„Ist es relevant, was wir für die Gesellschaft tun?“

Mit 14 Jahren erkannte er seine Bestimmung, mit 25 gründete er ein Kloster, das Europakloster Gut Aich am Wolfgangsee. Im Interview mit der SALZBURGERIN spricht der frisch gewählte Prior Bruder Thomas Hessler über Beweggründe, Erfolge, Umwege und Rückschläge, seine persönlichen Zweifel und Ängste, die gesellschaftliche Relevanz eines Klosters in unserer Zeit und die Notwendigkeit, nicht nur den Dialog, sondern auch die Praxis zwischen den Religionen zu fördern.
Text: Doris Thallinger
Fotos: kaindl-hoenig.com, Susanne Windischbauer/Europakloster Gut Aich
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Bruder Thomas, Herr Prior, gut 30 Jahre ist es her, dass Sie das Europakloster Gut Aich gegründet haben. In so jungen Jahren, in Zeiten, in denen andere Klöster ums Weiterbestehen kämpfen, was hat Sie und Ihre Mitbegründer damals zu diesem Schritt bewegt?

Das eine war die geopolitische Lage nach dem Mauerfall 1989. Für uns stellte sich die Frage, welchen Beitrag können wir als spirituell Lebende leisten für ein friedliches, zusammenwachsendes Europa? Uns war klar, ein Kloster könnte dieser Beitrag sein, das im Blickfeld hat, eine gute Nachbarschaft zu leben. Wenn jeder in Europa eine gute Nachbarschaft lebt, steht Europa von allein. Natürlich gibt es Grenzen, die man auch benennen muss und darf. Aber eine Grenze ist immer ein Ort der Begegnung. Eine Tür ist auch dazu da, um sie zuzusperren, aber sobald man eine Tür hat, ist dies ein Ort des Einlassens, der Begegnung. Das war für uns immer der Gradmesser, die Lokalität vor Ort. Ist das Spirituelle bedeutsam für die Menschen vor Ort?

Der andere Punkt war das Globale, also der interreligiöse Ansatz, dass wir als Christen ein Teil von vielen sind. Diversität ist Gebot der Stunde und auch im Spirituellen gilt, dass es keine Monokultur gibt, sondern dass man auch die Unterschiedlichkeiten der anderen Kulturen achtet. Mit dieser inneren Haltung sind wir hierhergekommen, bis hin, dass es interreligiöse, intermonastische Veranstaltungen gibt, hier im Salzkammergut, im kleinen Dorf mit 300 Einwohnern und die Menschen diese auch annehmen und Interesse zeigen.

Der Begriff dafür ist „Glokalität“. Glokal leben heißt, global denken, lokal handeln. In diesem Spannungsbogen von global und lokal bewegt sich unser Kloster. Wir Benediktiner sind ein großes Netzwerk, auch weltweit gesehen: Die Benediktiner haben Europa sehr geprägt. Die ersten Klöster auf diesem Kontinent waren Benediktinerklöster. Diese haben Erfahrungsräume und Lebenswirklichkeiten in der Spätantike geschaffen, die nicht selbstverständlich waren, wie zum Beispiel, dass der freie römische Bürger und der römische Sklave dieselben Rechte hatten. Das gab es in der antiken Gesellschaft nicht. Benedikt hat Modellgemeinschaften geschaffen, in denen diese Gleichwürdigkeit institutionell und strukturell festgeschrieben war, sodass im Kloster der römische Bürger am Feld gearbeitet hat und der römische Sklave auch Abt werden konnte. Das hat heute auch wieder Bedeutung. Wie können wir heute, global gesehen, in einer Gleichwürdigkeit leben, ohne dass wir andere für uns arbeiten lassen, ohne dass andere ausgebeutet werden? Wir können wieder ein Bewusstsein schaffen, dass wir Verantwortung füreinander auf einer gleichwürdigen Ebene haben.

