
Wunderbare Wissenschaft
Text: Doris Thallinger
Fotos: Honorarfrei – ZDF, Ben Knabe und Jens Koch; Thomas Duffé
Wissenschaft ist spannend. Und zwar nicht nur für Nerds und Superschlaue, wie die deutsche Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim seit Jahren auf ihrem YouTube-Kanal maiLab beweist.
Freunde der Sonne! Wer das kennt, zählt wohl zu den zahlreichen Followern von Mai Thi Nguyen-Kim und ihrem YouTube-Kanal maiLab. Hier nimmt sie seit 2015 (damals noch „schönschlau“) regelmäßig (mehr oder minder) waghalsige Thesen und Theorien auseinander, überprüft diese wissenschaftlich und teilt die Erkenntnisse mit ihrer Community. Einer Community aus Nerds und Science Busters? Weit gefehlt – die Fans der Deutschen mit vietnamesischen Wurzeln sind ganz „normale Menschen“ wie du und ich. Und die Vision der jungen Wissenschaftlerin ist eine klare: Wissenschaft alltagstauglich zu machen! Durch sie werden Nerds salonfähig und Science sogar irgendwie sexy, auf jeden Fall aber verständlich. Dabei räumt sie vehement auf mit absurden Theorien, stellt Fakten gegen Fakes und nimmt die ungerechtfertigte Angst vor allem, was mit Chemie zu tun hat. Denn Chemie ist ALLES und begleitet uns 24 Stunden am Tag, wie sie in ihrem Erstlingswerk „Komisch, alles chemisch“, das 2019 erschien, eindrucksvoll und originell beweist. Zu diesem Zeitpunkt ist die promovierte Chemikerin bereits weit über YouTube hinaus ein Begriff, moderiert im WDR die Wissenschaftssendung „Quarks“ und auf ZDF „Terra X“. Seit Oktober 2021 ist Mai Thi Nguyen-Kim außerdem in ihrer Wissenschaftsshow MaiThink X auf ZDFneo zu sehen, wo am 18. September bereits die dritte Staffel ausgestrahlt wird.
- MAITHINK X – Die Show“: Mai Thi Nguyen-Kim im Studio.
Einen ganz speziellen Push erfährt Mai Thi Nguyen-Kims Bekanntheit 2020 mit Beginn der Corona-Krise, als im April ihr Video zur Pandemie innerhalb weniger Tage mehr als 4 Millionen Mal aufgerufen wird. 2021 bringt die heute 35-Jährige ihr zweites Buch heraus: „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit – Wahr, falsch, plausibel? Die größten Streitfragen wissenschaftlich geprüft“. Darin untersucht Mai Thi Nguyen-Kim mit gewohnt analytischem Scharfsinn und unbestechlicher Logik die brennenden Streitfragen unserer Gesellschaft, wie die Legalisierung von Drogen, Videospiele, Gewalt, Gender Pay Gap, Big Pharma vs. Alternative Medizin, Homöopathie, klinische Studien, Impfpflicht und vieles mehr. Ihre Devise und Aufruf: nicht weniger streiten, nur besser!
Interview
„Meine Mission ist es, Wissenschaft wie eine Seuche zu verteilen.“
Seit vielen Jahren gehen Ihre YouTube-Videos um die Welt, erst recht seit Ausbruch der Pandemie. Was ist Ihre persönliche Mission?
Mai Thi Nguyen-Kim: Meine Mission ist es natürlich, Wissenschaft wie eine Seuche zu verteilen! Es gibt kein Entkommen! Nein, im Ernst – gerade heute braucht eine aufgeklärte, freie Gesellschaft eine solide wissenschaftliche Grundbildung. Denn es wird immer schwieriger, Informationen einzuordnen, Fake von Wirklichkeit zu unterscheiden. Und da helfen nicht nur ein wissenschaftliches Grundverständnis, sondern auch Basics zu wissenschaftlichem, also kritischem Denken sowie wissenschaftliche Arbeitsmethoden. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dieses Verständnis breit zugänglich zu machen.
Sie haben der Forschung den Rücken gekehrt, um in den Wissenschaftsjournalismus zu wechseln. Wenn Sie heute noch forschen würden, was würden Sie gerne erforschen?
Den Bereich, in dem ich damals geforscht habe, finde ich natürlich immer noch spannend: neue Materialien für biomedizinische Anwendungen entwickeln. Zum Beispiel 3D-Gerüste für künstliche Organe oder smarte Nano-Transport-Systeme für Wirkstoffe.
Was ist, Ihrer Meinung nach, das derzeit wichtigste, dringlichste Thema der Wissenschaftskommunikation?
Die Informationskrise des Internets. Die wichtigsten Plattformen, auf denen wir uns online informieren, sind mindestens teilweise werbefinanziert und basieren auf werbegetriebenen Algorithmen. Das bedeutet, dass vor allem die Beiträge mit Aufmerksamkeit belohnt werden, die besonders viel geklickt oder geteilt werden, weil das wirtschaftlich ist. Da haben verkürzte, emotionale oder tendenziöse Beiträge, die viel Reaktion auslösen, einen systemischen Vorteil gegenüber differenzierter, ausführlicher Information. Das ist das Problem.
Seit Corona ziehen die Verschwörungstheorien Riesen-Kreise: Was ist das Absurdeste, das Ihnen untergekommen ist?
Ich finde ja jede Art von Verschwörungserzählung ulkig, die in irgendeiner Art und Weise darauf aufbaut, dass der Staat einen großen, geheimen Plan hätte. Das ist ja fast schon ein Kompliment an die chaotische Realität unserer Regierungen.
Was sind Ihre größten Sorgen und Bedenken, wenn Sie an die Zukunft, auch an die Zukunft der kommenden Generationen, denken?
Wieder die Informationskrise – weil sie jede andere Krise, sei es eine Pandemie, die Klimakrise oder das Artensterben um ein Vielfaches verstärkt.
Was sind Ihre nächsten Projekte? Steht bereits ein neues Buch oder Format in den Startlöchern?
Momentan freu ich mich erstmal auf die dritte Staffel MaiThink X und meine nächsten Terra X Dokus, darunter eine zweiteilige Reise ins menschliche Gehirn. Für ein neues Buch hätte ich sicher Ideen, aber da fehlt mir gerade die Zeit. Mal schauen, was die Zukunft bringt.
Buchtipps:
Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit: Wahr, falsch, plausibel – die größten Streitfragen wissenschaftlich geprüft
Dr. Mai Thi Nguyen-Kim untersucht brennende Streitfragen unserer Gesellschaft. Mit Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen kontert sie Halbwahrheiten, Fakes und Verschwörungsmythen – und zeigt, wo wir uns mangels Beweisen noch zurecht munter streiten dürfen.
Komisch, alles chemisch! Handys, Kaffee, Emotionen – wie man mit Chemie wirklich alles erklären kann
Chemie ist alles – was wir tun, was uns umgibt, was wir fühlen, alles hat mit Chemie zu tun. Mai Thi Nguyen-Kim tritt in diesem spannenden Pop-Science-Buch den Beweis an und zerlegt Alltagsphänomene in ihre chemischen Elemente.Witzig und originell erklärt sie, welche chemischen Reaktionen in und um uns herum insgeheim ablaufen, und macht vor allem eins: Lust auf Chemie.