Therapeuten auf vier Pfoten
Fellige Freunde als Therapeuten? Eine tiergestützte Intervention (TGI) macht es möglich. Denn durch die enge Verknüpfung freundschaftlicher Bande entstehen bei der tiergestützten Therapie nicht nur gesundheitsfördernde Effekte, auch das Selbstbewusstsein wird gestärkt und soziale, emotionale, motorische und geistige Kompetenzen gefördert.
Tiere begleiten uns, seit es Menschen gibt – und so zeigt auch jeglicher positive Kontakt zu einem Tier Wirkung. Das Spektrum reicht vom Streicheln eines Hundes, Füttern von kleinen Nagetieren hin zu Körperübungen auf dem Pferd. Denn durch ihre soziale Interaktion wirken Tiere motivierend. Tiere bieten Kindern und Jugendlichen Erfahrungsräume, in denen sie Selbstvertrauen aufbauen können. Tiere gehen wertfrei auf jeden Menschen zu, reagieren direkt und treten unmittelbar mit uns in Beziehung. Sie spenden aber auch Trost, vermitteln Geborgenheit, Nähe und Wärme, motivieren außerdem zu körperlicher Bewegung. Auf all diesen wertvollen menschlichen Erfahrungen bauen die tiergestützte Therapie und Pädagogik auf, indem sie Tiere auf ihre Aufgabe als Co-Therapeuten vorbereiten und gezielt dafür einsetzen.
Tieren hautnah begegnen
Regina Eisl vom Begegnungshof „Tiere hautnah“ in Wals weiß um die positive Wirkung der Tiere auf die kleinen und größeren Hofbesucher. „Dieser Wunsch, den Menschen die Liebe zu den Tieren erfahrbar zu machen und zu zeigen, welche unglaublichen Weggefährten und wertschätzenden Lebensbegleiter sie sind, verfolgt mich seit meiner Jugendzeit“, erzählt uns Regina Eisl, die nach ihrer Ausbildung zur Volksschullehrerin viele Zusatzausbildungen absolvierte und sich so ihren Traumberuf ermöglichte. Als Diplom-, Reit- und Traumapädagogin sowie zertifizierte Fachkraft für tiergestützte Pädagogik heißt sie seit 2008 Kinder und Jugendliche im Rahmen verschiedenster Angebote und Kurse auf dem Frießeneggergut willkommen.
Glücksgefühl durch Körperkontakt
Welche Tierart für die tiergestützte Therapie oder Pädagogik am besten geeignet ist, ist individuell verschieden und hängt von der Persönlichkeit und den Wünschen des Besuchers ab. Alle Tiere, die Regina Eisl zur Unterstützung ihrer pädagogischen Arbeit einsetzt (Pferde, Ponys, Hunde, Minischweine, Alpakas, Kaninchen, Meerschweinchen, Hühner, Gänse) sind achtsam ausgebildet bzw. dem Menschen behutsam vertraut gemacht.
„Bei der Auswahl der Jungtiere beobachte ich zunächst deren Charakter und ihre Körpersprache“, erläutert Regina Eisl, „etwa ob sie dem Menschen zugewandt und interessiert sind? Wie gehen sie ungewohnte Situationen an? Versuchen sie gleich zu flüchten oder siegt doch die Neugier?“ Am Begegnungshof gewöhnen sich die Tierkinder von klein auf an verschiedenste Geräusche, von Traktoren hin zu Kinderlachen. Auch das Nachahmen ihrer älteren, zukünftigen „Kollegen“ darf beim Lernen nicht unterschätzt werden.
„Für Kinder bedeuten Tiere oft den Zugang zu einer anderen Welt.“
Regina Eisl
„Um mit Kindern und Jugendlichen mit Förderbedarf und meinen Tieren zielorientiert arbeiten zu können, muss man je nach Entwicklungsstand abwägen, welches Tier wann zum Einsatz kommt. Da ist das Um und Auf, seine Tiere sehr gut zu kennen, um eine Umgebung zu schaffen, von der jeder Anwesende profitieren kann“, erläutert Regina Eisl ihre Arbeit am Hof.
Alle Tiere dürfen und sollen in ihrer Interaktion selbstständig handeln, dennoch bleiben Therapeuten und Pädagogen wie Regina Eisl immer verantwortlich für die Gestaltung des Prozesses, um Anzeichen von Stress und Überforderung frühzeitig zu erkennen und den Tieren genügend Freiräume zugestehen zu können. Denn tiergestützte Arbeit muss die Bedürfnisse und das Wohl der eingesetzten Tiere angemessen berücksichtigen.
