Sehnsucht nach Vergangenem
Text: Eva Pittertschatscher
Fotos: Spielzeug Museum Salzburg, www.kaindl-hoenig.com, Schildröt
„Die Quelle alles Guten liegt im Spiel“, lautet ein Zitat Friedrich Fröbels. Ob sich der Pädagoge und Pionier der Bauklötze jemals hätte träumen lassen, wie beliebt Spielzeug einmal für Groß und Klein sein würde? Die SALZBURGERIN ist auf Spurensuche gegangen, nach Nostalgiespielzeug für Groß und Klein.
Immer, wenn sie auf Reisen sind, kommen sie an Spielen nicht vorbei. Dann sitzt sie im Nu im heißen Sand der Wüste und beobachtet die in lange Kleider gehüllten Männer beim Spielen. Und sie erobert das eine oder andere Spielecafé, um zu sehen, welche Spiele am anderen Ende der Welt gespielt werden. Er hingegen ist noch heute stolz auf ein ganz besonderes Brettspiel: ein Backgammon mit Perlmutt und Spielsteinen aus Büffelhorn und Kamelknochen. Manchmal nehmen die beiden ein altes, gebrauchtes Spiel dann mit nach Hause und schicken dafür ein neues in die weite Welt hinaus. „Die Leute können oft überhaupt nicht verstehen, warum ich unbedingt das alte Spiel haben will“, erzählt Adele Liedl. „Ich bin jedes Mal einfach nur fasziniert, wenn da eine Gruppe Spieler sitzt und die Welt um sich herum vergisst“, so Harald Brandner.
Ein Leben für das Spielzeug
Seit mehr als 30 Jahren führt das Ehepaar Adele Liedl und Harald Brandner die Spielzeugschachtel Salzburg. Tagtäglich leben sie in einem Kosmos voller Spiele für Groß und Klein. Denn: „Spielzeug ist keine Sache nur für die Jüngsten“, sagen sie. Immer mehr Erwachsene verirren sich ins Spielzeuggeschäft. „Dort finden sie Spielsachen, die sie an ihre Kindheit erinnern, und suchen speziell Dinge, die sie wieder haben wollen. Erwachsene werden dann wieder zu Kindern“, sagt Adele Liedl. Das Ehepaar lebt seine Arbeit auch zuhause. Neben zahlreichen alten wie neuen Brett- und Kartenspielen finden sich in ihrem Haus eine alte Murmelbahn aus Holz, ein ebenso uriges, grünes Holzkrokodil oder ein zusammengesetzter Richter Anker-Steinbaukasten. „Das besondere an diesem Steinbaukasten ist der Geruch!“, schwärmt Adele Liedl über ihren 45 Jahre alten Steinbaukasten.
Die Sehnsucht nach Nostalgie
Dass Erwachsene Spielzeugläden aufsuchen und sich wie kleine Kinder darüber freuen, wenn sie ein Spiel aus ihrer Kindheit wiederfinden, und auch zuhause beinahe ein jeder ein Stück der Kindheit aufbewahrt, liegt in dieser Sehnsucht begründet. „Die psychologische Erklärung dafür, die sich bereits seit drei Jahrzehnten hält, und heute noch Stand der Wissenschaft ist, stammt von dem Psychoanalytiker Donald Woods Winnicott“, sagt Rainer Buland, Leiter des Instituts für Spieleforschung in Salzburg. „Bei dem ersten Teddybären und ersten Spielzeug, das man als kleines Kind bekommt, handelt es sich um Übergangsobjekte: Die Mutter gibt ein Kind immer einmal weg. Dieses empfindet den Teddy als lebendiges Übergangsobjekt, das während der Abwesenheit der Mutter auf das Kind aufpasst. Dadurch entwickelt das Kind ein sehr inniges Verhältnis zu seinen Spielsachen“, erläutert Buland. Und diese lassen ein Kind auch im Erwachsenenalter nicht mehr los. Die Folge: eine Sehnsucht nach den Dingen der Vergangenheit. So werden Teddy und Co zu lebenslangen Begleitern, die auch wieder neu gesucht werden, sollten sie irgendwann verloren gegangen sein.
