„Ich hänge am Leben“

Bei Red Bull sorgte der 1927 in Osttirol geborene Jos Pirkner, ausgezeichnet mit dem Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, für einen Vulkanausbruch: Seine Skulptur „Die Bullen von Fuschl“ inszeniert das Mission Statement im Red Bull Headquarter in Fuschl. Die Herde aus 14 stürmenden, überlebensgroßen Bullen gilt mit einer Länge von mehr als 22 Metern als die größte Bronzeplastik in Europa. Pirkner entwarf den Unternehmenssitz als Vulkan, aus dem die Bullen wie Lava herausbrechen und schuf so ein monumentales Gesamtkunstwerk.
Kaum ein Salzburger, der nicht schon bewundernd daran vorübergefahren ist. Wer aber ist der Mann, der dieses architektonische Kunstwerk geschaffen hat? Ende März eröffnete Jos Pirkner eine seiner raren Ausstellungen in der Salzburger Galerie Haas & Gschwandtner. Am Vorabend der Vernissage gab er im Interview mit der Salzburgerin Einblicke in sein bewegtes Leben.
Text: Doris Thallinger
Fotos: www.kaindl-hoenig.com, Daniel Scharinger

Herr Pirkner, morgen eröffnen Sie hier in der Galerie Haas & Gschwandtner eine Ihrer sehr seltenen Ausstellungen. Welche Werke zeigen Sie?

Was ich halt noch zuhause habe, denn die meisten meiner Werke sind verkauft. Ich selbst habe nur noch einige Stücke, die ich in eigener Sache mache. Diese entstehen aus Empfindungen, seien es Bilder in Farbe oder Bronzen als Form: Empfindungen, denen ich Ausdruck geben möchte. An der Aussage meiner Werke liegt mir sehr viel.

Darum ist die Motivfindung für mich immer sehr schwierig. In der letzten Zeit sind es Motive einer Entwicklung, derer ich Zeitzeuge bin, was in der Welt passiert: der Hunger, der Krieg. Diese Werke mache ich für mich selbst, das ist mir ein Bedürfnis.

Wie sind Sie überhaupt zur Kunst gekommen?

Jetzt gehen wir 80 Jahre zurück, das war meine Zeit. Damals war ich noch in der Schule und Zeichnen war mein Lieblingsfach. Die Lehrer haben wahrscheinlich schon ein Talent in mir vermutet und meinen Eltern geraten, mich unbedingt schulisch als Künstler ausbilden zu lassen! Das war 1943, noch im Krieg. Ich war dann in Klagenfurt auf der Kunstgewerbeschule. Als 1944 der Volkssturm gebildet wurde, wurde die Schule geschlossen.

Nach dem Krieg ging ich nach Salzburg zu Professor Rudolf Reinhart, einem Bildhauer, der mich sehr geprägt hat. Danach war ich auf der Meisterschule für angewandte Kunst in Graz. Und schließlich habe ich das Angebot bekommen, in Holland als Gold- und Silberbildhauer bei den Gebrüdern Brom zu arbeiten.

Es war ein Lernprozess über vier, fünf Jahre, um als Künstler ausgebildet zu werden: in den Bereichen Anatomie, Perspektive, Materialkunde. Ich beherrsche alles, was dazugehört. Heute brauchst du das nicht mehr, da klebst du eine Banane an die Wand oder hängst ein Bild verkehrt herum auf und bist schon Künstler. Heute läuft alles über das Marketing. Vor 80 Jahren hab ich noch nichts von Marketing gewusst – und weiß bis heute wenig davon.

Die Aufträge kommen immer noch, wieder und wieder, aufhören kann ich noch lange nicht! Jetzt bin ich 96 Jahre alt, aber ich zittere nicht, es geht noch gut.

Das heißt, Sie stehen nach wie vor im Atelier und arbeiten?

Immer. Dazwischen bin ich einmal zwei Tage weg, danach komme ich wieder und schau meine Arbeit wieder an. Wenn man immer am Werk ist, kann man sich an Fehler gewöhnen, das will ich nicht. Darum komme ich nach zwei Tagen wieder und sehe die ganze Sache wieder ein bisschen anders. Das ist der eigentliche Arbeitsprozess.

Sie gelten als großer Perfektionist. Was passiert mit Arbeiten, mit denen Sie selbst nicht zufrieden sind?

Einiges bleibt halt als Unvollendetes liegen. Ich arbeite aber eigentlich so lange an etwas, bis ich zufrieden bin. Für mich ist alles wichtig bei der Arbeit, die Silhouette, die Perspektive der Bronze… Ich hab ein großes Atelier mit riesengroßen Fenstern, sodass ich auch von außen hineinschauen und die Arbeit betrachten kann. Im Atelier scheint alles sehr groß zu sein, aber wehe, die Arbeit steht im Freien! So komme ich zu einem Resultat.

Woran arbeiten Sie aktuell?

