„Das ‚Wir‘ ist das größte Erfolgsmodell“

Text: Doris Thallinger

Fotos: www.kaindl-hoenig.com

Gestalten zu dürfen steht für Hans Harrer, Unternehmer und Vorstandsvorsitzender des Senats der Wirtschaft, an oberster Stelle. Im Fokus stehen die Gesellschaft und unsere Zukunft, die Zukunft der Jungen. Wofür er sich einsetzt, woraus er gelernt hat und wie er die Zukunft beurteilt, darüber spricht er mit uns im großen Interview.

Wenn du ein Ranking deines derzeitigen Lebens machen müsstest: Was steht bei dir an erster Stelle, was auf Platz zwei und drei?
Wenn es nach dem Rang gehen würde, steht an erster Stelle „Gestalten zu dürfen“, Gesellschaft gestalten zu dürfen, Unternehmen gestalten zu dürfen. Das zweite ist, dass ich mir meine Kindlichkeit erhalten darf. Denn all das, was um uns herum passiert, sollte an sich, aus einem Freiraum heraus passieren. Und es gibt nur bei den Kindern die Offenheit, die Freiheit und die Ehrlichkeit. Das dritte, das ich mir wünsche, ist, dass ich meiner Familie, meinen Enkeln ein bisschen was mitgeben kann. Sie sollen einmal sagen, es ist zwar viel schief gelaufen in unserer Gesellschaft und es läuft immer etwas schief, aber mein Opa, der hat sich eingesetzt, damit etwas für uns da ist.
Für eine generationengerechte Zukunft vorangehen und eine Generationenbalance schaffen. Wir müssen die Kinder dazu bringen, dass sie immer nach vorne schauen, aber ihnen auch ermöglichen, auf das Positive zurückzuschauen.

Welchen Rat würdest du heute einem jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Wir sprechen in unserer Gesellschaft gern von Demokratie – was ist Demokratie? Demokratie ist einerseits ein Friedensprojekt; die Demokratie ist die größte Chance, Frieden und Lösungen zu erarbeiten – und zwar über den Diskurs und die Diskussion.
Liebe Jugend, es wird Zeit, euch in eure Gesellschaft mehr einzumischen, es geht um eure Zukunft! Demokratie heißt nichts anderes, als sich in die eigenen Sachen einzumischen. In einem demokratischen Umfeld kann ich sagen, das passt mir nicht – da habe ich eine andere Lösung. Aber ich sollte eben auch an Lösungen denken, nicht nur das Problem aufwerfen. Demokratie muss ständig erneuert werden. Warum hat die Jugend heute keine politischen Interessen mehr? Die Jugend kennt keine politischen Spannungen in unserer Gesellschaft – im großen Sinne. Die Demokratie hat in den vergangenen 50, 60 Jahren super funktioniert, mit Aufs und Abs. Aber es gibt keine Kontinuität, weil sich die Gesellschaft unterschiedlich entwickelt. Und deswegen verlange ich von meinen jungen Mitbürgern und rate ihnen: Bitte mischt euch in eure Gesellschaft ein! Es geht um eure Zukunft! Nicht zuschauen!

Für mich ist das Arbeiten mit jungen Menschen die schönste Herausforderung, wenn man bereit ist, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Das ist eine Herausforderung für uns alle in unserer Gesellschaft.