Ihr bezeichnet die Klostergründung auf der Website selbst als „Experiment“. Wie groß war – oder ist auch heute noch – der Erfolgsdruck?

Heute ist er, glaube ich, gar nicht mehr so hoch. Wir hatten gerade die Herbsttagung der Österreichischen Bischofskonferenz bei uns. Da merkt man, dass alle Bischöfe von Österreich gern hierherkommen, sich sehr wohlfühlen und auch diese Art von spirituellem und kirchlichem Leben sehr wertschätzen. Ich glaube, wir sind gut angekommen in unserer Tradition. Zu Beginn war es mehr der Enthusiasmus, etwas Besonderes zu schaffen, der uns beflügelt hat.

Natürlich kam auch die Ernüchterung. Es kam die Zeit, als, nach knapp 20 Jahren, die Hälfte der Brüder wegging. Damals stellte sich die Frage, wie es weitergehen soll, wie wir mit so einem Einbruch umgehen? Das war eine Zeit des Realitätschecks: Sind wir so verankert in unserer Gemeinschaft, dass wir auch durch eine Dürrezeit gehen können? Diese Zeit hat uns aber noch einmal stärker verwurzelt. Wir sind jetzt gut verwurzelt an diesem Ort, auch innerhalb der Brüdergemeinschaft.

Erfolgsdruck würde ich es jedoch gar nicht nennen. Es ist eher die Frage, ob es wirklich relevant ist, was wir hier für die Gesellschaft machen, ob es wirklich Bedeutung hat. Das ist für uns entscheidend.

Die Relevanz bemerkt man bei Kindern: Wir halten zum Beispiel einmal im Monat einen großen Familiengottesdienst mit 50 bis 60 Kindern und deren Eltern ab. Kinder stimmen mit den Füßen ab: Wenn etwas für sie nicht relevant ist, sind sie weg. Wir versuchen, sehr präsent und verbunden zu sein, auch durch pädagogische Konzepte, wie das Kasperltheaterspielen. Wenn die Kinder in der Früh sagen: „Heute gehen wir in die Kirche, der Kasperl kommt“, ist das das Beste, was passieren kann.

Gehen wir noch ein Stück in der Zeit zurück: Wann haben Sie sich dazu entschieden, in ein spirituelles Leben als Mönch einzutreten? Was gab den Ausschlag?

Das war eine Jugendfreizeit im alten, barocken Kloster in Reichersberg am Inn, wo ich als 14-Jähriger war. Diese Freizeitwoche war ein Angebot für Jugendliche, natürlich mit dem Hintergrund, dass der eine oder andere junge Mann vielleicht einmal ins Kloster eintritt. Ich bin an einem Morgen in diese alte Kirche gegangen, das Licht ist durch die Fenster hereingekommen, ich hatte den Duft der alten Bänke in der Nase. Ich war der Einzige in der Kirche und plötzlich war tief in mir die Erkenntnis: Jetzt bist du angekommen!

Ab da war für mich klar, dass ich mit 18, nach der Matura ins Kloster gehe. Ich bin dann auch eingetreten, habe aber rasch gemerkt, dass es zu früh gewesen ist. Die Fragen und die Impulse, wie ich Sexualität, Beziehung, Geschlechtlichkeit lebe, was für mich authentisch ist, waren innerhalb des Klosters schwierig zu leben und auszuprobieren, was ganz normal ist in dem Alter, sodass man weiß, wie man gestrickt ist, was seine Form von Sexualität ist.

Mit 21 Jahren bin ich ausgetreten, habe aber weiter Theologie studiert, erst in Salzburg, dann in Mainz, wo ich auch die Heilpraktiker-Ausbildung gemacht habe. 1993, als ich 25 Jahre alt war, hat schließlich diese Klostergründungsdynamik eingesetzt. Zu der Zeit hab ich ungefähr gewusst, was ich will und wer ich bin. Für mich war klar: Jetzt gehe ich diesen Weg. Mit allen Höhen und Tiefen.

