„Ich war ein Klischee-Kind“

Text: Natalie Zettl

Fotos: www.kaindl-hoenig.com

Zwanzig Jahre lang hegte die 36-jährige Mareike Fallwickl den Traum vom eigenen Buch, bevor sie im März 2018 „Dunkelgrün fast schwarz“ veröffentlichte.
DIE SALZBURGERIN traf die Bestseller-Autorin zu einem Winterspaziergang am Wolfgangsee, einem der Schauplätze ihres aktuellen Buches.

Du hast 2018 deinen ersten und 2019 deinen zweiten Roman veröffentlicht, beide sind sehr erfolgreich. Wie geht es dir mit dem ganzen Presserummel?
(lacht) Super. Es ist wirklich viel los, aber das ist ja auch gut so. Schlimmer wäre es, wenn gar nichts los wäre.

„Dunkelgrün fast schwarz“ war allerdings nicht dein erstes Buch. Es gab 2012 schon ein Debüt der Mareike Fallwickl…
Genau, das war der Erotikroman „Auf Touren“ – eine Auftragsarbeit, bei der der Verlag mich angefragt hat. Und es ist ganz lustig, weil Journalisten oft der Meinung sind, sie hätten das jetzt „aufgedeckt“, quasi meine dunkle Vergangenheit enthüllt, für die ich mich schämen müsste. Die Wahrheit ist aber, dass ich mich gar nicht dafür geniere – aus diesem Projekt ist ein durchaus gut lesbares und unterhaltsames Buch entstanden. Und es war eine super Übung für später! Denn immer, wenn ich die Nerven fast weggeschmissen hätte, habe ich mir gedacht: Hey, es gibt bereits ein fertiges Buch von dir! Du hast schon bewiesen, dass du das kannst.

Wie bist du dann auf die Idee zu „Dunkelgrün fast schwarz“ gekommen?
Tatsächlich ausschlaggebend war dafür ein schwieriges Kind aus dem Dorf, ein berüchtigter kleiner Unruhestifter. Es gibt eine einzige Szene im Buch, die sich wirklich so abgespielt hat: Die, in der Raffael von der Rutsche herunterkommt und seinen kleinen Bruder absichtlich zu Boden tritt. Das habe ich beobachtet und mir ist aufgefallen, dass dieses Kind die anderen richtig manipuliert. Ich war dermaßen geschockt von dieser Szene, vor allem von diesem boshaften Funkeln in den Augen – dem hat das richtig Spaß gemacht! Und da dachte ich: Der ist vier Jahre alt! Wie kann das sein, dass er nicht im Affekt handelt, weil ein Spielzeug weggenommen wird oder so, sondern richtig berechnend? Das hat mich beschäftigt, weil ich mich auch gefragt habe, ob vier Lebensjahre überhaupt genug Zeit sind, ein Kind so sehr in die falsche Richtung zu erziehen. Das habe ich dann recherchiert und viel darüber nach-gedacht – und so sind allmählich die ganzen Figuren aufgetaucht und die Geschichte. Dann habe ich angefangen, an „Dunkelgrün“ zu schreiben

Wie lange hast du an dem Buch gearbeitet?
Ich habe zu Beginn nur 50 Seiten geschrieben und es einer Agentin geschickt, die ich kannte, mit dem Zusatz: „Kannst du dir das ansehen? Wenn du sagst, Mareike, bitte schieb es in die Schublade und zünde die Schublade an, dann lasse ich es bleiben; und wenn du das Gefühl hast, es könnte was werden, dann schreibe ich vielleicht weiter.“ Ich bin sehr pragmatisch an die ganze Sache herangegangen, weil ich mir dachte, ich habe gar nicht unbedingt die Zeit, alles umzusetzen. Sie hat gesagt, es würde ungefähr vier bis sechs Wochen dauern, die 50 Seiten zu sichten. Ein paar Tage später rief sie mich an und sagte: „Wir wollen das fix machen, schick mehr.“ Daraufhin ich: „Es gibt noch nicht mehr!“ Was mich dann ein bisschen in die Bredouille brachte, denn sie hatte auf der Frankfurter Buchmesse schon bei Lektoraten und Verlagen vorgefühlt und es letztendlich schon für Februar angekündigt. Meine erste Reaktion war, sie zu fragen: „Bist du des Wahnsinns?!“ Aber gleichzeitig habe ich mir überlegt, ich arbeite jetzt schon seit 20 Jahren daran, ein Buch zu schreiben und so nah dran war ich noch nie. Wenn ich schon zumindest drei Zehen in der Tür habe, dachte ich… Dann muss das was werden! Und so habe ich mich hingesetzt, die Zähne zusammengebissen, wenig geschlafen und das Buch bis Februar fertiggeschrieben.