Ich mache gerade ein Bild, auch wieder als Zeitzeuge: Krieg und Frieden. Es besteht aus drei Bildern: Das linke stellt das Entsetzen des Kriegs dar, das mittlere den Frieden und das rechte die derzeitige Flucht aus der Ukraine. Am linken Bild und am rechten Bild, da ist Entsetzen zu sehen. In der Mitte ist der Frieden, diesen muss man schätzen. Ich möchte den Menschen den Frieden deutlich machen, was Frieden bedeutet. Aber auch im Frieden ist zu sehen: Es kriselt.

Fließen auch Ihre eigenen Erfahrungen mit ein? Sie haben ja auch Kriegszeiten erlebt…

Nein, eher das, was ich jetzt höre und sehe, das ist fürchterlich. Es ist zum Schämen. Wenn ich zum Beispiel den Hunger male, wie die einen mit zwei goldenen Löffeln essen und trinken und die anderen haben nichts. Wo so viel Essen weggeschmissen wird, das will ich aufzeigen. Ich möchte mit meiner Kunst deutlich machen, was heute bei uns passiert.

Inwieweit hat auch Ihre eigene Erfahrung mit Kunst, Krieg und Nachkriegszeit Ihre Lebensphilosophie beeinflusst?

Ich hab diesen Krieg nicht hautnah miterleben müssen. Mein Bruder war im Krieg, mein Vater war im Krieg. Mein Vater war auch inhaftiert unter Hitler. Osttirol gehörte damals zu Kärnten. Ich habe zu der Zeit schon sämtliche Wettbewerbe gewonnen, war Gausieger von Kärnten, kurz darauf Reichssieger, daraufhin wurde ich in ganz Deutschland vorgeführt. Und mein Vater im Gefängnis. Wie harmoniert das? Man hat mir gesagt: Tu alles, was du tun sollst, sonst kriegt der Vater noch mehr Schwierigkeiten! Es war schon entsetzlich genug. Gott sei Dank, als der Krieg aus war, kamen alle wieder und wir waren eine komplette Familie – das war herrlich!

Sie haben auch sehr viele Berührungspunkte mit Salzburg…

Das kann man laut sagen!

Als Privatschüler von Rudolf Reinhart hat es begonnen und dann natürlich durch die Zusammenarbeit mit Herrn Mateschitz, das Red Bull Headquarter in Fuschl. Was bedeutet Salzburg für Sie?

Sehr viel. Ich muss eines loswerden zum Herrn Mateschitz: Was da passiert ist, ich habe nichts gewusst. In der Woche, bevor er gestorben ist, hat er mich angerufen: „Jos, was machst du jetzt?“ Seine Stimme war schon sehr fremd: „Wenn ich ein bisschen gesünder wäre, ich würde dich besuchen. Aber eines musst du wissen: Mal fest für die Museen!“ Das waren seine letzten Worte an mich: „Jos, mal fest für die Museen!“

Und ich: „Ja, Didi, ich tu, was ich kann.“ Ich hab nicht gewusst, dass er so krank war. Und dann lese ich in der Zeitung, er ist krank, denk mir noch, naja, krank ist öfter einer. Aber, dass er diese Krankheit gehabt hat! Mir hat niemand was gesagt. Ich hab nichts gewusst, das ärgert mich. Ich wäre ja ins Auto gesprungen und sofort zu ihm gefahren. Wir haben uns sehr gut verstanden. Und er mochte meine Kunst, das weiß ich. Darum sollte ich sein Headquarter bauen: „Jos, mach mir mein Headquarter!“, hat er gesagt.

Wie ist eigentlich diese Bekanntschaft oder sogar Freundschaft mit dem Herrn Mateschitz entstanden?

Er hatte von mir gehört und eine kleine Bronze gekauft. Damals haben wir uns lange über Kunst und Architektur unterhalten. In Holland habe ich einiges gemacht, auch was Architektur betrifft. Nach einer halben Stunde reicht er mir die Hand und sagt, du, ich bin der Dietrich. Und er meinte, wir müssen noch weiterreden, er habe große Pläne und vielleicht kommen wir zusammen. Und so war es dann auch: die Planung des Headquarters, die Gestaltung des Autos („Das Auto muss ausschauen wie ein Bulle!“). Mit der Formel-1 sind wir viel zusammen in der Welt herumgeflogen. Er war der Gesündeste, ich hab in der Früh mein Semmerl mit viel Butter und Marmelade gegessen, er nur Körndln, er hat so gesund gelebt, nicht getrunken, nicht geraucht, nichts. Er war so stark und dann musste er an dieser blöden Krankheit zugrunde gehen. Aber das war eine Persönlichkeit, das muss man sagen!

Mit dem Headquarter in Fuschl hat er ein Lebenswerk gesetzt, aber auch Sie. Was würden Sie selbst als Ihr wichtigstes Werk bezeichnen?

Ach, ich hab so viel gemacht. Monumentale Plastiken, ich hab Bühnen gebaut. In Holland, in Los Angeles, in den Bavaria Studios. Das ist nur ein kleiner Bruchteil, was man von mir sieht oder weiß. Ich hab so viel gearbeitet – ich glaube, es muss Tag und Nacht gewesen sein, bei dem, was ich alles gemacht habe. Ja, ich hab sehr viel gearbeitet und ich hab es gern getan. Die Kunst, das ist mein Leben.