Ich hatte später noch einmal eine Außenbeziehung, mit ungefähr 40 Jahren. Damals habe ich gemerkt, ich suche nach etwas, das ich anscheinend innerhalb der Gemeinschaft nicht finde. Das waren gar nicht so sehr die Zweisamkeit und Intimität. Natürlich suchte ich auch das, aber es war eigentlich eine Begegnung mit dem Tod: Damals ist ein Studienkollege mit 45 Jahren an Krebs gestorben und ich habe ihn intensiv auf seinem Weg in den Tod begleitet. Das hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen und ich habe gedacht, dass ich in einer Zweierbeziehung die Sicherheit finde, um leichter mit den Themen Endgültigkeit und Tod umgehen zu können. Um mich auch mit meiner eigenen Endlichkeit zu beschäftigen, diese anzuerkennen – nicht nur vom Kopf, sondern auch emotional. Damals habe ich gemerkt, dass ich mich diesem Thema stellen muss – unabhängig von einer Partnerschaft – bin auch in Begleitung gegangen, um dieses Thema genau anzuschauen. Mit 41 Jahren bin ich schließlich wirklich angekommen in meinem Mönchsein.

Jetzt mit 56 Jahren merke ich, dass es diesen Weg der Reifung und der Suche gebraucht hat, auch dieses Hin und Her. Es ist schon wichtig, eine gewisse Lebenserfahrung zu haben, bevor ich mich wirklich binde, ob es nun in einer Partnerschaft ist oder ob ich ins Kloster gehe.

Das Thema Partnerschaft, Stichwort Zölibat: Halten Sie dieses für zeitgemäß, dem Glauben zuträglich? Wo liegt heute noch der Sinn dahinter?

Wir Benediktiner legen kein Gelübde des Zölibats ab, wir fußen mit unseren Gelübden in einer älteren Tradition der Philosophenschule und dort definiert man sich nicht über Sexualität. Das macht man ja in der Partnerschaft auch nicht. In der Ehe sagt man: Ich will dich lieben, achten und ehren und dir die Treue halten.

Ich vergleiche es immer mit dem Tanz: Wenn ich in einer Partnerschaft lebe, tanze ich einen schönen Paartanz, Samba, Tango, Walzer, Tänze, die diese Intimität ja auch ausdrücken, die Nähe und Zweisamkeit. Wenn ich in einer Gemeinschaft lebe, tanze ich eher einen Kreis- oder Reigentanz, dieser definiert sich über eine gewisse Distanz, sodass ich mit allen im Tanz verbunden bleibe. Dazu gehört Nähe und Zärtlichkeit, ab einem gewissen Punkt aber auch Distanz.

Wenn ich mich in der Intimität anderen zuwende, ist das der Ausdruck von Zweisamkeit, Partnerschaftlichkeit – das ist eine Lebensform, die ich eingehe. Das hat etwas Beständiges. Da gehört für mich auch Sexualität hinein. Wenn ich in einer Gemeinschaft lebe, bleibe ich etwas distanzierter, offener, bin zwar trotzdem ein sexuelles Wesen, gehe aber keine intimen Beziehungen ein. Das geht auf Dauer nicht. Das wäre auf Dauer ein Sich-Abwenden von einer Energie, die in die Gemeinschaft rein fließen sollte. Aber ich selbst bin, glaube ich, schon ein erotisches Wesen und ja, ich bin ein Mann. Das ist das Normalste.

