Leuchtfeuer auf der Bühne
Text: Susanne Rosenberger
Fotos: VOGL-PERSPEKTIVE.AT, Stefan Klueter, Katarina Soskic, Matthias Horn, Jeanne Degraa, Mischa Christen, Marco Borrelli, Thomas Dashuber
Starke Frauen bei den Salzburger Festspielen 2021
Zahlreiche außergewöhnliche Künstlerinnen waren in den vergangenen Jahrzehnten an Sternstunden der Salzburger Festspiele beteiligt. Auch im Jubiläumsjahr „100 Jahre Salzburger Festspiele“ begegnet uns auf der Bühne Frauen-Power mit Tiefgang und Sprengkraft: Ex-Buhlschaft Birgit Minichmayr spielt Maria Stuart, Lina Beckmann schlüpft in die Rolle von Richard III. und Mavie Hörbiger verkörpert als erste Frau die Rolle des Teufels im Jedermann.
Als „Jahr der starken Frauen“ bezeichnete die Presse bereits vergangene Festspielsommer. Ein Blick in das Programmheft überzeugt auch heuer, wenn bei den Salzburger Festspielen vom 17. Juli bis 31. August wieder prominente Frauen im Zentrum des Interesses stehen. „Es braucht starke Persönlichkeiten, die keine Scheu haben und es aushalten, sich selber und ihre jeweiligen Rollen intensiv zu hinterfragen“, beantwortet Schauspiel-Leiterin Bettina Hering die Frage, was eine Künstlerin zu einer imposanten Bühnenfigur macht: „Aus diesem Prozess kann es mit großem Können, mit Kreativität und Intuition gelingen, singuläre Figuren entstehen zu lassen.“
Die personifizierte Schönheit
Gespannt darf man heuer auf Regula Mühlemanns allegorische Figur der Bellezza in der umjubelten Wiederaufnahme von Georg Friedrich Händels Oratorium Il trionfo del Tempo e del Disinganno sein (Premiere am 4. August im Haus für Mozart). Durch die Schwangerschaft von Mélissa Petit konnte die Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann für die fünf Vorstellungen ab 4. August im Haus für Mozart verpflichtet werden. Als Gegenstück zum mittelalterlichen Jedermann-Stoff befindet sich hier mit Bellezza, der Schönheit, eine junge „Jedefrau“ auf einer Achterbahnfahrt der Gefühle zwischen Figuren, die sie für sich gewinnen wollen. Regisseur Robert Carsen übersetzt den Stoff gekonnt ins Hier und Jetzt in die Welt der Casting-Shows, Fototermine und Partys. Auf ihrem Weg wird die Casting-Siegerin Bellezza von ihrer Managerin Cecilia Bartoli auf dem Pfad des Vergnügens (Piacere) mit einem lukrativen Vertrag verführt, die Zeit (Tempo) und die Erkenntnis (Disinganno) erinnern sie jedoch an die Vergänglichkeit der Schönheit. Hierbei handelt es sich zwar nicht um das Debüt der Konzertsängerin und Exklusivkünstlerin von Sony Classical (dieses gab sie in Salzburg bereits 2012 als Junge Papagena in Peter von Winters Das Labyrinth), dennoch könnte die Rolle als Bellezza ein nächster großer Bühnenerfolg für Regula Mühlemann werden.
Schillerndes Jedermann-Ensemble
Geht es um das Gründungsstück der Salzburger Festspiele, den Jedermann, sind alle Augen stets auf die Rolle der Buhlschaft gerichtet, die heuer von der 33-jährigen gebürtigen Salzburgerin Verena Altenberger verkörpert wird. Bekannt ist Altenberger aus Film und Fernsehen: 2017 gelang ihr der Durchbruch in der Rolle als heroinabhängige Mutter im Drama Die beste aller Welten. Mit Lars Eidinger, dem Jedermann an ihrer Seite, drehte sie schon in David
Schalkos M – Eine Stadt sucht einen Mörder.
