Unkraut oder Superfood
Vieles von dem, was wild am Wegesrand oder ungefragt im Garten vor sich hin wuchert,
entpuppt sich oft als Segen für Gaumen und Gesundheit.
Text: Dominic Schafflinger
Fotos: Adobe Stock, Dominic Schafflinger
GEWINNSPIEL: Ideal, um sein Kräuterwissen zu vertiefen und mit der Familie auf Entdeckungstour im Wald zu gehen, ist das neu erschienene Buch „Meine wilden Kräuterfreunde aus dem Wald“ von Kräuterfee Anja Fischer, erschienen im Servus Verlag. Wir verlosen HIER drei Exemplare.
Wenn der Löwenzahn inmitten des englischen Rasens sprießt, ärgern sich Gartenbesitzer oft grün und blau. Doch die Kräuterkundige Barbara Haider aus Unken weiß, dass genau diese Pflanzen eigentlich ein Segen sind: „Diese kleinen, oft unbekannten Heilpflanzen wachsen nicht umsonst vor der Haustüre, sie enthalten immer genau jene Wirkstoffe, die für die Bewohner die richtigen sind.“ Was nicht direkt auf Barbaras Hof wächst, der auf 800 Metern Höhe majestätisch das Pinzgauer Saalachtal überblickt, sammelt die Homöopathin und Heilpraktikerin in den umliegenden Bergen und Wäldern und kennt dort jedes Pflänzchen und deren teilweise mächtige Wirkung.
Unkraut gibt es nicht
„Was man gemeinhin als Unkraut bezeichnet, ist eigentlich nur Wildwuchs zwischen unseren Kulturpflanzen. Beschäftigt man sich einmal eingehend mit der Verwendung dieser Wildpflanzen, wird man diese schnell zu schätzen wissen“, ist sich Andreas Thomasser sicher. Ein Lieblingsbeispiel des Salzburger Biologen und Botanikers, der am LFI Kräuterpädagogen ausbildet, ist der Giersch. Als Doldenblütler gehört er zur gleichen Familie wie Möhre, Petersilie und Dill. Das Kraut erobert auf stickstoffreichen Böden die Lücken in der Vegetation, so sind gerade Blumenrabatte ein perfektes Siedlungsgebiet. Los wird man den tief wurzelnen Doldenblütler kaum mehr. Dabei ist er eine äußerst nützliche Pflanze, denn der Giersch war schon immer als entwässerndes ‚Gichtkraut‘ bekannt, besitzt eine Extraportion Vitamin C und mehr Mineralstoffe als Grünkohl. „Wer den Giersch nutzen kann, will ihn nie mehr im Garten missen. Er schmeckt roh im Salat, als Pesto oder Spinat. Sogar Limonade kann man aus ihm machen. Eines meiner Lieblingsgerichte ist Giersch-Lauch Omelett“, verrät „Lutzbäuerin“ Barbara.
Auch die Große Brennnessel macht sich gerne im Garten breit, ihre jungen Triebe kommen frisch als Spinat auf den Tisch oder werden als Tee getrocknet. Wer mit dem Nudelholz über die Blätter rollt und die Brennhaare bricht, kann diese sogar roh essen und die getrockneten Samen kommen morgens ins Müsli oder aufs Butterbrot, das gibt Schwung für den Tag.
Oft als Unkraut verschrien ist auch das gelb blühende Barbarakraut, dabei bereichern Blätter und Blüten Salate mit einem würzig-scharfen Kresse Aroma und die ölhaltigen Samen können, im Mörser zerkleinert, als Gewürz verwendet werden. In manchem Wildgarten findet sich vielleicht sogar noch der heute selten gewordene Gute Heinrich. „Den hat man auch wilden Spinat genannt. Er macht sich hervorragend als Füllung für Gnocchi oder Kartoffeltaschen, die Blütenknospen lassen sich wie Spargel zubereiten und aus den Samen hat man früher Brei gemacht.“ Auch die scheinbar nutzloseste Pflanze hat im Garten ihre Aufgabe, erklärt die kräuterkundige Barbara weiter: „Ein Beispiel ist das Springkraut, es zeigt unsere hektische Zeit auf. In der Homöopathie oder in Bachblüten Notfalltropfen nutzt man das Springkraut, um zu beruhigen. Die Menschen, die sich über Springkraut beschweren, sind meist gestresste Personen, und genau denen will das Springkraut zeigen, dass es Zeit ist zurückzufahren und zu sich selbst zu kommen“.
