„Wie der beste Vater, den du dir vorstellen kannst“

Text: Doris Thallinger

Fotos: www.kaindl-hoenig.com

Patrick Knittelfelder ist weit herum gekommen, hat viel erreicht. Seine Heimat hat er in der Mission Base Salzburg gefunden, in jeder Hinsicht. Im Interview erzählt er davon, wie er zu Gott gefunden hat, von der Suche nach der Identität, der Sinnhaftigkeit des Zölibats und vor allem vom Leben in der Mission Base.

Wie ist die Idee zur Mission Base entstanden?
Ich bin Unternehmer in Salzburg und hatte schon viele schlaflose Nächte in meinem Leben: Ist das wirklich das Richtige, was ich mache? Es ist zwar toll, wir wachsen immer, wir werden immer größer. Aber kann das echt alles sein? Man sollte doch ein bisschen von dem, was man bekommen hat, zurück geben. Und dann ist diese irre Idee entstanden, ich könnte mich doch um Obdachlose kümmern, etwas aufmachen, wo man Obdachlose von der Straße mit Essen versorgt – so sozialromantisch gedacht. Im ersten Schritt habe ich mich bei den Barmherzigen Schwestern erkundigt, die hier – gleich nebenan – die Vinzenzstube führen. Diese Idee und der Kontakt zu den Barmherzigen Schwestern waren der erste Strang, der zur Mission Base geführt hat. Der zweite ist die Loretto-Bewegung, bei der ich mich, seit ich in Salzburg lebe, engagiere. Hier haben uns immer ein, zwei Praktikanten übers Jahr begleitet und ich dachte mir eines Tages: Warum nicht gleich zehn oder 20 junge Menschen über einen Zeitraum hinweg aufnehmen und ihnen so eine Art „Lebensschule“ bieten? Damit war die Idee geboren und durch die Barmherzigen Schwestern konnten wir schließlich, nach drei Jahren Bangen und Verhandeln, dieses Haus um einen Euro als Baurechtszins für die nächsten 20 Jahre bekommen. Es hat sich dann sehr schnell ein tolles Team zusammen gefunden, das eine ähnliche Vision hat.

Damit war also der Grundstein für die Mission Base gelegt und der Umbau konnte beginnen…
Hätte ich gewusst, was der Umbau kostet, hätte ich mich nie zu starten getraut. Wir haben mittlerweile drei Millionen Euro in das Haus hineingesteckt. Diese drei Millionen Euro sind so gut wie zur Gänze aus dem Freundeskreis aufgetrieben. Ich glaube, jetzt will niemand mehr mein Freund sein! (lacht)

Was ist die wichtigste Aufgabe der Mission Base?
Ich glaube, das Herzstück ist die Jüngerschaftsschule. Hier bieten wir verschiedene Programme an, im Zuge derer vorrangig junge Leute zu uns kommen und eine gewisse Zeit – bis zu neun Monate – hier im Haus verleben. Das ist letztlich nichts anderes als eine „Lebensschule“ unter einem christlich abendländischen Menschenbild. Ich zitiere gerne die Studie einer australischen Krankenschwester, die mehr als 1.000 Menschen interviewt hat, bevor diese gestorben sind. Im Angesicht des Todes sagen Sterbende fünf signifikante Dinge, und das Wichtigste, das Signifikanteste davon ist: „Ich habe eigentlich mein Leben nicht gelebt.“ Nicht in dem Sinn, dass mein Leben schlecht war, mit all seinen Höhen und Tiefen. Aber, eigentlich, wenn ich daran denke, was meine Jugendträume waren, meine Sehnsüchte, meine Charismen und Talente – also, alles, was in mir steckt – eigentlich wollte ich ganz was anderes machen.
Aber die Dinge ergeben sich oftmals einfach anders im Leben. Und wenn du auf dein Leben zurück schaust, siehst du, wie ganz kleine Entscheidungen am Beginn des Lebens immense Auswirkungen haben am Ende. Wie viele Dinge lassen wir einfach so laufen, Dinge, die uns nicht unbedingt glücklich machen, aber sie zu ändern, wäre vielleicht mühsam. Das Leben läuft so dahin.
Und da kommt die Jüngerschaftsschule ins Spiel: Das ist ein Zeitpunkt, an dem du einen totalen Cut machst im Leben, wo du aussteigst aus dem System und „Stopp!“ sagst. Wer bin ich eigentlich? Was ist meine Identität?