Wer den Jedermann mehrfach gesehen hat, lenkt seine Aufmerksamkeit gerne auf weitere zentrale Rollen im Ensemble, die in diesem Sommer von spannenden Frauenpersönlichkeiten übernommen werden: Edith Clever (geb. 1940) spielt den Tod, Angela Winkler (geb. 1944) übernimmt die Rolle Jedermanns Mutter, Mavie Hörbiger besetzt nach ihrer fulminanten Gestaltung der Werke heuer erstmals die Rolle des Teufels weiblich. Im Jedermann prallen somit abermals Generationen an starken Frauen aufeinander.
„Tod und Teufel sind allegorische Figuren, bei denen das Geschlecht nicht entscheidend ist, sondern die Interpretation des Rollenprofils.“
Bettina Hering, Leitung Schauspiel
Dass er in dieser Produktion auf Augenhöhe mit Angela Winkler und Edith Clever spielen darf, sei keine Selbstverständlichkeit für ihn, betonte der diesjährige Jedermann-Darsteller Lars Eidinger bei einem Pressetalk. Edith Clever als „Tod“ stand nach Lars Eidinger auf der Besetzungs-Wunschliste von Regisseur Michael Sturminger für seine Neuinszenierung des Jedermanns. „In den vergangenen vier Jahren hat Edith Clever als Mutter Maßstäbe mit ihrer Sprache und Genauigkeit der Vorbereitung und Interpretation gesetzt“, streicht Schauspiel-Leiterin Betting Hering die Leistung der Mimin hervor. Edith Clever selbst beleuchtet ihre diesjährige Rolle so: „Der Tod kommt plötzlich und ist da. Man will ihm vielleicht entkommen, aber am Ende muss man einen Weg finden, mit ihm umzugehen. In meinem Alter habe ich mich natürlich schon viel mit dem Thema beschäftigt, aber man lernt nie das Geheimnis zu ergründen.“
Mavie Hörbiger gab den Werken in den letzten Jahren ein ganz neues Profil und vollzieht nun ebenfalls einen Wechsel innerhalb des Ensembles. Neben der prestigeträchtigen Rolle des Teufels, die heuer zum ersten Mal weiblich besetzt wird, spielt sie auch Gott – zwei hochallegorische Figuren. Teufel und Gott sind zwei Seiten der Medaille, die für Mavie Hörbiger absolut Sinn machen. Der Teufel sei eine Komiker- und gleichzeitig eine tragische Rolle, denn er hat bereits mit seinem Auftritt verloren, indem ihm der Weg verwehrt wird.
Neben der Buhlschaft dürfen sich die Zuseher heuer auf eine weitere Salzburgerin auf der Jedermann-Bühne freuen: Anna Rieser studierte Schauspiel am Mozarteum, erhielt nach ihrem Studium ein Festengagement am Landestheater Linz und ist seit der Spielzeit 2020/21 Ensemblemitglied am Volkstheater Wien. Heuer spielt die Nestroy-Preisträgerin in der Kategorie „Bester Nachwuchs“ (2019) an Mirco Kreibichs Seite Des Schuldknechts Weib. Sie habe sich schon in ihrer Kindheit gewünscht, einmal live am Domplatz aufzutreten – ein Wunsch, der sich heuer für die Schauspielerin aus dem
Gasteinertal erfüllt.
Machtgier und Zerstörungswut
In der ersten Schauspielpremiere des Festspielsommers (am 25. Juli auf der Perner-Insel in Hallein) verbindet die Regisseurin Karin Henkel Shakespeares Königsdramen „Heinrich VI.“ und „Richard III.“ unter dem Titel Richard the Kid & the King. Schauspiel-Leiterin Bettina Hering blickt voller Vorfreude auf das große Shakespeare-Drama: „Ich wollte zum 100-Jahr-Jubiläum zeigen, wo die momentane Auseinandersetzung mit klassischen Stoffen steckt – und Shakespeare ist einer der „Hausgötter“ der Salzburger Festspiele, weil er grundlegend war in Max Reinhardts Schaffen.“
Lina Beckmann übernimmt die Titelrolle und schlüpft damit in eine der komplexesten Figuren der Theaterliteratur: Richard III. verstand es, die Menschen zu manipulieren und sich selbst zu inszenieren – dabei war er kaltblütig, hemmungslos, sadistisch, roh und brutal. Im ersten Teil des Abends, in Richard the Kid, wird die Zeit vor der Machtergreifung Richards beleuchtet, also seine Kindheit während eines brutalen Bürgerkriegs, in der er selbst viele Demütigungen einstecken musste. In Richard the King, dem zweiten Teil des Abends, geht es schließlich um die Herrschaft des berühmt-berüchtigten Machthabers bis zu seinem Tod. Richard III. ist Opfer und Täter zugleich – so wie alle Figuren im Stück, die zu Mittätern des Verbrechens werden.