Was sind die Herzensprojekte, an denen du derzeit gerade arbeitest?
Das teilt sich in zwei Kategorien: Das eine ist das unternehmerische Tun. Im unternehmerischen Tun habe ich wunderbare Bestandsobjekte mit meinem Partner, Josef Steinhuber und seiner Frau Regina, mit denen ich in Passau eine ganz tolle Reha-Klinik für Neurologie, Orthopädie, Burn-out und Dauerpflege schaffen durfte. Dort haben wir auch ein sehr schönes Hotel entwickelt und von einem Drei-Stern zu einem Vier-Stern Superior gemacht. Das dritte Projekt, das wir zusammen realisieren, ist der Klosterhof in Spitz an der Donau, ebenfalls ein absolutes Herzensprojekt.
Der zweite Bereich ist im Rahmen des Senats der Wirtschaft, wo wir uns der Aufgabe widmen, dass Unternehmer, Macher, Manager nicht nur Verantwortung für ihre Unternehmen übernehmen, dafür, dass die Zahlen stimmen, sondern auch dafür, dass die Menschen zählen. Dass Mitarbeiter in erster Linie Menschen sind. Denn erst, wenn hinter den Zahlen Menschen stehen, haben die Zahlen einen Wert!
Das ist der zweite Teil meines Tuns, in dem ich mich für die Menschen, die Gesellschaft – speziell für die junge Generation – engagiere. Dabei geht es mir vor allem darum, miteinander zu arbeiten, mich einzubringen, aber nicht der „Alt-Gescheite“ zu sein und den Jungen eine alte Zukunft zu erzählen. Die Zukunft muss eine junge sein, die muss von der Jugend kommen! Ich darf der Guide sein, aber vorangehen muss die Jugend selbst, sie muss ihre Zukunft gestalten!

Was war deine wichtigste Lektion im Leben?
Die wichtigsten Lektionen, die ich in meinem Leben mitgenommen habe, waren meine Fehler. Jeder Fehler ist die größte Lektion und die größte Lehre fürs Leben. Wenn du eine unternehmerische Fehlentscheidung getroffen hast, diese Fehlentscheidung vielleicht zum Kollaps führt und du aber nicht liegen bleibst, sondern wieder aufstehst, dann wirst du gelernt haben. Aus dem Scheitern. Das ist ein Engpass unserer Gesellschaft, wir haben keine Kultur des Scheiterns. Scheitern ist in unserer Gesellschaft mit einem Makel verbunden. Stattdessen sollte man sagen: Das ist ein tüchtiger Mensch, der hat etwas geschaffen, der hat gelernt… Man sollte solche Menschen als Vorbilder hernehmen. Es ist das Beste, sich mit Menschen zu umgeben, die bereit sind hinzufallen und wieder aufzustehen.

Was betrachtest du als den größten Erfolg deines Lebens?
Das ist schwer zu sagen, aber vielleicht, dass ich so viele Chancen bekommen habe. Chancen, etwas zu gestalten, etwas zu entwickeln, dass ich Chancen bekommen habe, Risiken einzugehen. Und dass ich diese Chancen immer angenommen habe, auch, wenn andere gesagt haben, das geht nicht. Dann ist es für mich immer spannend geworden. Das ist ein Geschenk, den Mut zu haben, raus zu treten aus ausgetretenen Pfaden. Das ist für mich eine meiner größten Errungenschaften. So habe ich viele Projekte entwickeln dürfen, wie die ersten All-Inclusive Clubs in der Türkei, als keiner daran geglaubt hat. Was ist daraus entstanden? Eine Erfolgsgeschichte im Tourismus.
Aber damit braucht man sich nicht brüsten. Wenn mir der liebe Gott etwas mitgegeben hat, das für mich wertvoll ist, dann, dass ich nie durch die Lande gezogen bin und gesagt habe: „Ich, Ich, Ich“, weil ich immer im „Wir“ lebe. Ich bin nur stark, wenn ich die richtigen Leute um mich habe, die mich unterstützen, die mich befruchten, die ihr Know-how geben, die mir Kraft geben und Hilfe, wenn ich einen Schmarrn gebaut habe. Das ist für mich meine größte Errungenschaft: In meinem Leben war nie das „Ich“ wichtig, sondern immer das „Wir“. Ja, ich würde sagen, das „Wir“ ist generell das größte Erfolgsmodell.
Denn nur das „Wir“ schafft Synergien für ein Miteinander-Gestalten. Da gibt es ein schönes Sprichwort von Victor Hugo, der sagte: „Allein fallen wir wie die Fliegen, zusammen rollen wir wie die Panzer.“ Da ist vielleicht der Panzer nicht das richtige Synonym, aber was will er zum Ausdruck bringen? Er will nur zum Ausdruck bringen, dass wir alleine leider oft ein Nichts sind, im Ganzen betrachtet. Und wenn wir miteinander marschieren, werden wir viel mehr Erfolg haben und auch mehr Sicherheit. Die Menschen brauchen sich nicht fürchten. Daran müssen wir unheimlich arbeiten. Da hat unsere Gesellschaft sehr viel zu tun, damit wir hier wieder in die Balance kommen. Und nicht schon unseren Kindern das Fürchten lehren. Angst ist der Dealbreaker für alles, für das Gestalten des Lebens, für zwischenmenschliche Beziehungen, …
Fürchten muss man sich nur vorm Nichtstun: Sobald du beginnst, irgendetwas zu tun, bist du schon in guten Energien, denkst nach vorne. Du bist das, was du denkst!
Es gibt einen schönen Satz von einem deutschen Wirtschaftsethiker Ulf Posé: „Stell dir vor, du schaust in dich hinein und du findest niemand.“ Und das ist die Herausforderung unseres täglichen Seins: den Mut zu haben, in mich hineinzuschauen und zuerst bei mir anzufangen. Ich kann nichts von der Gesellschaft verlangen, was ich selbst nicht bereit bin zu tun.