Wie funktioniert diese Lebensschule konkret?
Es ist der totale Cut, du steigst total aus. Du beschäftigst dich intensiv mit Themen wie „Wer bin ich?“ Was ist meine Familiengeschichte? Wie bin ich gedacht? Was macht mich als Person aus?
Im Zuge dessen kannst du dich in ganz vielen Dingen ausprobieren, in Dinge rein schnuppern, die du dir vorher vielleicht nie zugetraut hättest.
Und natürlich, weil wir ein christliches Haus sind, ist es das Hauptthema, Gott kennen zu lernen. Das Problem ist, dass die Menschen heute Gott nicht mehr kennen. Viele Menschen haben ganz komische Gottesbilder, die überhaupt nicht biblisch sind, die aber durch die Gesellschaft vermittelt wurden, und leider oft auch durch die Kirche oder eigene, unreflektierte Erfahrungen.

Wer ist Gott denn wirklich?
Gott ist einer, der totales Interesse an deinem oder meinem Leben hat, der sagt, ich bin wie ein Vater zu dir, wie der beste Vater, den du dir vorstellen kannst. Ich gehe mit dir durchs Leben, jeden Tag, ich gehe mit dir durch jede Wüste, durch jeden Erfolg, ich gehe mit dir durch all deine Probleme. Ich bin bei dir, wenn dein Freund dich verlässt, ich bin bei dir, wenn du glaubst, es geht finanziell nicht weiter, in deiner Lebenskrise. Gott will nichts mehr, als dass es dir gut geht auf dieser Welt und dass du nach ihm suchst. Es ist sehr schwer, falsche Gottesbilder aus den Köpfen der Menschen zu bringen. Die Kirche – also wir, ich bin ja auch die Kirche – hat hier Vieles falsch gemacht.

Bedeutet das, dass „die Kirche“ oftmals nicht zeitgemäß ist?
Unsere Message ist auch die Message der Kirche, und die ist zeitgemäß. Aber wir als Kirche haben immens Vieles falsch gemacht. Es ist ein System, mit dem ich als normaler Mensch nichts am Hut habe. Auch mich hat die Kirche nicht immer interessiert, im Gegenteil, das System war für mich ein Albtraum!

Wie bist du dann zu Gott gekommen?
Ich hatte zwei Erlebnisse mit Gott, eines indirekt und eines direkt. Mit 17 Jahren habe ich ein Mädchen kennen gelernt, das für einige Wochen für ein Hilfsprojekt nach Medjugorje in Bosnien-Herzegowina gefahren ist, wo angeblich die Mutter Gottes erscheint. Und ich bin einfach mitgefahren. Das Interesse ist dann wieder abgeflaut, aber seit damals habe ich mir angewöhnt, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen. Ich erinnere mich an hunderte Male, als ich in der Kirche gesessen bin und mir gedacht habe, was tu ich da… Ich habe aber immer das Gefühl gehabt, ich muss damit weitermachen. In totaler Sinnlosigkeit.
Bis ich eines Tages gesagt hab, so ich hör jetzt auf oder es passiert irgendetwas. Genau zu dieser Zeit habe ich durch einen Freund von einer Charismatischen Messe erfahren, die ich schon lange besuchen wollte. Ich habe bei dieser Messe Rotz und Wasser geweint! Da hatte ich das Gefühl, jetzt ist es echt passiert, jetzt habe ich Gott gefunden.
Gott sagt: Such mich, und ich lass mich finden! Du brauchst gar nicht viel tun. Du musst nur sagen: Du komischer Gott, wenn es dich echt gibt, dann zeig dich in meinem Leben, zeig dass du mein Leben besser machen kannst. Dann kommt er. Manchmal spektakulär, manchmal leise. Unser Haus ist voll von Menschen, die Gott suchen und zu denen Gott gekommen ist.
Wir haben jede Woche mehrere Hundert Jugendliche und junge Erwachsene hier. Rund 10.000 Menschen verfolgen uns regelmäßig über unsere Social Media-Kanäle mit. Und es werden ständig mehr! Nicht weniger, so wie in der Kirche!