Wenn Priester zölibatär leben müssen, ist das etwas ganz anderes, denn diese leben ja alleine, das ist keine Lebensform. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Ich glaube, das Problem ist der Zwangszölibat. Sinnvoller wäre es, sich frei entscheiden zu können, zu sagen, diese Form ist für mein seelsorgliches Handeln besser. Für manchen wäre vielleicht eine Partnerschaft besser für sein seelsorgliches Wirken als Priester. Dass eine Partnerschaft das priesterliche Wirken ausschließt, ist, glaube ich, nicht mehr zeitgemäß. Die größere Frage ist sicherlich, wie es strukturell, wirtschaftlich zu händeln wäre, dies zu öffnen.
Als Mönch aber ist es für mich ganz logisch, so zu leben, dass ich mit allen verbunden bin. Und da gehört eben dieses Stück Distanz dazu, damit ich eine Nähe zu allen leben kann. Da gehört für mich im Grunde der Zölibat hin. Ich verwende dieses Wort eigentlich nie, denn wir Benediktiner legen das Gelübde ab, stabil in uns und in einer Gemeinschaft, flexibel und hörend zu leben. Das sind unsere drei Gelübde: Stabilität, Flexibilität und gemeinsam zu hören – gehorsam zu leben.

Hat es für Sie auch einmal Zweifel am Glauben an sich gegeben? Wie geht man als spiritueller Mensch damit um?

1993, als die Gründung des Klosters anstand, war ich frei, also nicht als Mönch gebunden und habe eine Beziehung gelebt. Damals stellte sich wirklich die Frage, lebe ich nun eine Zweierbeziehung oder entscheide ich mich für dieses Kloster?

Ich habe immer die tiefe Erkenntnis des 14-jährigen Buben in mir gehabt: Das ist dein Weg. Ich habe mich damals wirklich mühsam durchgerungen und mich entschieden, hiermit anzufangen. Das waren keine schönen Zeiten. Ich bin oft in der Nacht mit einem großen Schmerz aufgestanden und durchs Kloster gegangen mit der Frage: Wo finde ich Trost?

Ich bin in unsere damalige Hauskapelle gegangen, die heute unser Meditationsraum ist, habe mich auf den Boden gesetzt und mir gedacht, hier ist es genauso schwarz wie in mir. Ich habe mich meiner ganzen Trauer und meinem Schmerz übergeben. Das klingt jetzt ein bisschen kitschig, aber es war wirklich so: Ich habe aufgeschaut und das ewige Licht vor dem Tabernakel leuchten gesehen und in mir war die Erkenntnis: Hier ist jemand. Auch, wenn ich einsam und verlassen bin, es gibt diese göttliche Wirklichkeit. Und wenn es nur diese kleine Funzel ist in der Dunkelheit. An diesem Bild habe ich mich festgehalten. Es gibt das Wort aus der Bibel: Das Licht leuchtet IN der Finsternis, nicht hinein wie eine Lampe, sondern IN der Finsternis, wie die Sterne am Himmel, die man erst sieht, wenn es dunkel ist.

Grundsätzlich bin ich ein zweifelnder Mensch, ich heiße Thomas, so wie der, der es genau wissen will. So schnell lasse ich mich nicht durch irgendwelche Geschichten abspeisen, sondern will es wirklich wissen und geh dem auch nach. Aber viele, viele Erfahrungen haben mich in diese tiefe Verbundenheit gebracht, die allerdings nicht unerschütterlich ist.

Es gibt Zeiten, auch kürzlich, in denen eine Todesangst in mir aufbricht. Dann wache ich mit einer Enge auf und tiefe Ängste kommen hervor. Trotzdem gibt es etwas in mir, das mich beruhigt, das mich wieder still werden lässt und ich merke, das ist ein tiefer Grund, der mich trägt.

Also selbst ein Mensch wie Sie hat Angst vorm Sterben, Angst vor dem Tod?

Ja, die Angst ist da – im Kopf natürlich nicht, ich sage mir, das ist ein Durchgang, es gibt die Ewigkeit, es gibt das Licht. Aber wenn ich emotional ganz nach innen gehe und diese Enge spüre, gibt es schon auch das Gefühl in mir ‚wow, so easy ist das sicher nicht‘.

Also hilft einem der Glaube auch nicht immer?

