Die Schmetterlingsdrüse
Text: Susanne Rosenberger
Fotos: adobe.stock.com, Chris Rogl, Mike Vogl,
Dr. Schaffler; adobe.stock.com – Henrie, shidlovski, burdun,
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Das paarige Organ liegt wie ein Schild vor der Luftröhre im Hals, ähnelt in der Form einem Schmetterling und gilt als zentrale Hormon-Schaltstelle im Körper: die Schilddrüse. Ein kleines Organ vollbringt große Leistung, kann aber bei einer Funktionsstörung auch den gesamten Stoffwechsel durcheinanderwirbeln.
Eine Erkrankung der Schilddrüse kann verschiedenste Ursachen haben und bedarf einer speziellen Behandlung. Doch welcher Arzt ist für die Schilddrüse zuständig? Bei welchen Spezialisten kann ich mich beraten lassen? Diese Fragen stellen sich betroffene Patienten häufig, sobald ein Problem mit der Schilddrüse auftaucht. Grundsätzlich wird die Schilddrüse im Rahmen des jährlichen GesundheitsChecks beim Hausarzt untersucht. Besteht der Verdacht auf eine Schilddrüsenerkrankung, kann durch Basisuntersuchungen wie Blutabnahme und Kontrolle der Hormonwerte eine Erstdiagnose vorgenommen werden. Schilddrüsenerkrankungen werden in weiterer Folge von Ärzten unterschiedlichster Fachrichtungen untersucht und behandelt: Nuklearmediziner, Endokrinologen sowie Chirurgen und HNO-Ärzte. Um dem Patienten ein unnötiges Untersuchungs-Labyrinth zu ersparen, tut es gut zu wissen, an welche Experten man sich wenden kann.
„Schilddrüsenerkrankungen sind sehr häufig und können in jedem Alter auftreten, Frauen sind davon deutlich häufiger betroffen als Männer. Etwa ein Drittel der Bevölkerung erfährt während des Lebens eine Form der Schilddrüsenerkrankung – eine Funktionsstörung (Über- oder Unterfunktion), Entzündung oder eine Knotenbildung. Eingehende Untersuchungen beim Spezialisten entscheiden, ob eine konservative Behandlung mit Tabletten ausreicht oder ob in speziellen Fällen eine Operation notwendig ist“, fasst Dr. Agnes Gruber, Wahlärztin für Allgemeinmedizin, Allgemein- und Viszeralchirurgie, die Häufigkeit und den Verlauf von Schilddrüsenerkrankungen zusammen.
Das Gaspedal des Körpers
Die Schilddrüse zählt zu den endokrinen Organen unseres Körpers, sie schüttet ständig Botenstoffe aus und beeinflusst damit unseren gesamten Organismus. Die Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) wirken als Energielieferant für zahlreiche Körper- und Organfunktionen, während das Hormon Calcitonin den Calcium-, Phosphat- und Knochenstoffwechsel steuert. Wird dieser Hormonhaushalt gestört, können sich Funktionsstörungen ausbilden.
Schilddrüsenhormone wirken wie ein Gaspedal auf die Funktionen von Körper und Seele – entweder übertourig bei einer Überfunktion oder untertourig bei einer Unterfunktion. Fühlt man sich innerlich unruhig, aufgekratzt und psychisch labil, leidet an Schlaflosigkeit, Gewichtsabnahme, Blutdruckerhöhung, Schweißausbrüchen, Händezittern und Durchfall, deutet alles auf eine Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) hin. Wer über gegenteilige Symptome klagt, etwa Müdigkeit, Gewichtszunahme, Verstopfung, Kälteempfindlichkeit, trockene Haare sowie Libido- und Potenzstörung, verfügt über einen zu niedrigen Grundumsatz und sollte sich auf eine Hypothyreose (Unterfunktion) untersuchen lassen.