Die Mission Base beinhaltet aber noch viel mehr als die Jüngerschaften…
Ja, ein wesentlicher Teil der Mission Base ist unsere „La Cantina“. Seit Beginn dürfen wir, zusammen mit den Barmherzigen Schwestern, die Vinzenzstube, die Suppenküche, betreuen, die wohl die niederschwelligste Einrichtung hier in Salzburg ist. Darüber haben wir aber gelernt, dass es so viel verdeckte Armut gibt, so viele Menschen an der Armutsgrenze. Hier in der La Cantina muss jeder zahlen, und wenn es nur ganz wenig ist, jeder zahlt, so viel er kann. La Cantina ist ein Ort, an den Menschen kommen und eine gute Zeit verbringen können. Es ist nicht das Essen und Trinken, das wir hier ausschenken, es ist die Würde: Auch wenn du knapp bei Kasse bist – du kannst es dir leisten, in ein Restaurant oder Café zu gehen und vor allem: Du hast Menschen um dich!
Die Range der Gäste ist so groß, von Leuten, die bereits an der Kippe stehen, die fast schon in die Suppenküche gehören, bis hin zu Unternehmern, Bänkern…
Ja, und hier, gleich daneben – das ist das House of Prayer. Hierher kann jeder kommen, um die Nähe Gottes zu suchen. Hier erreichen uns täglich Fürbitten aus aller Welt. Viele Menschen schicken uns ihre Sorgen per E-Mail oder Karte, mit der Bitte, hier für sie zu beten. Wir beten prophetisch, das bedeutet, ich schaue rauf zum Vater und über den Blick des Vaters wieder herunter. Die Eindrücke und Gedanken, die dabei entstehen, schicken wir an die Menschen zurück.
Und schließlich ist das Media House ein wichtiger Teil der Mission Base, wo sämtliche Videos, Clips, Trailer und alles Graphische produziert wird.

Was sind eure nächsten Ziele für die Mission Base?
Wir sehnen uns danach, in den nächsten Jahren Tausenden von Menschen eine Begegnung mit diesem unglaublichen Gott ermöglichen zu können. Dazu brauchen wir auch Infrastruktur. Wir träumen von einem neuen, zeitgemäßen, komfortablen Kirchengebäude für mehrere Tausend Menschen; mit Restaurant, Café, Bookstore, Kinderkirche – und vor allem mit Heizung und bequemen Sitzen. (lacht)

Ihr agiert sehr weltoffen, unkonventionell, frei – stößt ihr innerhalb der katholischen Kirche auf Widerstand von konservativeren Zweigen?
Nein. Der Weihbischof und die Diözese unterstützen uns sehr. Viele Treffen der Diözese finden bei uns im Haus statt, die dürfen wir sozusagen hosten, worauf ich ein bisschen stolz bin. Wir haben sehr oft Besuch von Priestern und Bischöfen, die sich das Projekt anschauen und studieren wollen, was wir hier machen. Viele Diözesen und kirchliche Einrichtungen laden uns ein zu berichten, bzw. kommen zu uns, um zu lernen, wie Kirche heute sein kann. Ich staune, wie hoch der Zuspruch ist, aber das ist auch Teil der Loretto-Philosopie, dass wir sagen, ja wir machen viele Dinge neu und unkonventionell, aber wir stehen mit beiden Beinen im Herzen der Kirche. Wir rebellieren nicht, aber wir machen die Dinge doch ein bisschen anders.

Erleben wir hier eine Renaissance des Glaubens?
Ich glaube, dass wir in einer besonderen Zeit leben. Ich glaube, meine geliebte Kirche ist ein bisschen von den Menschen weg gerückt und hat vergessen, wer die Menschen eigentlich sind. Sie hat verlernt, die Sprache der Menschen zu sprechen. Wir sprechen hier recht unkonventionell, recht raff. Das verstehen die Menschen. Wir sagen genau das gleiche, was die Kirche sagt. Aber so, dass der Mensch es versteht.