Hast du denn allgemein so ein rasantes Schreibtempo drauf?
(lacht) Nein. Wenn die Deadline nicht gewesen wäre, wäre das Buch vielleicht immer noch nicht fertig. Es kommt einfach immer so viel dazwischen.

Also kannst du unter Druck arbeiten?
Offensichtlich. (lacht)

„Dunkelgrün fast schwarz“ hat ja eine sehr komplexe Handlung, auch auf der Gefühlsebene. Wie gehst du beim Schreiben vor, hast du einen konkreten Plan oder schreibst du eher drauflos?
Der Plot war eigentlich schnell klar, den habe ich während meiner Joggingrunden durch den Wald entworfen. Da habe ich an dieser Männerfreundschaft zwischen Raffael und Moritz gefeilt und die Handlung darum herum platziert. Damit hatte ich quasi schon einen fertigen Fahrplan. Oft kommt bei meinen Figuren die Frage: „Wie hast du dir die alle ausgedacht?“, und ich sage dann darauf: „Man muss sich die nicht wirklich ausdenken.“ Man muss nur die Augen aufmachen – nehmen wir als Beispiel nur einmal den Protagonisten meines zweiten Buches, den Wenger: Der ist nicht wirklich erfunden, denn er läuft ja überall herum, in den verschiedensten Gestalten. Es gibt auf der Welt tausende Wengers! Oder auch dieses Manipulative im Menschen, wie es bei Raffael zutage tritt: Es gibt so viele Freundschaften, die so funktionieren, dass einer ständig zu weit geht und der andere das zulässt… bei denen man irgendwie den Zeitpunkt verpasst hat, in dem man das noch ändern könnte. Viele meiner Leser erinnert die eine oder andere Person an jemanden aus ihrem Bekanntenkreis – oder fallweise auch an sich selbst. Aber zurück zur Frage, natürlich entwickelt sich auch beim Schreiben einmal etwas in eine andere Richtung als eigentlich geplant, dann muss man auf die Dynamik der Geschichte achten und entsprechend flexibel sein.

Gibt es etwas, womit du als Autorin beim Schreiben kämpfst?
Das ist immer ein bisschen schwierig – gerade im deutschsprachigen Raum haben wir gerne das Klischeebild vom „leidenden Autor“ vor Augen, so quasi: Ein Schriftsteller muss unglücklich sein, damit das Geschriebene etwas taugt. Man muss sich also richtig aufreiben, und man muss vor allem wahnsinnig mit dem Schreiben kämpfen. Gängige Meinung ist: Wer Spaß an der Sache hat, der kann nichts Gutes abliefern. Das sehe ich aber nicht so! Es ist ja das, was ich tun möchte – ich mache das freiwillig. Natürlich habe ich daran Spaß! Klar, es gibt so gewisse Situationen, in denen ich mir denke, ich schmeiße den Laptop vom Balkon und springe hinterher…

Zum Beispiel?
Wenn einfach nichts geht. Oder wenn ich merke, dass das nicht funktioniert, was ich gerade schreibe. Zum Beispiel geht es mir manchmal so, dass ich voll im Flow bin, ich schreibe zwanzig Seiten und fühle mich wie die Königin der Welt – und am nächsten Tag lese ich es und denke mir: „Gut, dass das niemand gesehen hat, das ist der größte Schrott, den ich je geschrieben habe.“ Aber solche Momente kennt man ja in jedem Job. Auch in der Phase des Lektorierens gibt es natürlich solche Situationen: Es ist immer super, wenn jemand von außen über den Text drüberliest und eine klare Meinung hat, was man ändern oder herausstreichen muss. Auf der anderen Seite tut es schon weh, wenn dann Szenen plötzlich weg sind, an die ich mein Herz gehängt habe. Glücklicherweise habe ich eine tolle Lektorin, die sich mit mir hinsetzt und das ausführlich durchgeht, und auch einen wunderbaren Verlag.

