Racing Girls
Text: Doris Thallinger
Fotos: Gruppe C Photography / Joel Kernasenko, privat
Motorrennsport ist rasant, actionreich und leider nach wie vor von Männern dominiert. Nur 1,5 % aller Rennlizenzen befinden sich in weiblicher Hand.
Vor allem in der Königsklasse, der Formel 1, sind es gerade eine Handvoll Frauen, die aktiv Renngeschichte schreiben konnten. Die bis heute erfolgreichste Frau ist Lella Lombardi, die 1975 beim Großen Preis von Spanien als Einzige bislang in die Punkteränge fuhr und insgesamt 12 Rennen in der Formel 1 absolvierte. Die allererste Frau im Formel-1-Cockpit war jedoch die Italienerin Maria Teresa de Filippis, die schon im Jahr 1958 den Großen Preis von Belgien bestritt! Einige weitere Fahrerinnen schafften es in den vergangenen Jahrzehnten zumindest ins Qualifying und waren erfolgreich als Test- und Entwicklungsfahrerinnen.
Große Hoffnungsträgerin war unter anderem Susie Wolff, die beim Großen Preis von Silverstone 2014 als erste Frau seit 22 Jahren an einem Formel-1-Rennwochenende teilnahm. Nur ein Jahr später nahm sie ihren Abschied vom aktiven Motorsport – die Formel 1 war offensichtlich zu diesem Zeitpunkt nicht bereit für Formel-1-Pilotinnen. „Im Moment ist die Britin Jamie Chadwick sehr stark als Testfahrerin für das Williams F1 Team. Ich denke, sie hat derzeit das größte Potenzial, als Rennfahrerin in der Formel 1 punkten zu können“, analysiert die Motorsportexpertin Claudia Maur die aktuelle Situation.
Einblicke in die Welt des Motorsports
Mit ihrer Einschätzung mag Claudia Maur sicherlich richtig liegen, kennt sie den Motorsport und den Formel-1-Zirkus in- und auswendig. Sie selbst wird bereits in ganz jungen Jahren mit dem Renn-Fieber infiziert: „Mein Vater war Hobbyrennfahrer im Kart-Sport – so habe ich schon mit zwei, drei Jahren bei ihm am Schoß meine ersten Runden gedreht!“
Mit acht bekommt sie ihr erstes eigenes Kart und von da an dreht sich in den folgenden Jahren alles um den Rennsport. „Von meinem 8. bis zum 17. Lebensjahr war Kartfahren mein Lebensinhalt!“ Neben der Leidenschaft und dem Talent waren auch der Wille und der Ehrgeiz vorhanden. „Ich bin immer drangeblieben und hab mich weiterentwickelt, habe nach dem Kartsport noch diverse Nachwuchssichtungen in den Formelnachwuchsklassen erfolgreich absolviert.“ Und auch wenn die damals 17-jährige Claudia Maur sich qualifiziert und die Möglichkeit hat, vorne mitzufahren, scheitert es schließlich am Finanziellen. „Die Kosten für Material, die Reisen, die Startgebühren sind damals explodiert – und Sponsoren waren kaum zu finden. So habe ich mit 17 Jahren mein aktives Rennsportleben hinter mir gelassen“, blickt sie – durchaus wehmütig – zurück.
Dem Motorsport jedoch ist sie treu geblieben. Nach wechselnden Stationen in den unterschiedlichen Bereichen ist sie heute u. a. als Operations Manager im Weltmotorsportverband FIA tätig, wo sie das Projekt „Girls on Track“ leitet. „Von allen lizenzierten Rennfahrern dieser Welt schaffen es nur die wenigsten an die Spitze. Und wenn nur 1,5 % aller Fahrer weiblich sind, es also schon beim Nachwuchs so sehr an Frauen und Mädchen fehlt, ist es unwahrscheinlich, dass viele Frauen unter den Besten mitfahren“, macht Maur deutlich, „darum zielt unser Programm auf Mädchen ab 8 Jahren ab. Je mehr in diesen Sport einsteigen, umso eher werden wir auch Erfolge für Frauen in dieser Männerdomäne erleben!“
Um den weiblichen Anteil zu erhöhen, haben bei „Girls on Track“ Mädchen und junge Frauen von 8 bis 18 Jahren die Chance, alle relevanten Aspekte des Motorsports, die Faszination dieser Branche samt all ihrer facettenreichen Berufsbilder hautnah zu erleben. „Wir bieten bei unseren Live Veranstaltungen, die im Rahmen von großen Motorsport Veranstaltungen wie der Formel E oder Formel 1 stattfinden, Workshops in den unterschiedlichsten Bereichen, zeigen die Basics der einzelnen Berufe – vom Media-Workshop über unterschiedliche MINT-Aktivitäten, bis hin zu Fitness- und Ernährungskunde. Ein Besuch der Race Control, des Media Centers und Medical Centers sowie Boxenführungen bei den Teams gehören ebenso zum Programm.“ Als Highlight dürfen alle Mädchen erste Fahrversuche in einem Rennsimulator machen, bevor sie dann ihre ersten Runden in einem Kart drehen. Generell seien schon viele Frauen im Motorsport tätig, betont Maur: „Und zwar schon lange nicht mehr nur im Catering oder als Hostessen. Besonders im Medienbereich sind Frauen stark vertreten, aber es gibt heute schon viele sehr erfolgreiche Ingenieurinnen. Zum Teil sind rund 30 % der Jobs in den Motorsportteams von Frauen besetzt, was für eine solche Männerdomäne sehr gut ist!“
