sie die Ópera XXI Association zur „Opernsängerin des Jahres 2022“. Grigorian wird in der internationalen Opernwelt als Star gefeiert und kann sich ihre Rollen frei aussuchen.

Neben Matthias Goerne in der Titelrolle (hinten) debütiert Asmik Grigorian 2017 bei den Salzburger Festspielen als Marie in Alban Bergs Wozzeck

Auch schauspielerisch lebt die Starsopranistin ihre Rollen exzessiv aus und vertritt ihre Figuren auf der Opernbühne mit großer Absolutheit. Obwohl sie keine ausgebildete Schauspielerin ist, gehört das darstellerische Spiel existentiell zu ihrer künstlerischen Arbeit. So bezeichnet sie sich selbst als sehr empathischen, emotionalen Menschen, dem die Fähigkeit in die Wiege gelegt wurde, den Schmerz anderer zu fühlen – eine Eigenschaft, die ihr auf der Bühne sehr entgegenkommt.

Lust auf Risiko
Aus purer Neugierde und Risikobereitschaft testet Asmik Grigorian gerne ihre Grenzen aus und lässt sich dabei ganz bewusst nicht auf einige wenige Partien begrenzen. Ihr Repertoire umfasst u. a. Rollen wie die Titelpartien in Manon Lescaut, Rusalka, Salome, Fedora, Jenufa, Iolanta oder die Senta im Fliegenden Holländer, die Tatjana in Eugen Onegin oder die Elisabetta in Don Carlo. Mit diesem breiten Spektrum hat sie sich sowohl auf der Opernbühne als auch auf dem Konzertpodium einen Namen gemacht.

Seit ihrer Sternstunde als Salome (2018) erfährt Grigorians Karriere einen gewaltigen Schub

Ihr erstes, mit Spannung erwartetes Studioalbum „Dissonance“, das sie gemeinsam mit dem Pianisten Lukas Geniusas aufgenommen hat, erschien im März 2022 bei Alpha Classics, eine Reihe von Konzerten des Duos folgt im Lauf dieses Jahres. Grigorian widmet sich auf dem Album Sergej Rachmaninow, einem ihrer Lieblingskomponisten, und wählt seine intimen, hoch emotionalen Romanzen für Gesang und Klavier.

Stimmliche Herausforderung
Nach bisher drei Rollen in Salzburg – der Marie in Wozzeck (2017), der Salome (2018) und der Chrysothemis in Elektra (2020) – singt Asmik Grigorian in diesem Festspielsommer alle drei Titelheldinnen in Puccinis Il trittico. Dabei setzt sie wiederum auf die bewährte Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Franz Welser-Möst und den Wiener Philharmonikern. Als Regisseur führt Christof Loy auf neuartige Weise durch das „Triptychon“, indem er die Reihenfolge der Einakter abändert: Er beginnt mit dem jungen, verliebten Mädchen Lauretta in Gianni Schicchi, geht weiter zur unglücklich verheirateten Frau Giorgetta im Tabarro und schließt in Suor Angelica bei der Schwester Angelica, die im Kloster Selbstmord begeht.

In BH und kurzem Rock kehrt Grigorian 2020 als Chrysothemis in Elektra im 100-jährigen Jubiläumsjahr der Festspiele nach Salzburg zurück (im Bild mit Ausrine Stundyte als Elektra, rechts).

Nur wenige Sopranistinnen – so etwa Patricia Racette oder Teresa Stratas – sangen die drei zentralen Sopranrollen in Il trittico zuvor an einem einzigen Abend, da jeder der drei Einakter von der Sängerin viel abverlangt. Grigorian selbst stellt sich dieser Herausforderung bereits in einer früheren Phase ihrer Karriere, als sie 2010 beim Opernfestival Riga in allen drei weiblichen Hauptrollen auftritt. Am Mariinski Theater St. Petersburg debütiert sie 2012 wiederum in ebendiesen drei zentralen Sopranrollen. Darauf, wie sie heuer die Rollen anlegen wird, darf das Salzburger Publikum gespannt sein – zumindest jene glücklichen Opernbesucher, die eine der raren Karten ergattern konnten. Für alle anderen gibt es die Möglichkeit, die Puccini-Oper im Fernsehen oder bei den Siemens Festspielnächten zu genießen (Ausstrahlungstermine siehe Info-Box). Im Großen Festspielhaus wird die Neuinszenierung von Il trittico (Koproduktion mit der Opéra national de Paris) insgesamt an 6 Terminen aufgeführt, Premiere ist am 29. Juli.

