Mit Herz und Seele
Text: Christina Kaindl-Hönig
Fotos: Günther Egger, VOGL-PERSPEKTIVE.AT - Mike Vogl, Matthias Horn
Gregor Bloéb spielt Jedermanns Guter Gesell und den Teufel im „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“
Als ein „menschliches Märchen im christ-lichen Gewand“ bezeichnete Hugo von Hofmannsthal seinen „Jedermann“ von 1911: Die Adaption eines mittelalterlichen Morality play, die als Parabel auf die Bilanzierung des irdischen Lebens, auf den göttlichen Gerichtstag zielt in einer Welt, in der es wenig Gerechtigkeit gibt und die Erlösung im Glauben aufgehoben ist. Seit der ersten Aufführung 1920 vor der prunkvollen Fassade des Salzburger Doms zählt der „Jedermann“ zum Herzstück der Salzburger Festspiele. Die jüngste Inszenierung des „Spiels vom Sterben des reichen Mannes“ schuf 2017 Regisseur Michael Sturminger.
2019 wird seine Version des „Jedermann“ durch eine Reihe von Umbesetzungen neue Impulse erhalten. Wie etwa durch den 1968 in Innsbruck geborenen Theater- und Filmschauspieler Gregor Bloéb. Er wird an der Seite seines Bruders Tobias Moretti als Jedermann dessen Guten Gesellen und den Teufel spielen. Eine lustvolle Herausforderung für den charismatischen Schauspieler, der 2013 für seine Darstellung des Franz Jägerstätter am Theater in der Josefstadt mit dem Nestroy-Theaterpreis als Bester Schauspieler ausgezeichnet wurde.
Herr Bloéb, wie erklären Sie sich die ungebrochene Anziehungskraft des „Jedermann“?
Anders als ein Musical-Hit wie „Cats“, der weltweit in der immer gleichen Choreographie und mit ähnlichen Kostümen zu sehen ist, wird der „Jedermann“ seit fast 100 Jahren immer wieder neu inszeniert. Dadurch bleibt das Läuterungsspiel frisch und ewig spannend, egal, wie oft man es sieht. Es vermittelt stets eine Reflexion der Zeit, in der es interpretiert wird. Insofern wird der „Jedermann“ in Salzburg der Aufgabe von Kunst par excellence gerecht: Spiegel ihrer Gegenwart zu sein.
Wie kann der allegorische „Jedermann“ heute wirksam werden?
Unsere Welt erscheint in ihren Grund-festen erschüttert. Es herrscht Hysterie und Verunsicherung. Werte lösen sich auf, alles verändert sich unglaublich rasant. Dadurch haben die Menschen eine große Sehnsucht nach Halt und Ordnung. In-sofern wird die Frage nach einer religiös-humanistischen Ethik wie im „Jedermann“ wieder relevant. Solange man auf Erden wie im Paradies lebt, spielt der Glaube keine Rolle. Liegt aber das eigene Kind auf der Intensivstation, beginnt man zu beten.
Gewinnt die Religion wieder an Bedeutung?
Ja, die Kirche in dem Tiroler Dorf, wo ich lebe, hat starken Zulauf. Das hat auch mit der Sehnsucht nach Innehalten in unserer extrem hektischen Zeit zu tun. Kürzlich verlor ich mein Handy. Im ersten Moment stresste mich das enorm. Dann aber verbrachte ich eine mehrstündige Zugfahrt damit, einfach nur beim Fenster hinauszuschauen, und mir kamen wahnsinnig viele Ideen, nur weil ich endlich wieder einmal Ruhe fand. Insofern bieten Kirche und Religion eine Art Lebenshilfe an.
Der Teufel beschreibt den reichen Jedermann als „Unterdrücker, Neider, Hasser“. Dennoch wird ihm am Ende verziehen …
Ja. Der Teufel protestiert, weil die Seele eines so schlechten Menschen wie des Jedermann nicht ihm gehören soll: Er kommt „in einem weißen Hemd / Erzheuchlerisch und ganz verschämt“, jammert um Entschuldigung und schon wird ihm verziehen! Wo ist da die Gerechtigkeit? Mich erinnert diese Szene an das biblische Gleichnis vom verlorenen Sohn. Er verlangt vom Vater sein Erbe und verprasst es im Ausland. Als Bettler kehrt er reumütig heim und bittet den Vater um eine Anstellung als Tagelöhner. Der aber nimmt ihn freudig auf und bereitet ihm ein großes Fest. Der jüngere Sohn aber, der immer treu zu Hause arbeitete, beklagt, dass der Vater den Bruder mit offenen Armen empfängt. Ich liebe dieses Gleichnis! Denn es vermittelt das höchste Gut christlichen Glaubens: Verzeihen und Barmherzigkeit. Bereut man ehrlich seine Untat, ist man wieder gleich viel wert wie alle anderen. Das ist auch der Kern des „Jedermann“.