Woran liegt es dann, dass im Jahr 2021 ein so geringer Anteil der Rennfahrer weiblich ist? „Das liegt an unserer Gesellschaft. Sicherlich ist es heute sehr viel besser als noch vor einigen Jahren, aber immer noch lernen Mädchen, dass Autos und Technik den Jungs vorbehalten sind und verlieren so ihr Interesse und darüber hinaus ihr Selbstbewusstsein. In der Hinsicht gibt es – nicht nur im Motorsport – noch viel zu tun!“
Von fehlenden Idolen und „Rising Stars“
Zudem fehlen im Motorsport weibliche Idole und große Vorbilder. Während rennbegeisterte Burschen einem Lewis Hamilton nacheifern, gibt es für Mädchen wenige (bekannte) Namen, mit denen sie sich identifizieren können. „Weibliche Fahrer werden weniger promotet, auch wenn sie Erfolge einfahren“, bekräftigt Claudia Maur. Dabei gibt es sehr wohl Frauen, die es wert sind, sie zu erwähnen, wie z. B. Michèle Mouton, die Rallye-Vize-Weltmeisterin 1985, Ellen Lohr im Formel- sowie im Tourenwagensport, Jutta Kleinschmidt, die Gesamtsiegerin der Rallye Paris-Dakar 2001, Danica Patrick, die erste Siegerin der Indy Cars Series (2008) sowie aktuell beispielsweise die Schweizerin Simona de Silvestro (Indy Cars & Formel E), Sophia Flörsch in der Formel 3 oder die kolumbianische Formel-1-Testfahrerin Tatiana Calderón.
Eine, von der man sicherlich noch viel hören wird, ist die erst 16-jährige Niederländerin Maya Weug, die – als Gewinnerin der FIA Girls on Track – Rising Stars – dieses Jahr als erste Frau an der Ferrari Driver Academy aufgenommen wurde!
Im Rahmen dieses Programms ist die FIA seit 2020 international auf der Suche nach weiblichen Talenten und potenziellen künftigen Formel-1-Pilotinnen. 12 Mädchen absolvierten vergangenes Jahr erstmals die zwei Trainingscamps mit Fokus auf Kartsport und Formel 4; die vier vielversprechendsten Fahrerinnen durften im Anschluss an einem einwöchigen Training der Ferrari Driver Academy teilnehmen, aus dem schließlich Maya Weug als Siegerin hervorging. Neben dem begehrten Platz an der Ferrari Driver Academy konnte sie sich damit den Vertrag in der Formel-4-Saison 2021 sichern. Auf jeden Fall vier Jahre wird das Projekt Girls on Track – Rising Stars fortgeführt – bei Erfolg ist eine Verlängerung nicht ausgeschlossen.
Für die Zukunft wünscht sich Claudia Maur noch mehr Förderprogramme für junge Motorsportinteressierte sowie generell mehr gesellschaftliche Unterstützung für Mädchen und junge Frauen, die ihren Weg gehen wollen: „Wir versuchen, Vorbilder zu schaffen, um dem weiblichen Nachwuchs zu zeigen, dass es nichts gibt, was ein Mädchen nicht kann!“
Interview
„Respekt muss man sich erkämpfen“
Mit 12 entdeckt die Salzburgerin Laura Kraihamer die Liebe zum Kartsport. Heute fährt die 30-jährige KTM Werkspilotin in der DTM Trophy und der Nürburgring Langstreckenmeisterschaft ihren Konkurrenten davon.
Wie bist du zum Motorsport gekommen und wann war für dich klar, dass du diesen Weg beruflich einschlagen möchtest?
Die Begeisterung für Autos hatte ich immer schon in mir, wir haben als Familie zum Beispiel immer gern Formel 1 geschaut, jedoch der Konnex zum aktiven Motorsport war nicht gegeben. Durch einen Zufall haben mein Vater und mein großer Bruder die Möglichkeit bekommen, Rennkarts zu testen. Natürlich wollte ich als kleine Schwester immer dabei sein und hab ein Jahr lang beobachtet, wie mein Bruder Kart-Rennen fährt. Gegen Ende der Saison, als ich 12 war, habe auch ich es versuchen dürfen und war sofort vollauf begeistert. Den Gedanken, das jemals beruflich zu machen, hatte ich natürlich damals noch nicht im Entferntesten.