Altes wieder neu
Ist die Sehnsucht nach dem Vergangenen also der Grund dafür, dass Retrospielzeug heute so beliebt ist? „Ja, es ist ein Grund dafür, dass Altes immer wieder neu produziert wird“, sagt Buland. Der Begriff Retro- und Nostalgiespielzeug nimmt dabei in den 1960er-Jahren seinen Anfang. Die in diese Zeit Geborenen seien mittlerweile Spieler der zweiten und dritten Generation, die sich nicht nur nach ihrem alten Spielzeug sehnen, sondern es – erprobt und in guter Erinnerung – auch für ihre eigenen Kinder wiederhaben möchten. Oder aber sie wollen die Spiele ihrer Zeit wieder in Neuauflage für sich selbst, weil das alte Spiel bereits unvollständig und/oder abgenutzt ist. So werden die Spiele in Folge wieder neu aufgelegt – als Retro- und Nostalgiespielzeug. Altes wird also neu produziert, und mit Neuem lässt sich zurück in die Vergangenheit reisen. Das Material, die Ästhetik und die einfache Lust am Spiel sind dabei seit jeher die vorherrschenden Kriterien für ein gutes Spiel – und das bei Groß und Klein.
Geschichten über das Spielzeug
Tausende Objekte alter Spielsachen sind heute im Spielzeug Museum Salzburg gelagert. Den Anfang machte einst die Sammlerin und 1902 in Wien geborene Gabriele Folk, die seit 1972 in Salzburg lebte. Ihrer Sammel-Leidenschaft verdankt das Spielzeug Museum heute seine große Bandbreite an Schätzen. Auch ihre selbstgebaute Arche Noah ist hier zu finden. Von Zeit zu Zeit werden aufbewahrte Spielsachen für Ausstellungen aus dem Fundus geholt. Manche von ihnen sind dauerhaft zu besichtigen. So zum Beispiel ein goldenes Ringelspiel aus dem Jahr 1910, mit Figuren in historischer Kleidung und detailgetreuen Schaukeln. „Es war ein sehr begehrtes und geliebtes Spielzeug eines kleinen Jungen, der es später seiner Tochter vermachte“, erzählt die Leiterin des Spielzeug Museums, Karin Rachbauer-Lehenauer. Als alte Dame schenkte die Tochter das Karussell schließlich dem Museum. Im Erdgeschoß fällt ein blaues Kunststoffboot, der „Zugvogel“, ins Auge. Wird es heute als Spielzeug betrachtet, war es früher ein kleines, kindgerechtes Segelboot zum Erlernen des Sports an den bayerischen Seen. „Gefertigt für ein Kind, wollte sich der Beschenkte später nicht mehr von seinem Boot trennen und übergab es schließlich dem Museum, mit dem Wissen, dass es gut aufgehoben ist“, so Karin Rachbauer-Lehenauer.