Was machen Sie, wenn Sie einmal nicht arbeiten?

Das ist komisch, dass ich einmal nicht arbeite, was mach ich dann? Ein Mittagsschlaferl. Das gehört dazu mit 96, das kann man sich schon leisten.

Was ist Ihr Geheimnis, dass Sie noch so fit sind? Was ist Ihr Jungbrunnen?

Das ist mein wunderbarer Arzt. Der checkt mich durch, dann sagt er, mir fehlt nichts. Ich weiß wirklich nicht, woran ich einmal sterben werde.
Wenn mein Sohn 50 Jahre alt ist, dann bin ich 100. Und dann wollen wir 150 Jahre feiern. Wo wir das machen, weiß ich noch nicht, aber das wird ein Fest, das kann ich Ihnen sagen, das haben wir noch vor! Hoffentlich bleibt’s dabei, das sind jetzt noch vier Jahre, aber eigentlich muss es schon gehen!

Zurück zu Ihrer Kunst: Sie haben auch sehr viel Zeit der sakralen Kunst gewidmet. Welche Bedeutung hat Religion für Sie persönlich?

Ich bin sehr religiös. Meine Mutter hat mich so erzogen. Als ich nach Holland gefahren bin, als junger Bursch, ist die Mama mit mir zum Bahnhof gegangen, hat mir ein Kreuzl auf die Stirn gemacht und gesagt: Pepi, mit Gott fang an, mit Gott hör auf, das ist dein bester Lebenslauf. Und das hab ich mir in Holland ein paar Mal gesagt, bei einem großen Auftrag. Wenn ich mir gedacht habe, das muss ich jetzt durchstehen.

Stichwort Holland: Dort haben Sie nicht nur große Aufträge erwartet – dort haben Sie auch die große Liebe gefunden…

Ja, meine Frau, die Joke. Sie war eigentlich Balletttänzerin, aber sie wollte auch im Atelier mithelfen. Und was sie angegriffen hat, war einfach perfekt. Die hat geschweißt, hat später Stahlkonstruktionen für meine Bronzen gemacht, sie abgeformt. Die Joke hat immer mitgeholfen, wir haben vieles gemeinsam gemacht. Beim letzten Bullen, den ich für Fuschl gemacht habe, habe ich hineingeritzt: Joke, wir haben es geschafft!

Meine Frau ist leider früh verstorben, durch einen Fehler im Krankenhaus. Sie war dort, um sich durchchecken zu lassen. Sie hat Zucker gehabt, aber hatte das gut im Griff. Ich war zu der Zeit in Utrecht, als ich heimkam, wollte ich sie besuchen und sie sagt noch, nein, komm morgen in der Früh! Aber da war sie schon tot. Weil sie im Krankenhaus vergessen haben, Zucker zu messen, ist meine Frau an dem Tag gestorben. Ich hab keine Joke mehr und das ist sehr schlimm. Es war so schön mit ihr, wir hatten so viele Gemeinsamkeiten. Jetzt hab ich viel Angst um meinen Sohn, wenn er nicht da ist. Dass wieder etwas so plötzlich passieren kann.

Was ist Ihrer Meinung nach das Geheimnis einer guten Ehe?

Einfach reden. Solange man reden kann… Wir hatten auch unterschiedliche Meinungen, aber wir haben geredet und geredet. Und auch wenn wir uns nicht einig geworden sind, nach einer halben Stunde war alles wieder vorbei und wunderbar. Wir hatten eine gute Ehe.

Die Leute reden heute nimmer miteinander. Schauen Sie, mich ärgert das Fernsehen! Was interessiert es mich, wenn einer in Amerika erschossen wird? Ich kann eh nicht helfen. Warum muss ich das wissen? Das ist diese Sensationslust der Medien. Das hat es früher nicht gegeben vor 80 Jahren, da hat es das alles nicht gegeben, kein Fernsehen, kein Handy.

Das ist die heutige Zeit, mir tun die jungen Menschen so leid, das sind liebe junge Menschen, aber was haben die für ein Leben, wenn sie reinwachsen ins digitale Zeitalter?

Was würden Sie sich für die nächsten Generationen, die Generation Ihrer Enkelin wünschen?

Ich glaube, dass sie ein bisschen mehr aufwachsen können, wie ich aufgewachsen bin, mit ein bisschen mehr Religion. Es geht mir nicht um die Zehn Gebote, aber um das Christliche, um das Miteinander, das Soziale, das war damals mehr.

In Ihren Worten: Was ist die Essenz des Lebens? Worum geht es?

Ich wollte immer meine Empfindungen deuten und ausdrücken. Vieles war schön, vieles minder schön, aber ich hab getan, was ich immer tun wollte. Ich mache mir heute schon Gedanken, was ich meinem Sohn sagen soll, wenn ich einmal Abschied nehmen muss. Er sagt, ich soll nicht darüber nachdenken, und er hat recht damit. Das Leben – ich hänge am Leben und das ist gut so.