Vom Kopf her ja, aber es braucht dieses Grundvertrauen, das ja auch geprägt ist von den Erfahrungen als Säugling, als Kind. Da gibt es natürlich auch Verunsicherungen aus meiner Lebensgeschichte heraus.

Wie sieht ein typischer Tag in Ihrem Leben als Bruder aus?

Ziemlich normal. Aufstehen, Zähneputzen, … Was vielleicht ein bisschen anders ist: Wir haben einen Tagesrhythmus, Rituale. Wenn das Licht sich ändert, ist unsere Tradition, dass wir beten. Mittags gehen wir in die Stille, in die Meditation.

Dieses bewusste Innehalten, dieses Setzen der Rituale macht den klösterlichen Alltag aus und auch das Miteinander. Miteinander beten, miteinander meditieren und miteinander essen gehört zu diesem Ritual. Das Essen geschieht im Schweigen. So ist man achtsamer. Wir hören dabei aber auch Vorträge, Podcasts, Wissenswertes. Es ist wichtig, sich auch geistig zu beschäftigen und Nahrung für den Geist aufzunehmen.

Ansonsten sind es die ganz normalen Tätigkeiten: waschen, putzen, telefonieren, Blumen gießen, im Garten arbeiten. Natürlich ist manches leichter, weil alles gemeinsam gemacht wird, die Aufgaben verteilen sich, aber jeder macht, was eben zu tun ist. Da ich Künstler bin, verbringe ich auch Zeit im Atelier und den Künstlerwerkstätten. Außerdem ist mein Alltag geprägt durch die Seminare, die ich halte, wie Fastenkurse, Ausbildungslehrgänge für seelsorgliche Begleitung. Vor allem aber ist mir wichtig, als Leiter des Klosters ansprechbar zu sein und ansprechend zu leben.

Als Chef sendet man oft die Botschaft: Ich hab keine Zeit, es ist so viel zu tun. Gerade das ist aber das Verkehrte. Als Leiter solltest du ansprechbar bleiben und das, was du tust und sagst, sollte ansprechend sein. Die einfachen Dinge sind die entscheidenden. Wenn andere miterleben, dass ich als Leiter des Hauses in der Küche stehe oder das Service mache, hat das eine ganz andere Wirkung, als wenn wir nur Angestellte hätten, die diese Aufgaben erledigen.

Gibt es dabei eine Grenze zwischen Arbeit und Freizeit?

Das ist eigentlich keine klösterliche Unterscheidung, auch im Verständnis von Arbeit. Ich vergleiche das Kloster immer mit einem Bauernhof. Wir Benediktiner sind eigentlich die Bauern unter den Ordensleuten. Alles, was wir machen, kann sehr lustvoll und wirklich eine Berufung sein. Natürlich ist es manchmal auch mühsam und lässt nicht viel Freizeit übrig.

Unser Bruder David (Anm. d. Red.: David Steindl-Rast), unser Ältester, ist 98 Jahre alt. Mit seiner Schaffenskraft schreibt er nach wie vor Bücher, aber er kann sich nicht mehr groß körperlich einbringen. Im Kloster bringt jeder sich danach ein, wozu er fähig ist – in Pension zu gehen, das gibt es bei uns nicht.

Es ist aber nicht nur entscheidend, was du tust, sondern, wie du es tust. Dazu gehört es auch, einmal auf Abstand zu gehen, indem man einmal wegfährt, Urlaub macht, damit ich schließlich wieder ganz bei dem sein kann, was ich tue. Entscheidend ist, dass ich achtsam bin, das ist in allen christlichen Traditionen ein wichtiger Schlüssel für klösterliches Leben. Es ist entscheidend, wie ich die Zwiebel schneide, wie ich die Türklinke aufmache, wie ich ein Telefonat führe. Man soll mit allem umgehen, als wäre es heiligstes Altargerät.