Spiele als Spiegel der Kultur
„Spiele sind Spiegel der Kultur und aus einer Gesellschaft nicht wegzudenken. Sie können dem Zeitvertreib dienen, welcher auch die Gruppe und das gemeinsame Miteinander stärkt. Und sie können auch ein Training sein“, sagt Karin Rachbauer-Lehenauer. So haben Spielsachen, neben dem grundlegenden Bedürfnis des Spielens, einen pädagogischen Wert. Puppen zum Beispiel waren nicht immer zum bloßen Spielen gedacht. „Das richtige Hantieren mit Puppen war oft eine Vorbereitung dazu, um auf kleinere Geschwister aufpassen zu lernen“, erklärt Rachbauer-Lehenauer. Und Spielsachen gehen im wahrsten Sinne des Wortes auch mit der Mode. So wurden Puppen auch als Modelle für die Kleider der Damen verwendet. Dass ein Spielzeug nicht „zerspielt“ ist, ist eine der Voraussetzungen, dass es eine Heimat im Museum finden kann. Oft bleiben die alten Schätze jedoch auch ein Leben lang bei ihren Besitzern, werden nach Jahren wiedergefunden und sind dann unersetzliche Erinnerungsstücke an die Kindheit. Teddy und Puppe der Kindheit sind so auch bei Adele Liedl und Harald Brandner zuhause. „Dieser Teddy war einmal so groß wie ich“, erzählt Harald Brandner und zeigt auf den hellbraunen Bären. „Und dann war er plötzlich verschwunden. Zum 40. Geburtstag hat ihn mir meine Schwester dann wieder gebracht.“ Und ist Adele Liedl auch nie eine „klassische Puppenspielerin“ gewesen, wie sie sagt, so hat doch eine alte, mit Holzwolle gefüllte Puppe der Kindheit ihren Weg wieder zu ihr nach Hause geschafft. „Meine Mutter hat sie mir irgendwann einmal geschenkt, und jetzt gehört sie hierher und ist eine besondere Kindheitserinnerung für mich.“
Das Kind im Manne
Väter und Söhne, große und kleine Sammler, erstehen die Anker-Steinbaukästen heute selbst nur der Steine wegen, und irgendwann sind sie im wahrsten Sinne des Wortes stein-reich, so Sammler Gerhart Bruckmann in einem Aufsatz. Mit Grund- und Ergänzungskästen ließen sich mit den Steinen schließlich Schlösser, Kirchen, Türme und viele andere Bauwerke errichten und nachbauen. Und irgendwann könne man mit den Steinen dann Bauten (fast) beliebiger Größen errichten, entweder nach freier Fantasie, oder als Nachbauten historischer Bauwerke. In Österreich hat so zum Beispiel Max Kaindl-Hönig 1921 den Linzer Dom nachgebaut! Und Bruckmann selbst hat einst auf der Schallaburg mit den Steinen von Kaindl-Hönig das Wiener Rathaus geschaffen. In jedem Fall: „All dies kostet viel Liebe, viel Zeit – und eine verständnisvolle Familie“, so Bruckmann.
Geschichte der Steine
Der Richter Anker-Steinbaukasten wird noch heute von Hand hergestellt und besteht zu hundert Prozent aus natürlichen Materialien wie Kreide, Quarzsand, Farbpigmenten und Leinöl. Ihren Anfang nimmt die Geschichte der Steine im 19. Jahrhundert. 1840 entwickelt Friedrich Fröbel den ersten Baukasten als Holz. Sein Gedanke: die Herstellung von Normbausteinen als erzieherisches Mittel zur Förderung und Kreativität. 35 Jahre später entdecken die Brüder Otto und Gustav Lilienthal eine Methode, aus Quarzsand, pulverisiertem Kalk und Leinölfirnis Mineralbausteine herzustellen. 1880 verkaufen die Brüder ihre Verfahren an Friedrich Adolf Richter. Zwei Jahre später erfolgt der Bau der Produktionsstätten von „Richter Anker-Steinbaukästen“. 1884 werden die ersten vier Steinbaukästen als Serien auf den Markt gebracht.
Schildkröt Puppe, Holzeisenbahn und Co.
Als älteste Puppenmanufaktur der Welt produziert Schildkröt seit 120 Jahren Puppen.
Die Carrera-Rennbahn begeistert seit nunmehr einem halben Jahrhundert Generationen.
Mit Holzeisenbahnen werden heute richtige kleine Wunderwelten erschaffen. Jüngstes Beispiel: Seit 20. Juni locken die weltweit größten Modelleisenbahnen in das Berchtesgadener Land.
Hans Peter Porsche hat dort ein TraumWerk erschaffen.
Besonderer Beliebtheit erfreuen sich auch noch heute die Klapp- und Schiebebücher. Die Sammlung von Hildegard Krahé ist international bekannt und findet sich im Spielzeug Museum Salzburg.