Direkt ins Renngeschehen bist du erst „im hohen Alter“ von 22 eingestiegen. Warum dann so spät?
Mir war beim Kartfahren, mit 14, 15 Jahren schon klar, dass ich es professionell betreiben möchte. Man investiert so viel Zeit, ist Wochen unterwegs, neben dem Lernen für die Schule bleibt für nichts Weiteres Zeit. Es nimmt so viel Zeit, Leidenschaft und Energie ein, dass du es entweder ordentlich machst oder gar nicht. Leider musste ich mit 16 Jahren aufhören, weil die Finanzierung nicht mehr gegeben war. Ich hab dann nach der Matura Recht und Wirtschaft studiert, aber durch meinen Bruder das Renngeschehen immer miterleben können. Und IMMER gehofft, dass ich die Chance bekomme, doch noch einzusteigen.
Was ist dann mit 22 passiert, dass es doch geklappt hat?
Mein Vater hat immer versucht, einen Weg zu finden, damit ich weiter fahren kann. Damals gab es die KTM X-Bow Battle, den Markenpokal von KTM, bei dem nur die offenen KTM X-Bows gefahren sind, die mit 360 PS relativ stark und mit 810 kg sehr leicht sind. Ohne ABS, ohne Traktionskontrolle, komplett fahrdynamisch, back to the roots, sodass du wirklich Autofahren lernst. KTM hat damals ein Mädel für diese Rennserie gesucht und hat mir ein super Angebot gemacht. Im ersten Jahr hab ich ständig eine drauf bekommen. Ich war zu selbstbewusst, ich dachte, ich komm vom Kartfahren, ich kann das schon. Gar nichts hab ich gekonnt, schon gar nicht nach der langen Pause. Ich bin nicht mit unsagbarem Talent gesegnet, ich habe Talent, aber bin kein Ausnahmetalent. Dafür bin ich eine harte Arbeiterin und hab unfassbar viel Leidenschaft in mir. Und damit kannst du es wirklich sehr, sehr weit schaffen. Nachdem ich mir also im ersten Jahr die Hörner abgestoßen habe, habe ich im zweiten Jahr dann die Langstrecke gewonnen, bin im Sprint Zweite in der Meisterschaft geworden und habe ein paar Podien einfahren können.
Was waren bislang deine wichtigsten Erfolge und Meilensteine als Rennfahrerin?
Da fallen mir konkret zwei ein: Ich bin 2018 mein allererstes 24-h-Rennen gefahren und zwar am Nürburgring. Das ist eines der größten Langstreckenrennen der Welt, neben Spa, Bathurst und Le Mans. Am Nürburgring sind 100.000 Zuschauer auf einer Strecke von über 26 km, mit 80 Kurven. Es ist unfassbar intensiv, auch gefährlich, aber genial. 2018 war für mich auch das Jahr, in dem das KTM-Thema so richtig Dynamik aufgenommen hat. Ich war 30 Wochenenden unterwegs – aus dem Nichts. Ich hab das am Ende des Jahres gar nicht mehr alles verarbeiten können. Wahrscheinlich war es bisher das genialste Jahr meines Lebens! Mir ist einfach alles aufgegangen. Der zweite Meilenstein war 2019 das 24-h-Rennen von Barcelona. Dort sind wir zum ersten Mal mit dem Prototyp unseres neu entwickelten Autos gefahren, das war die Feuertaufe für das Auto. Wir hatten keine großen Erwartungen und haben dann gleich in unserer Klasse gewonnen und sind gesamt 9. geworden, vor manchem GT3. Das war ein Mega-Achievement.
Wie geht es dir als Frau im Motorsport?
Gut! Als ich mit dem Kartfahren angefangen habe, war es allerdings noch schräg. Bei der Europameisterschaft waren wir zwei Mädels unter 300 Kartfahrern. Damals habe ich schon auch Gegenwind bekommen, in Form von „Was tut die Frau am Rennplatz?“ oder „Die macht das nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen“. Im ersten Jahr, in dem ich dann im Autorennsport aktiv war, haben sich alle ein bisschen bestätigt gefühlt. Im zweiten Jahr, je weiter ich nach vorne gekommen bin, desto mehr Diskussionen sind entstanden: „Bist du noch vor der Laura oder bist du hinter Laura?“ Das war eine schwierige Phase, bis weniger vor mir als hinter mir waren. Dann dreht es sich und du fängst an, dir Respekt zu erkämpfen. Irgendwann erreichst du den Status und wirst gefühlt behandelt wie ein Mann.