Als Mönch zu leben bedeutet, so zu leben, dass mir bewusst ist, was ich tue und WIE ich es tue. Außerdem bedeutet es, dass ich in allen Prozessen immer zum Leben aufstehe; heute nennt man das resilient leben. Bei allem, was uns das Leben mühsam macht, uns bedrückt, trotzdem zu hoffen und zu vertrauen. Es braucht den Mut, immer wieder aufzustehen, sei es im Tun, im Nicht-Tun, im Denken oder im Fühlen. Das ist das mönchische Leben: immer wieder zum Leben aufstehen.

Es gibt schon eine Unterteilung von Gebet, Arbeit und Lesung im Kloster. Aber wie unser Bruder David immer sagt: Das ist Nähkästchen-Spiritualität aus dem 19. Jahrhundert, das hat nichts mit mönchischem Leben von heute zu tun.

Gut Aich steht für Offenheit und Austausch zwischen den Religionen und Kulturen. Was bedeutet interreligiöser Dialog für Sie persönlich? Warum ist dieser ein so großes Anliegen?

Für mich bedeutet das, zum gemeinsamen Grundwasser zu kommen, das uns alle verbindet. Es gibt nicht das buddhistische oder das hinduistische oder das christliche Grundwasser, sondern: Grundwasser ist Grundwasser. Das ist uns allen zugänglich, nur unsere Schöpfgefäße sind unterschiedlich.

Lebendigkeit entsteht dadurch, dass es viele unterschiedliche Schöpfgefäße gibt. Was wir voneinander lernen können, ist die Bewegung, das Tun, das Schöpfen. Durch den interreligiösen Dialog wird das Eigene noch einmal gestärkt und bereichert. Die Bewegung, die Tatsache, dass ich in der spirituellen Praxis bin – also das Schöpfen – wird durch den Dialog gestärkt, als etwas, das ich nie vergessen darf. Deswegen ist das Entscheidende die Praxis und aus dieser Praxis heraus der Dialog.

Zur Zeit der Generation unseres Bruders David war es wichtig, diesen Dialog zu führen, Verständnis füreinander aufzubringen. Heute braucht es aber nicht mehr Worte, sondern Orte. Es braucht Orte der gemeinsamen Praxis, an denen man sich gegenseitig bereichert und voneinander lernt. Das ist die große Chance und Herausforderung unserer Zeit.

Welche Botschaft möchten Sie Menschen mit auf den Weg geben, die nach Sinn im Leben suchen?

Die Botschaft, das Leben ernst und leicht zu nehmen. Ernst, denn es sind ernste Zeiten, in denen wir leben. Wir dürfen uns davon auch nicht ständig ablenken, sondern müssen hinschauen, die Uhr steht wahrscheinlich schon auf fünf nach 12, was die Klimasituation betrifft oder auch die politischen Extreme, die sich verfestigen.

Das ernst zu nehmen, macht Sinn.

Und auch, es leicht zu nehmen: Unser Bruder David macht den Unterschied folgendermaßen verständlich: der Zweck ist erfüllt, wenn du Staub saugst, damit der Staub weg ist. Wenn du aber mit dem Staubsauger zu tanzen beginnst, dann wird es sinnvoll. Das ist die Dimension der Kunst des Spiels, ob im Sport oder in der Kunst: Es macht keinen Zweck, ob ich Fußball spiele oder nicht, ob ich das Stück von Mozart spiele oder nicht, aber es ist sinnvoll, denn das ist die Leichtigkeit des Lebens.

Das drückt auch Johann Sebastian Bach in seiner Motette „Jesu, meine Freude“ aus, in der es heißt, die Hölle ist aufgebrochen und Chaos beherrscht die Erde. Und dann hört man den Tenor „Ich stehe hier und singe“.

Das meint diese Leichtigkeit: Dass ich trotzdem ein Apfelbäumchen pflanze, trotzdem meinen Kindern sage, dass es wert ist zu leben. Das Leben ist im Grunde gut, auch wenn es drunter und drüber geht.