Ist das ein typisches Thema unserer Zeit? Warum müssen wir über so etwas nachdenken?
Ganz einfach, durch die Geschwindigkeit, die Bequemlichkeit, das Wellness-Denken, immer im Wohlfühl-Status sein zu wollen, Verantwortung ständig abzugeben. Das ist der Bumerang, wenn ich ständig Verantwortung abgeben muss, damit es mir gut geht, dann werde ich auch nicht Verantwortung lernen, um Verantwortung für mich zu übernehmen und Verantwortung für die anderen. Es beginnt alles bei mir. Die Geschichte lehrt uns: Wenn es einer Gesellschaft zu lange zu gut geht und sie aus dem „Wellnessen“ nicht mehr raus kommt, dann ist sie in größter Gefahr. Weil man nicht mehr lernt, mit Gefahr umzugehen, das Gefühl dafür zu bekommen, wo ist eine Gefahr, wo keine? Der Instinkt geht verloren.

Du bist im November 70 geworden – der durchschnittliche Österreicher geht mit gut 61 Jahren in Pension? Denkst du manchmal daran, etwas ruhiger zu treten?
Ruhiger zu treten – das eine oder andere passiert im Leben ohnehin durch das Altern. Das Altern hat auch riesige Vorteile. Ich finde es wunderschön, wenn man gesund sein darf, im Kopf, im Bewegen und in der Seele. Ja, ich bin 70 – und ich darf in meinem Alter noch das tun, was mir Spaß macht. Was gibt es Schöneres? Ich stelle immer wieder fest, dass Menschen, die bereit sind, sich bis ins höhere Alter hinein der geistigen Herausforderung zu widmen und dafür, was getan wird, auch Verantwortung zu übernehmen, die Chance haben, gesünder älter zu werden. Und diese Chance möchte ich nutzen.

Wenn du einmal nicht im Auftrag eines deiner Projekte unterwegs bist – was machst du in deiner Freizeit?
Ich mache gerne Sport, bin gerne in der Natur, vom Bergsteigen bis zum Wandern, vom Golfspielen bis zum Tennisspielen. Generell lese ich sehr viel und gern, nicht nur in meiner Freizeit. Und ich gehe wahnsinnig gerne in die Sauna, weil mich das energetisch auflädt.
Das sind an sich meine Freizeitbedürfnisse, sonst habe ich keine… Ich habe nicht den Drang, auf einer Yacht herumzuturnen oder große Fernreisen zu machen. Ich war in meinem Leben so viel in der Ferne, dass der Raum ruhig ein bisschen enger sein darf.
Auch durch Weiterbildung lade ich meine Akkus auf: Zum Beispiel bin ich jedes Jahr im Friaul, in der Abbazia di Rosazzo. Dort veranstaltet der Universitätsclub Klagenfurt ein Wirtschafts-Philosophisches Miteinander. Maximal 80 Leute finden sich in einem aufgelassenen Kloster zusammen, um der Philosophie zu frönen. Die Philosophie kommt in unserer Gesellschaft ohnehin zu kurz. Eine Gesellschaft, die vorankommen will, muss sich wieder vermehrt den Herausforderungen der Philosophie widmen. Und auch in unserem täglichen Tun muss sie wieder Einkehr finden. Jedenfalls sind diese drei Tage für mich immer ein seelisches und geistiges Aufladen!