„Durch die Bestimmung spezieller Blutwerte und ein ausführliches Gespräch wird eine Unter- oder Überfunktion festgestellt. Die Ursache der Funktionsstörung gehört weiter durch bildgebende Verfahren wie eine Ultraschalluntersuchung und eine Szintigraphie durch den Nuklearmediziner abgeklärt. In den allermeisten Fällen wird danach eine medikamentöse Behandlung begonnen. In seltenen Fällen können nach den Basisuntersuchungen weitere diagnostische Schritte erforderlich werden“, so die Schilddrüsen-Expertin Dr. Agnes Gruber.
In gesundem Zustand hat das Organ die Größe einer Walnuss und wiegt bei einem Erwachsenen zwischen 18 (Frauen) und 25 Gramm (Männer). Bei einer krankhaften Vergrößerung der Schilddrüse (Struma, umgangssprachlich „Kropf“) kommt es zu einer deutlichen Volumenzunahme des Organs, meist durch Jodmangel bedingt. Jod muss über die Nahrung zugeführt werden, da es der Körper nicht selbst produzieren kann. Gute Jodquellen sind Fisch, Algen und grüne Gemüsesorten wie Brokkoli, Spinat oder Feldsalat. Auch das Spurenelement Selen (etwa in Nüssen, Haferflocken, Eiern, Vollkornbrot) ist essenziell für den Stoffwechsel, da es für die Bildung und Balance der Schilddrüsenhormone mitverantwortlich ist. Neben einer vergrößerten Schilddrüse sind auch Knotenbildungen sowie Schilddrüsen-Entzündungen (Thyreoiditis) – hier vor allem die Autoimmunerkrankungen Hashimoto und Morbus Basedow – verbreitet. Schilddrüsentumore kommen hingegen vergleichsweise selten vor.
Diagnostik bei Knoten
„Die Diagnostik einer krankhaften Veränderung der Schilddrüse umfasst neben der klinischen Anamnese und Laboruntersuchung die gezielte apparative Abklärung bestehend aus hochauflösender Sonographie, Szintigraphie, die Durchführung einer Schilddrüsengewebsuntersuchung mittels Feinnadelbiopsie, sowie gegebenenfalls spezielle Röntgenuntersuchungen“, erläutert Primar Dr. Helmut Weiss, Vorstand der Abteilung für Chirurgie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Salzburg, die diagnostische Vorgehensweise.
Laut Schätzungen haben fast ein Drittel der Österreicher Knoten in der Schilddrüse. Durch den Einsatz moderner Bildgebung – also Ultraschall und Szintigraphie – können Knoten schonend und schmerzfrei untersucht werden. Mittels Sonographie wird dabei die Lage, Form und Binnenstruktur des Knotens beurteilt. Die Szintigraphie hingegen ist eine nuklearmedizinische Untersuchung, welche die Beurteilung des Stoffwechsels der Schilddrüse, aber auch einzelner Knoten, ermöglicht. „Auch wenn die Patienten häufig beschwerdefrei sind, empfiehlt es sich dennoch, jeden Knoten genau zu untersuchen, um festzustellen, ob es sich um einen harmlosen oder um einen behandlungsbedürftigen Knoten handelt, aus dem sich etwa ein Schilddrüsenkarzinom entwickeln kann“, rät der Nuklearmediziner Dr. Gottfried Schaffler.
Die Farbdopplersonographie ist ein neueres Verfahren zur Beurteilung der Durchblutung von Schilddrüsenknoten. Denn das Wissen über das Vorliegen eines „heißen“ (hyperfunktionellen) oder eines „kalten“ (hypofunktionellen) Knotens ist für das weitere diagnostische oder therapeutische Vorgehen wichtig. „Gerade bei Schilddrüsenknoten, die szintigraphisch nicht am Stoffwechsel teilnehmen, muss an ein Schilddrüsenkarzinom gedacht werden“, klärt uns Dr. Schaffler, Facharzt für Radiologie und Nuklearmedizin, auf.