Vertritt der Teufel nicht das Prinzip von „Verbrechen und Strafe“?
Ja! Mit seiner klaren Logik ist er ein Mensch der Aufklärung. Aber er vertritt ein einseitiges Vernunftdenken und erkennt nicht, dass es noch mehr gibt. Darum schimpft er: „Mich ekelts hier, ich geh nach Haus.“ Er will nicht mehr mitspielen, wenn der Glaube am Ende siegt. Interessanterweise ist der Teufel die einzige Figur im „Jedermann“, die das Publikum direkt anspricht, ähnlich einem Kabarettisten. Er löst gleichsam die imaginäre Vierte Wand auf, die die Bühne vom Zuschauerraum trennt – ein tolles Bild, das Hofmannsthal da geschaffen hat! Eigentlich müsste der wütende Teufel am Ende sein Kostüm ausziehen und als nackter Mensch von der Bühne gehen. Um sichtbar zu machen: Der Teufel steckt allein in uns selbst. Das ist meine Interpretation dieser Allegorie. Denn heute, da wir alle Freiheiten haben, ist es die größte Herausforderung, selbstbestimmt die richtigen Entscheidungen zu treffen, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Diese Haltung richtet sich gegen den inneren Teufel.
Wie spielt man den Teufel?
Man kann ihn als Kasperlfigur ebenso anlegen wie als Intellektuellen im Zottelfell. Das wird sich bei den Proben herausstellen. Theatralisch ist der Teufel natürlich ein Komiker, der Furz-Witze beherrscht, also peinlichste Witze so erzählt, dass man sich vor Lachen anpisst. Er hat einen abgründigen Humor, der aus dem Existentiellen schöpft, denn natürlich kämpft er bis zuletzt um die Seele des Jedermann.
Sie spielen auch Jedermanns Guter Gesell. Wer ist das?
Vielleicht ist er ein Angestellter oder eine Art brüderlicher Freund des Jedermann, so wie Tobias und ich ja auch Brüder sind …
Inwiefern?
Tobias und ich nahmen 2012/13 gemeinsam an der Paris-Dakar-Rallye teil und zuvor in Eisenerz beim Erzberg-Rodeo, dem extremsten Enduro-Motorradrennen der Welt. Wir trainierten hart und waren uns bei all diesen Strapazen unglaublich nah. Doch beim Wettkampf musste jeder allein den Berg bewältigen. Ich stürzte, Tobias sprang über mich drüber, und ich musste es erneut versuchen. Diese Erfahrung ähnelt für mich dem Abschied des Guten Gesellen von Jedermann: Vielleicht ist er ein ganz enger Freund, doch in den Tod muss Jedermann alleine gehen. Ich etwa möchte mein Ende bewusst erleben.
Egal, was danach kommt?
Ja, das herauszufinden ist doch unglaublich spannend!
Sie sind mutig …
Nein, ich bin nur unendlich neugierig. Daher habe ich auch keine Angst vor dem Tod. Ich finde es wichtig, in Frieden Abschied zu nehmen, wie ich das bei meinen Eltern erlebte, das war sehr schön. Das Tolle an „Jedermann“ ist, dass einen das Stück herausfordert, über diese großen Fragen nachzudenken.
Seit den 1990er Jahren drehen Sie Kino- und Fernsehfilme und stehen regelmäßig u.a. am Theater in der Josefstadt und am Burgtheater auf der Bühne, wo Sie zuletzt den Protagonisten in Carl Sternheims „Der Kandidat“ spielten. 2014 gaben Sie Ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen als Optimist in Karl Kraus‘ „Die letzten Tage der Menschheit“ und spielten 2017 Arthur Streckmann in Gerhart Hauptmanns „Rose Bernd“. Inwiefern begreifen Sie sich als „Volksschauspieler“?
Das hat nichts mit meinem Rollenrepertoire, sondern vielmehr mit meiner Spielweise zu tun. Ich schöpfe ganz aus meiner Innerlichkeit. Alle Gefühle, die ich jemals erlebte, sind in mir abgespeichert und abrufbar, um sie jederzeit auf der Bühne herauszulassen. Das ist mein ganz persönliches Gottesgeschenk. Ich kann mein Spiel nicht erklären, aber ich spüre, dass das Publikum auf meiner Seite ist. Wenn du als Schauspieler im Theater einmal einen Menschen erreicht hast, dann ist er ein Leben lang dein Freund. Diese Menschen begleiten mich, das ist wunderschön! Ich bin auf der Bühne total ehrlich und wahrhaftig. Ich gebe alles, bei jeder Rolle, bei jeder Vorstellung, egal, wie viele Leute im Zuschauerraum sitzen: Sie bekommen mein Herz und meine Seele.
Der Abdruck dieses Gesprächs erfolgt mit freundlicher Genehmigung der „Freunde“-Informationen, dem Magazin der Freunde der Salzburger Festspiele.