Für dich als Mann der Wirtschaft – wie wichtig sind dir die weichen Dinge im Leben? Wie Kunst, Kultur?
Kunst und Kultur haben für mich eine große Relevanz. Sie prägen eine Gesellschaft. Wenn eine Gesellschaft aus der Balance gerät, dann ist es meistens so, dass die inneren Werte, die in der Kunst und Kultur entstehen, verloren gegangen sind oder weggetreten wurden. Deshalb hat man auch im Senat der Wirtschaft Symposien zum Thema Kunst und Kultur im Dialog mit Wirtschaft eingeführt. Ein Künstler hat den Wirtschaftlern oft etwas voraus – und das ist Mut. Durch das Werk, das er gerade vollzieht, stülpt er fast immer seine Seele nach außen, er spiegelt sich selbst – und da gehört Mut dazu!

Welche Rolle spielt der Glaube, die Spiritualität in deinem Leben?
Ich bin ein sehr gläubiger Mensch, aber ich finde die Energie, meinen Glauben, nicht in der Kirche. Denn ich muss das Göttliche, das Universelle nicht suchen, da ich Teil dieses Universellen, Göttlichen bin. Und wenn mir das bewusst wird, gehe ich ganz anders damit um. Dann gehe ich spazieren oder bin in der Natur draußen und umarme einen Baum. Weil mir der Kraft gibt.
Glaube ist für mich etwas ganz Entscheidendes, wenn man nicht unbedingt den Glauben in der Vermenschlichung des Göttlichen sucht. Die Göttlichkeit ist für uns alle da, egal welche vermenschlichenden Religionen wir um uns herum haben. Die Vermenschlichung des Glaubens führt oft zu großen Irritationen in unserer Gesellschaft.

Wenn du jetzt an der Spitze der Macht stehen würdest, was möchtest du verändern?
Wenn ich die Macht hätte, würde ich alles tun, um unserer Gesellschaft wieder mehr Selbstvertrauen, mehr Vertrauen insgesamt zu geben. Ich würde das Bevormunden der Gesellschaft, die Abertausenden Gesetze und Verordnungen auf ein Minimum reduzieren. Unsere Gesellschaft leidet in der Entwicklung durch die Zwangsjacken, die wir zugelassen haben. Für alles gibt es Gesetze und trotzdem werden Fehler in der Gesellschaft gemacht. Du kannst Menschen noch so viele Gesetze drüber stülpen – wer gegen ein Gesetz verstoßen will, wird es machen. Aber das ist ein ganz kleiner Teil, ausbaden muss es die große Menge. Die Zwänge geben uns nicht die Kraft, nach außen zu gehen, sie bringen uns eher dazu, lethargisch zu sein. Mit der Geisteshaltung: Ich kann ja sowieso nichts tun.

Schaust du der Zukunft positiv entgegen?
Ich schaue der Zukunft ganz, ganz positiv entgegen. Weil ich den hundertprozentigen Glauben habe an die Zukunft mit unserer Jugend. Wenn es uns gelingt, ein paar Mechanismen zu implementieren, die für das Vorankommen unserer Jugend wichtig sind und die Achtsamkeit dem Menschen gegenüber, die Achtsamkeit, wie wir unseren Globus sehen und die Wertschätzung wieder herzustellen. Denn nur Wertschätzung schafft Wertschöpfung! Soziale Wertschöpfung, wirtschaftliche, Frieden, in allen Bereichen.