„Wer 10 bis 20 % des Gartens naturbelassen und wild lässt, Kräuterbeete anlegt und Mischrasen mit Klee und Löwenzahn fördert, tut der Natur mehr Gutes, als man auf den ersten Blick sieht. Jede heimische Pflanze, die im Garten Fuß fasst, bringt Lebensraum und Nahrung für bis zu 100 Tierarten. So ist jede zusätzliche Wildpflanze im Garten ein Boost für die Artenvielfalt.“
Andreas Thomasser, Obmann Salzburger Verein für Kräuterpädagogik und Naturvermittlung
Über d‘Almen, durch Wiesen und Wälder
Was gibt es Schöneres als im Frühling auf Berge und durch Wälder zu wandern und die Natur mit all ihren kleinen Wundern zu beobachten. Vor allem mit Kindern ist es spannend, auf Kräuterjagd zu gehen und fette Beute mit nach Hause zu bringen. Neben den Dauerbrennern Löwenzahn und Bärlauch sammelt Barbara im Frühsommer auch Schafgarbe und aromatischen Wilden Majoran. „Aus der Schafgarbe mache ich Tee und als Duftsäckchen im Bett beschützt sie einen gegen schlechte Träume und sorgt für ruhigen Schlaf“, verrät die „Lutzbäuerin“. Aber ihr Tausendsassa für Tier und Mensch ist der Kranewitt. Der wilde Wacholder findet sich bis auf über 2000 Meter und wirkt antiviral, desinfizierend und blutreinigend. Zweige und Nadeln verwendet man zum Räuchern. Essen kann man nur die Beerenzapfen, mit denen auch Schnaps angesetzt wird. „Darum ist die Queen so alt geworden, die trank jeden Tag ihr Stamperl Gin“, scherzt Barbaras Ehemann Hans im Gespräch mit der SALZBURGERIN. Den ganzen Sommer über wachsen hier in den Bergen wilde Minzearten, sie schmecken etwas weniger intensiv, aber oft krautiger als ihre kultivierten Geschwister, werden aber gleich verwendet. Weiter unten, auf schattig feuchtem Wald- und Wiesenboden findet man die kleinen herzförmigen Blätter des Gundermanns, er hilft dabei, Giftstoffe aus unserem Körper zu spülen. „Sein hantiger Geschmack wird zur Delikatesse, wenn man die jungen Blättchen in Schokolade taucht oder auf Süßspeisen serviert“, outet sich Botaniker Andreas Thomasser als Genießer. Auch der Spitzwegerich, der sich hauptsächlich auf Weideflächen wohlfühlt, kann viel mehr als nur herb-krautigen Geschmack in Salate zu bringen. In Butter angebraten, ist er ein Hochgenuss und seine braunen Blütenköpfe schmecken herrlich nussig. In Zuckersirup eingelegt ist er ein perfekter Hustenstiller, der ein natürliches Antibiotikum enthält und Bakterien abtötet. Seine Schleimstoffe dürfen jedoch nicht über 60 Grad erhitzt werden, sonst verlieren sie ihre Wirkung. Bekommt man bei all der Kräuterwanderei dann Blasen an den Füßen, legt man einfach ein Blatt Spitzwegerich darauf, das lässt sie schnell wieder verheilen.
Kräuter sind hier in den Familien schon immer angewendet worden. Wir haben das alte Kräuterwissen erhoben und verschriftlicht, so dass es auch in Zukunft erhalten bleibt und weitergeben werden kann. Die UNESCO hat das Heilwissen der Pinzgauer 2010 als Immaterielles Kulturerbe anerkannt.
Ilse Praher, Geschäftsführerin der TEH-Akademie Unken
Der Frühlingsputz sollte bei den Organen nicht aufhören. Da der Löwenzahn so leberreinigend ist und auch die Galle stärkt,
passt er so gut zum Frühling.
Homöopathin und Heilpraktikerin „Lutzbäuerin“ Barbara Haider
Nahrungsmittel und Heilpflanze zugleich
Wir vergessen oft, dass Bewegung und gesunde Ernährung die beste Gesundheitsprophylaxe sind. „Wer sich mit Kräutern und Heilpflanzen beschäftigt, ist automatisch viel draußen unterwegs. Speziell Waldluft ist voll von sogenannten Terpenen, die einen positiven Effekt auf unser Immunsystem haben“, erklärt Ilse Praher, die als Geschäftsführerin der Akademie für Traditionelle Europäische Heilkunde täglich mit Wildkräutern zu tun hat. Auch die Wirkung der Wildpflanzen unterscheidet sich deutlich von unseren Kulturpflanzen, weiß Biologe Andreas: „Wildpflanzen enthalten besonders viele Bitter- und Scharfstoffe sowie natürliche Antibiotika und auch in Bezug auf Vitamine und Mineralstoffe sind sie oft unschlagbar. Vieles davon wurde bei Kulturpflanzen langsam herausgezüchtet, damit man mehr davon zu sich nehmen kann. Zu viele von diesen sekundären Pflanzeninhaltsstoffen führen in hohen Dosen zu Unbehagen. Von zu viel Löwenzahn pinkeln Kinder zum Beispiel manchmal wieder ins Bett.“ Gerade deshalb ist auch von übermäßigem Konsum abzuraten, denn die Dosis macht das Gift und der Körper muss sich erst langsam an die Intensität der wilden Nahrung gewöhnen. Das Wichtigste ist sowieso, dass nur Pflanzen geerntet werden, die man wirklich kennt, denn viele haben giftige Doppelgänger. So sollte man sich in Kräuterkursen umfassend informieren und mit einigen wenigen Kräutern anfangen, denn auch die Verarbeitung und die Wirkstoffe wollen verstanden werden. Wer genügend Raum für Wildpflanzen im Garten lässt und auch beim Sammeln den Platz immer so verlässt, dass niemand auf den ersten Blick merkt, dass man hier war, der verbindet Genuss und Gesundheit mit der Liebe zur heimischen Artenvielfalt.
Rezept: Giersch-Lauch Omelett von „Lutzbäuerin“ Barbara
Zutaten:
4 Bio Eier
Ca. 10 junge Blätter Giersch
Lauchstange ca. 10 cm
1 EL Bio Milch
Salz, Pfeffer
2 EL Bio Olivenöl
Zubereitung:
Lauch und Giersch klein schneiden und in Öl glasig anrösten.
Eier mit Milch und Gewürzen mischen, über die Giersch-Lauch Mischung gießen, bei geschlossenem Deckel kurz köcheln lassen, zusammenklappen und servieren.
Dazu schmeckt hervorragend Kartoffelsalat mit frischen Löwenzahnblättern.