Welches Tier für welche Diagnose?
Beim ersten Hofrundgang mit den neuen Besuchern stellt sich dann meist ganz schnell heraus, zu welcher Tierart das Kind bzw. der Jugendliche tendiert. Je nach Diagnose (Depression, ADHS…) und Tagesverfassung werden dann gemeinsam Ziele gesetzt. „In den letzten 13 Jahren meiner Arbeit im Bereich der tiergestützten Intervention hat sich gezeigt, dass es nicht unbedingt eine spezielle Tierart ist, welche für eine bestimmte Diagnose passend ist. Vielmehr macht der Charakter des einzelnen Tieres den Unterschied“, erklärt uns Regina Eisl anschaulich anhand ihrer Pferdeherde. Während sich Patienten mit Essstörungen oft zu einem der Miniponys hingezogen fühlen, denen sie ihre Fürsorge und Zuneigung entgegenbringen können, tendieren etwa Patienten mit einem gestörten Sozialverhalten oftmals zu den großen Stuten, die durch ihre ranghohe Stellung in der Herde stark und anmutig wirken. Patienten mit einer Form von Depression sind zu Beginn ihrer TGI-Einheiten oft nicht zu bewegungsreichen Aktivitäten zu motivieren und möchten sich vom Pferd tragen lassen.
„Anderen Tieren unseres Hofes (z. B. Schildkröten, Meerschweinchen) fällt meist eine andere Rolle zu, nämlich die des Beobachtungstieres. In diesem ruhigen Setting fällt es besonders leicht Gespräche zu führen, sich über Interessen, Ziele und Wünsche der Kinder und Jugendlichen auszutauschen“, erzählt uns Regina über die speziellen Eigenheiten jeder Tierart.
„Man kann Kindern nicht früh genug zeigen, wie wunderschön und wertvoll unsere Tier- und Pflanzenwelt ist.“
Regina Eisl
Pferde als Seelentröster
„Vor neun Jahren kam eine Pädagogin der Christian Doppler Klinik auf mich zu und fragte, ob ich mir eine mögliche Kooperation vorstellen könne. Auf Grund der Begeisterung des ganzen CDK-Teams nach den ersten Einheiten auf unserem Hof war klar, das Angebot für diese und auch für weitere Institutionen (pro mente, pro juventute, Integrationsgruppen etc.) auszubauen“, schildert Regina Eisl. Seither statten mehrmals wöchentlich Patienten der CDK Regina Eisl einen Besuch am Begegnungshof ab, um hier unter professioneller Begleitung intensiven Kontakt zu den Pferden zu erleben. Die behandelnden Pädagogen und Therapeuten betonen, wie wertvoll und bereichernd sich diese therapeutische Arbeit auf ihre jungen Patienten auswirkt. Vanessa etwa war ein Mädchen mit Depressionen und selbstverletzendem Verhalten, das vor ihrem tagesklinischen Aufenthalt sozial völlig isoliert lebte, keinen Freundeskreis hatte und sich der eigenen Stärken und Fähigkeiten nicht bewusst war. Durch das Zusammenwirken ihrer Therapien auf der CDK und den Umgang mit den Pferden bei Regina Eisl geschah in wenigen Wochen eine erstaunliche Entwicklung bei dem Mädchen: ihre Körperhaltung war offener, sie konnte einen stabilen Blickkontakt halten, brachte sich plötzlich aktiv ins Gespräch mit anderen Jugendlichen ein und wirkte allgemein lebendiger.
„Da die Kinder und Jugendlichen mein Angebot meist nicht als „Arbeit“ an ihren Problemen wahrnehmen, sondern zunächst eher als einen Ausflug auf den Bauernhof zum Tiere kuscheln, verhalten sie sich ganz natürlich und zeigen sich sehr offen gegenüber den Tieren und mir“, so Regina Eisl.
Wo vor einigen Jahren noch Skepsis herrschte, wurde in den letzten Jahren gezeigt, welches enorme Potenzial in der tiergestützten Arbeit liegt. „Das Verständnis für die unterschiedlichsten Förderbereiche (sozial, emotional, motorisch etc.) hat sich bei den Menschen erweitert und mein Angebot wird aus allen Bereichen (Pädagogen, Therapeuten, sozialen Einrichtungen…) weiterempfohlen“, freut sich Regina Eisl, die jedoch darauf verweist, dass bei der Auswahl an Angeboten dringend auf die Qualifizierung des Anbieters zu achten sei.
Text: Susanne Rosenberger
Fotos: Regina Eisl