Die vielfach ausgezeichnete, akribisch analytische Regisseurin Karin Henkel sieht die Rolle von Richard III. geschlechtslos. Die Besetzung der Titelrolle wurde von Bettina Hering, Schauspiel-Leitung der Salzburger Festspiele, von Anfang an befürwortet: „Unser Richard III. ist nicht „weiblich“ besetzt, sondern mit Lina Beckmann. Das heißt mit einer ungeheuer faszinierenden und fesselnden Schauspielerin, die schlichtweg alles spielen kann – und erst recht eine der vielschichtigsten Figuren des Theaterkanons.“
Karin Henkel schätzt Kontinuität in Hinblick auf die Schauspieler und das künstlerische Team, mit denen sie inszeniert. Zusammen mit Lina Beckmann feierte sie bereits 2017 mit Gerhart Hauptmanns Rose Bernd einen großen Erfolg in Salzburg. Heuer kehrt das Erfolgs-Duo zurück auf die Perner-Insel – eine große Industriehalle, die sich als Spielstätte ganz klar von einem klassischen Theaterraum unterscheidet.
Hochdramatisches Duell
In der Regie von Burgtheaterdirektor Martin Kušej kommt es zu einer Neuinszenierung von Schillers Spätwerk Maria Stuart, dem wohl berühmtesten Königinnen-Drama der Welt – Spielort ist ebenfalls die Perner-Insel in Hallein (Premiere am 14. August). Die titelgebende, schottische Königin erhebt Ansprüche auf den Thron von England, auf dem Elisabeth sitzt. Nach zwei Jahrzehnten in englischer Haft wird Maria zum Tode verurteilt. Wird ihre Gegenspielerin Elisabeth, die Königin von England, das Todesurteil unterschreiben und ein gekröntes Haupt unter das Fallbeil legen? Maria Stuart ist ein Politthriller, in dem Schiller den Fragen nachgeht: Was ist Freiheit des Einzelnen? Was ist politische Macht, und wo endet sie? Was ist Gerechtigkeit? Wie wird Recht gefertigt?
Gleich zwei Ausnahme-Schauspielerinnen verkörpern die Königinnen in Maria Stuart von Friedrich Schiller: Birgit Minichmayr als Titelrolle und Bibiana Beglau als Elisabeth. Beide sind mehrfach ausgezeichnete Schauspielerinnen und waren auch in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen zu sehen. Minichmayr und Beglau haben als Ensemble-Mitglieder des Wiener Burgtheaters in diversen Inszenierungen von Martin Kušej gespielt.
Birgit Minichmayr kehrt nach ihrer Rolle als Buhlschaft an der Seite von Nicholas Ofczarek im Jedermann (2010-12) und dem Mitwirken in der Marathon-Lesung von Joyce Ulysses (2019) als Maria Stuart nach Salzburg zurück.
Abschied einer Legende
Von einer großen Opernlegende musste das Publikum im April 2021 Abschied nehmen: von der wunderbaren Christa Ludwig. Beeindruckende 169 Mal – 126 Opernvorstellungen, 21 Liederabende, 18 Orchesterkonzerte und eine Matinee – stand Christa Ludwig in 34 Jahren insgesamt auf der Festspielbühne. Die großen Dirigentenpersönlichkeiten Herbert von Karajan, Karl Böhm und Leonard Bernstein waren in Salzburg ihre künstlerischen Weggefährten. Seit Beendigung ihrer Gesangskarriere im Jahr 1993 gab Christa Ludwig bei den Salzburger Festspielen ihr Wissen alljährlich bei den Öffentlichen Meisterklassen des „Young Singers Project“ an die junge Generation weiter.