Was viele Menschen heute nicht verstehen, ist das Zölibat. Wie stehst du dazu?
Jesus sagt – und das ist total spannend: Es gibt Menschen, die sind von Geburt an nicht für die Ehe bestimmt. Woah, das ist eine Hammer-Aussage. Ausgerechnet Jesus sagt, es gibt Menschen, die sind von Geburt an nicht für die Ehe gemacht!! Aber es kommt noch ärger: Dann weiter sagt er: Es gibt Menschen, die sind von den Menschen dazu gemacht worden, dass sie zur Ehe nicht taugen.
Damit meint er Menschen, die so viel mitgemacht haben, auf die so viel abgeladen worden ist, die so geprägt wurden, dass sie nicht fähig sind zu einer richtigen langlebigen, treuen Partnerschaft.
Und dann sagt er – und jetzt kommt der absolute Hammer: Und es gibt Menschen, die auf die Ehe verzichten um des Himmelreichs Willen. D.h. er stellt einen ganz hohen Wert hin und sagt, das sind Menschen, die ganz bewusst sagen, ich wäre Ehefähig, aber ich verzichte auf eine Ehe zu einem größeren Wert. Wow. Das sagt Jesus. Und der letzte Satz ist: Wer es erfassen kann, erfasse es! D.h., nicht jeder versteht, dass es einen höheren Preis gibt als die Ehe.

Weil die Ehe dieser besonderen Beziehung im Wege stehen würde?
Nein, das glaube ich nicht, sondern, weil du in einer größeren Freiheit bist Gott gegenüber. Es ist dieses Spirituelle, dass Gott dich als Einzelperson in die Wüste entführt, dich in der Wüste umwirbt, wie die Schrift sagt und eine ganz besondere Nähe und Intimität entsteht. Das haben in der frühen Kirche viele Leute verstanden und darum auf die Ehe um des Königreichs Willen verzichtet. Um das Höhere zu erlangen.
Und so hat die Kirche eines Tages gesagt, wir haben so viele Menschen, die zölibatär leben und genau wissen, warum sie das tun. Wir sehen in der Praxis, dass es auch besser ist, wenn Priester frei stehen. Darum hat die Kirche beschlossen, dass sie Menschen aus diesem Stand heraus weihte.
Dann ist, wie so oft in der Kirchengeschichte vieles durcheinander gekommen und vieles turbulent gewesen, und ich glaube, dass viele zum Priester geweiht worden sind, die eigentlich keine priesterliche Berufung hatten, denen es nicht nur um des Königreichs Willen ging. Die Leute, die heute (zum größten Teil) Priester werden, sind sehr abgeklärt, weil Priester zu werden heute so gegen jeden Zeitgeist ist. Diese entdecken wieder diese ursprüngliche Schönheit.

Eine letzte Frage noch: Bei deinem Vertrauen zu Gott: Empfindest du Angst vor dem Tod?
Ja, es ist beides: Es gibt Augenblicke, wo ich sage, ich bin so gespannt, can’t wait! Und dann ist es natürlich schon so: die Mutter des Glaubens ist der Zweifel. Wenn du deinem Zweifel keinen Raum gibst und dich dem Zweifel nicht stellst, dann kannst du auch nicht glauben. Und meine große Hoffnung ist, dass es so sein wird: Patrick, good job!

Vor rund 14 Jahren kam der gebürtige Steirer Patrick Knittelfelder nach Salzburg. Bereits in seiner Zeit in Graz hatte er etliche erfolgreiche Hotelanlagen im In- und Ausland aufgebaut. Neben seiner Tätigkeit als Unternehmer, Gastronom und Hotelier (u.a. Bärenwirt, Die Geheime Specerey, Café Glockenspiel, Hotel KRONE 1512 …) verwirklichte er zusammen mit Stephanie Wörgötter und Christian Berghammer die Vision der H.O.M.E. Mission Base, die im Juni 2016 ihre Pforten öffnete.