Alternativen zur Operation
Bereiten heiße oder kalte Knoten Beschwerden, stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung: eine Behandlung mit Medikamenten, eine Radiojodtherapie (Bestrahlung) oder eine Radiofrequenzablation. Bei sehr stoffwechselaktiven, sogenannten „heißen“ Knoten kommt die Radiojodtherapie zum Einsatz. Dabei bekommen die Patienten winzige Mengen radioaktiven Jods verabreicht, welches in den Schilddrüsenzellen angereichert wird und dort gezielt Gewebe zerstört.
Die Radiofrequenzablation – durch die Verödung des Knotens durch Hitzeentwicklung wird dieses Verfahren auch Thermoablation genannt – kann ohne Vollnarkose ambulant durchgeführt werden. „Da mit dieser schonenden Art nur das kranke Gewebe der Schilddrüse entfernt wird, ist die nach einer Schilddrüsenoperation typischerweise lebenslange Einnahme von Schilddrüsenhormon nicht notwendig“, erklärt Dr. Schaffler den Vorteil einer Thermoablation, gibt jedoch zu bedenken: „Hypofunktionelle „kalte“ Knoten müssen vor einer Thermoablation genau abgeklärt werden. Besteht nur der kleinste Verdacht auf Malignität (Bösartigkeit), muss weiterhin operiert werden.“
Entfernung der Schilddrüse
Wenn die bildgebenden Befunde eine Bösartigkeit nicht ausschließen können, wenn die konservative Therapie einer Überfunktion nicht mit Tabletten beherrschbar ist oder bei einer vergrößerten Schilddrüse, die dem Patienten mechanische Probleme verursacht, muss an eine vollständige operative Entfernung des Organs gedacht werden. Hier treten Spezialisten für Schilddrüsen-Chirurgie auf den Plan: „Die Tendenz bei Schilddrüsen-Operationen geht eindeutig in Richtung Funktionserhaltung. Bei nicht bösartigen Erkrankungen versucht man, das Ausmaß der Operation auf den kranken Teil der Schilddrüse zu beschränken, um möglichst viel gesundes Schilddrüsengewebe zu erhalten“, erläutert Dr. Agnes Gruber.
Ein häufiger Grund für die verzögerte Operation ist die Angst der Patienten vor einer entstellenden Narbe am Hals. Bis sich die Patienten zur OP durchringen, dauert es oft eine Ewigkeit. Die klassische Operation am Hals bringt heute zwar nur noch eine sehr kleine Narbe mit sich, dennoch können sich nach der Operation wuchernde Narben, sogenannte Keloidnarben, bilden. Dabei ist die Veranlagung zur Narbenbildung sehr individuell, auch bestimmte Grunderkrankungen, wie z. B. Diabetes mellitus, können die Wundheilung negativ beeinflussen.
Narbenfreie Operationsmethode
Als einzige narbenfreie minimalinvasive Methode gilt derzeit der Zugang über die Mundhöhle. Die Operation wird hier über die Innenseite der Unterlippe als Trans-Oral Endoscopic Thyroidextomy Vestibular Approach (TOETVA) durchgeführt. Dabei werden die Instrumente und eine kleine Kamera über einen transoralen Zugang in der Mundschleimhaut bis zur Schilddrüse vorgeschoben. Die wenige Millimeter langen Schnitte heilen in der Regel schneller ab als bei der herkömmlichen Methode und hinterlassen keine Narben.
An der Chirurgischen Abteilung am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Salzburg wurde im Oktober 2021 erstmals weltweit die neue Technik der Single-Port TOETVA durchgeführt: „Diese neue Methode besticht nicht nur durch eine verbesserte Kosmetik durch Narbenfreiheit am Hals, sondern reduziert außerdem die Schmerzempfindung ab dem ersten postoperativen Tag. Neben den intraoperativen Vorteilen profitieren die Patienten von einem narbenfreien Dekolleté“, klärt uns Primar Dr. Weiss, Leiter der Chirurgie, über die Vorteile der neuen Operationstechnik auf.