Neben deiner Tätigkeit als Autorin hast du auch eine Kolumne namens „Zuckergoscherl“ und bist Texterin, Bloggerin und Lektorin. Man könnte also sagen, dein ganzes Leben dreht sich um das geschriebene Wort. Was fasziniert dich daran?
Ich war schon immer auf das Schreiben fixiert. Man könnte sagen, ich war das Klischee-Kind schlechthin – das Mädchen mit der dicken Brille, das in der Nacht noch mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen hat… was wiederum die Brille erklärt. (lacht) Als ich acht war, habe ich „Die Unendliche Geschichte“ von Michael Ende gelesen und mir gedacht: Wenn man so etwas kann, wenn man solche Welten kreieren und so etwas Fantastisches erfinden kann, nur mit Wörtern, dann will ich das auch. Und eigentlich war von da an der Weg klar, ohne dass es mir letztendlich ganz bewusst war. Es hat sich dann alles immer ums Lesen und Schreiben gedreht: Ich habe mit 13 auf der Schreibmaschine meinen ersten Romanversuch getippt, „Lena Katzenauge“. Dafür habe ich sogar ein Cover gezeichnet. Der ist aber nicht veröffentlicht worden – besser für die Menschheit. (lacht)
Ich habe dann Linguistik studiert, war im Textcollege und danach in einem Verlag tätig, das geschriebene Wort war also immer schon meines. Wenn mir allerdings mit 13 jemand gesagt hätte, dass es noch zwanzig Jahre dauert, bis ich ein Buch veröffentlichen werde, dann hätte ich vielleicht die Nerven verloren und aufgegeben. Aber im Nachhinein war es gut so, ich habe viel geübt und unglaublich viel gelernt, auch durchs Scheitern.

Wie geht es denn für dich jetzt weiter, planst du schon einen neuen Roman?
Ja, ich plane bereits. Ich bin noch nicht in der Schreibphase angekommen, aber mein Notizbuch ist schon ziemlich voll!

Mareike Fallwickl mit unserer Redakteurin Natalie Zettl im Gespräch

Der Buchmarkt ist ja auch nicht ganz so einfach… Es steht außer Zweifel, dass sich die Verlagsbranche verändert. Viele Insider klagen über diesen Umbruch, Verlage lösen sich auf… Wie siehst du das?
Du meinst: Sollte man noch aufs Bücher Veröffentlichen setzen, wenn die ganze Branche vor die Hunde geht? (lacht) Nein, ohne Spaß: Ich halte nichts von diesem ständigen Abgesang aufs Bücherlesen. Es stimmt einfach nicht, dass niemand mehr Bücher liest, und es gibt nach wie vor noch erfolgreiche Autoren, die Lesungen vor ausverkauften Hallen halten. Dieser um sich greifende Pessimismus ist unbegründet.

Eine Frage, die sicher viele Leser interessiert: Kann man als Autor reich werden?
Kann man schon, aber es ist natürlich seltener und schwieriger geworden. Klar gibt es nach wie vor Autoren, die sehr gut davon leben können, aber dazu muss man halt ein Sebastian Fitzek oder John Irving sein. Ich muss immer lachen, wenn die Leute meinen, man schwimmt als Autor im Geld – das wäre schön, aber es entspricht nicht der Wirklichkeit. Übrigens ein lustiges Paradoxon: Einerseits die Wahrnehmung „niemand liest mehr“ und andererseits „als Autor ist man reich und kann sich eine Villa am Wolfgangsee kaufen“.

Glaubst du eigentlich an Schicksal?
Im Sinne dessen, dass die Dinge so passieren, wie sie passieren müssen? Das kommt darauf an. Ich finde, man kann das nur einen in irgendeiner Weise privilegierten Menschen fragen. Denn wenn man diese Frage einem Mädchen in Indien stellt, das aus einer niedrigen Kaste kommt – das hat ein gewisses Schicksal schon allein durch ihre Geburt mit wenig Spielraum, ein eigenes, anderes Leben aufzubauen. Wir hier in Europa haben andererseits natürlich wahnsinnig viel Spielraum, wir können immer wieder neu anfangen und unser Leben beeinflussen, das heißt, wenn man sagt, man will unbedingt Autorin werden und man setzt alles daran, dann kann man das schaffen. Gewisse Ausgangssituationen sind vielleicht Schicksal, aber nicht alles.

Wenn du einen Wunsch frei hättest…
… würde ich mir wünschen, dass meine Kinder erfolgreich und glücklich durchs Leben gehen. Und eigentlich das Gleiche für mich. Und ich wünsche mir, wenn meine Kinder dann erfolgreich und glücklich durchs Leben gehen – sprich, ohne mich –, dass ich dann wieder Zeit für die Dinge habe, die jetzt auf der Strecke bleiben: Reisen, mir viele Dinge ansehen… und bis dahin genug Geld verdienen, dass sich das ausgeht. Guter Plan, oder?