Reise durch weibliche Gefühlswelten
Seit Tosca hatte Puccini die Idee, Einakter zu schreiben, die sich bei einem Opernabend bündeln lassen. Der Titel Il trittico (Das Triptychon) weist darauf hin, dass die drei Einakter bei aller Verschiedenheit der Sujets eine innere Einheit bilden. In allen drei Stücken stehen die weiblichen Protagonistinnen im Mittelpunkt – Loretta (in Gianni Schicchi) voller Hoffnung auf ein beginnendes neues Leben an der Seite ihres Verlobten; Georgetta, die ihr Kind verlor und nun von einem anderen Leben mit einem anderen Mann träumt (in Il tabarro) und die Nonne Angelica, die schon lange keine Hoffnung mehr hat, und die nur in einem Akt des Wahnsinns in das himmlische Paradies einzutreten glaubt.

Uraufgeführt wird Giacomo Puccinis Il trittico 1918 an der New Yorker Met – ohne Anwesenheit von Puccini, da der Schiffsverkehr durch die Kriegswirren in Europa noch nicht wieder hergestellt war. „Vollkommener Triumph. Am Ende jeder Oper große Zustimmung, insgesamt mehr als 40 Vorhänge. Enthusiasmus vor allem für ‚Gianni Schicchi‘“, telegrafiert der damalige Chef der Met noch am Abend der Uraufführung an Puccini. Das Stück bleibt trotz großem Triumph bei der Uraufführung bis heute ein seltener Gast auf den Spielplänen der Opernhäuser.

Menschheitsgeschichte
Dante Alighieris Göttliche Komödie, die Divina Commedia (1321), kann als Ausgangspunkt für eine Betrachtung aller Opern dienen, die heuer bei den Salzburger Festspielen aufgeführt werden. Ein Menschheitswerk wie die Divina Commedia umschließt das gesamte Universum und alle Dimensionen, die es auf Erden gibt – das was war, das was ist und das, was sein wird. Die darin befindlichen Motive aus Himmel, Hölle und Fegefeuer finden sich im heurigen Festspielprogramm ebenso im Realismus von Puccinis Il trittico wieder wie etwa in Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg oder Carl Orffs De temporum fine comoedia.

Karitatives Engagement
Bereits 2020 singt Asmik Grigorian bei den Festspielen Golling zugunsten der Salzburger Neonatologie. Der Opernstar aus Litauen gibt einen Abend vor der letzten Elektra-Aufführung bei den Salzburger Festspielen ein Charity-Konzert im Hof der Burg Golling, bei dem 22.000 Euro gesammelt werden können. Diese Summe möchte die Starsopranistin in diesem Jahr auf 30.000 Euro steigern, wenn sie sich bei den Festspielen Golling am 3. August zum zweiten Mal in den Dienst der guten Sache stellt. Sie verzichtet auf ihre Gage und wird den Konzerterlös, gemeinsam mit dem Verein Festspiele Golling und Licht ins Dunkel, an die Spezialklinik für Schmetterlingskinder in Salzburg spenden.

Zur Person

Die litauische Starsopranistin Asmik Grigorian wird am 12. Mai 1981 in Vilnius geboren und wächst mit der Oper auf – beide Elternteile, der armenische Tenor Gegam Grigorian und die litauische Sopranistin Irena Milkevičiūtė, waren gefragte Opernsänger. Ihr Gesangsstudium absolviert sie an der Litauischen Musik- und Theaterakademie. 2017 debütiert Asmik Grigorian als Marie in Bergs Wozzeck bei den Salzburger Festspielen, ein Jahr später feiert sie ebendort ihren internationalen Durchbruch mit der Darstellung der Salome. Die Sopranistin tritt regelmäßig an den führenden Opernhäusern der Welt auf.

Il trittico wird von Unitel/ORF aufgezeichnet und am 13. August um 18.30 Uhr Live auf ARTE Concert sowie um 22.05 Uhr zeitversetzt auf ORF2 übertragen.

Bei den Siemens Festspielnächten wird Il trittico am 16. und 26. August um 20.00 Uhr auf der LED-Wall am Kapitelplatz in Salzburg gezeigt.
Open Air. Eintritt frei.