Was hält dich als erfolgreiche Autorin eigentlich in Salzburg?
Meine ganze Familie ist hier. Und ich genieße meine Selbstständigkeit. Ich könnte mir nicht vorstellen, irgendwo angestellt zu sein – ich habe mich mit 24 schon selbstständig gemacht und mir einfach gedacht: Wenn es nicht funktioniert, kann ich mir immer noch einen Job suchen. Das war dann aber zum Glück nicht nötig. Zu Salzburg kann ich nur sagen: Wie viele Einheimische habe ich eine Hassliebe zu der Stadt. Natürlich ist sie schön. Aber sie ist auch wie in einer Glasvitrine: Ja nicht anfassen!

Bist du denn hauptberuflich Autorin?
Nein, ich texte nach wie vor selbstständig. Ich muss ja Geld verdienen. (lacht)

Teilst du dir den Tag dann fest ein oder läuft es nach Flow?
Das kommt darauf an: Meine Schreibtage muss ich mir verdienen. Es muss sich auch finanziell rechnen. Dadurch, dass ich selbstständig bin, kann ich mir meine Zeit aber relativ frei einteilen.

Hast du ein Rezept für einen Bestseller?
(lacht) Das wäre schön – dann würde ich ihn schreiben! Ich glaube, man kann das nicht immer im Voraus sagen. Viele Verlage glauben, sie hätten das Patentrezept dafür, aber wenn man die Buchbranche verfolgt, merkt man: Das stimmt nicht. Oft genug floppen Bücher, die als Bestseller angelegt waren. Und dann gibt es wieder solche, die völlig überraschend durch die Decke gehen – weil sie einfach gut sind oder gerade den Zeitgeist treffen. Das macht es spannend!

„Dunkelgrün fast schwarz“ ist ja in der Tat durch die Decke gegangen. Hat das für den Nachfolgeroman Druck mit sich gebracht?
Eigentlich nicht, da ich den Großteil des neuen Buches schon geschrieben hatte, bevor „Dunkelgrün“ erschienen ist. Die Verlage haben immer eine sehr lange Vorlaufzeit von der Vertragsunterzeichnung bis zum eigentlichen Erscheinungstermin des Buches. Während dieser Vorlaufzeit, 2017, habe ich schon einen Großteil des neuen Buches geschrieben – man merkt das auch, es ist sehr viel vom Zeitgeschehen dieses Jahres in die Handlung eingeflossen. Als im März 2018 dann „Dunkelgrün“ erschienen ist, war „Das Licht ist hier viel heller“ schon mehr oder weniger fertig. Deshalb war ich zum Glück von diesem Druck befreit.

Es ist für viele Jungautoren ja trotz guter Qualität nicht einfach, einen Verlag zu finden. Was empfiehlst du denen, die es trotzdem versuchen möchten?
In erster Linie muss man wissen: Es geht inzwischen fast alles über Literaturagenturen, die zwischen Autor und Verlag vermitteln und ein Erfolgshonorar beziehen. Mittlerweile ist es so, dass man wirklich kein unverlangtes Manuskript an Verlage schicken braucht, weil es vergebene Liebesmüh ist. Es landet nie auf dem Stapel, auf dem man es haben möchte! Dazu sind die Verlage einfach zu überschwemmt. Agenturen sieben bereits aus, sie nehmen nur Autoren, von denen sie sich sicher sind, dass sie deren Produkte auch vermitteln können. Sie kennen den Markt und die Lektoren der Verlage. Auf der Suche nach einer Agentur hatte ich den Vorteil, dass ich schon lange blogge – inzwischen elf Jahre – und entsprechend gut vernetzt bin. Meine Agentin habe ich ebenfalls schon aus der Branche gekannt.

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Zur Person:
Mareike Fallwickl wird am 02. April 1983 in Hallein geboren und entwickelt schon als Kind eine Passion für das geschriebene Wort. Sie studiert in Salzburg Linguistik und besucht anschließend ein Textcollege in München. Bekannt wird sie als Bloggerin und Texterin sowie als Journalistin mit ihrer Kolumne „Zuckergoscherl“. 2018 erscheint ihr erster eigener Roman „Dunkelgrün fast schwarz“, der es auf Anhieb auf die ORF-Bestenliste schafft. 2019 erscheint der zweite Roman „Das Licht ist hier viel heller“.


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