Gourmetküche, Schwefelbäder und Avantgarde

Text: Nicola Seipp

Fotos: Pixabay; Nicola Seipp; bbivirys, Boris Stroujko, Boris Stroujko, joyt - stock.adobe.com

Die georgische Metropole Tiflis lockt als faszinierendes Reiseziel zwischen Kaukasus und Schwarzem Meer.

Verführerische Limonaden, exzellente Speisen, die flirrende Ruhe eines romantischen mediterranen Hinterhofgartens mit alten Bäumen hinter historischem Gemäuer – es gibt sie tatsächlich, diese wunderbaren Orte, die man am liebsten nie mehr verlassen möchte. Das „Littera“ im Literaturhaus mit seiner verlockenden Gourmetküche inmitten der Altstadt von Tiflis (Tbilissi) ist so ein Ort – eine grüne Oase, die zum Verweilen, Genießen und zu langen Gesprächen einlädt. Das Schriftsteller- und Literaturhaus ist ein wahres Refugium, das übrigens nicht nur Autoren beherbergt, auch Touristen dürfen in einem der einladenden Zimmer in der behutsam renovierten herrschaftlichen Jugendstilvilla übernachten. Ausgestattet mit viel antikem Holz, imposantem Treppenhaus, feinem Mosaik und ehemaligem Ballsaal lädt das Haus zu einer Reise in vergangene Zeiten ein. Sogar einem ausgestopften lebensgroßen Löwen begegnet man auf dem Weg in die Zimmer, die übrigens alle nach Literaten benannt sind, die in einer Beziehung zu Georgien standen, wie etwa John Steinbeck oder Boris Pasternak. (www.writershouse.ge)
Doch nicht nur für Gourmetfans (Essen kann man in Georgien ausgesprochen gut, schon zu Sowjetzeiten galt die Region als Schlemmerparadies) und Literaturliebhaber wird die georgische Hauptstadt ein zunehmend beliebtes Reiseziel, auch Mode-, Kunst-, Lifestyle-, Techno- und Designliebhaber zieht es immer häufiger in die pulsierende Metropole. Schon Marco Polo bezeichnete Tiflis im 13. Jahrhundert als „herrliche Stadt“ – heute bereichert sie mit ihrer spannenden Geschichte und Kultur, Clubs, Cafés, Restaurants, Bars, neuen Läden und hippen Boutique-Hotels die kreative Szene, die in der Stadt der Gegensätze boomt. Futuristische Bauten wie die Friedensbrücke stehen neben verschnörkelten historischen Häusern – mit teils bröckelnden Fassaden – in engen Gassen. Ein Teil der Anziehungskraft von Tiflis liegt eben auch in der Vielfalt seiner Architektur. Zwischen traditionellen osmanischen, persischen und byzantinischen Bauwerken erinnert die Stadt mit zahlreichen Gebäuden an die sowjetische Vergangenheit.
Für einen perfekten Trip sollte man sich ausgiebig durch die Altstadt treiben lassen, die sehr vielen und sehr alten Kirchen besichtigen, das Nationaltheater oder das Gabriadze-Marionettentheater besuchen, zwischendurch pikante Chinkali-Teigtaschen und georgischen Wein kosten. Über all dem thront und lockt der Vergnügungspark Mtazminda am Fuße des 275 Meter hohen Fernsehturms, der mit dem Riesenrad zu den Wahrzeichen von Tiflis gehört und zu einem Besuch einlädt. Anschließend lässt es sich in einem der legendären Bäder im Viertel Abanotubani erholen. Seit 700 Jahren schon nutzen die Menschen die heißen unterirdischen Quellen, die auch schon Puschkin und Alexandre Dumas genossen. So waren es übrigens auch die Schwefelquellen, die der Stadt einst ihren Namen gaben – Tbilissi heißt übersetzt „warme Quellen“. Zum Abschluss nach der dampfenden Hitze noch ein Eis bei Luca Polare (www.lucapolare.com) – das als bestes der Stadt gilt – und der Trip ist wirklich perfekt.

Wir sprechen mit dem deutschen Filmproduzenten und Regisseur Stefan Tolz, der nach seinem Studium an der Münchner Filmhochschule vor fast 30 Jahren als erster westlicher Film-Stipendiat nach Tiflis kam. Danach zog es ihn immer wieder in die östlichste Hauptstadt Europas, in der er heute gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, einer Georgierin, in einem mit dichtem Wein bewachsenen Haus inmitten der Altstadt in der Nähe des Parlaments wohnt. Stefan Tolz hat inzwischen auch die georgische Staats-bürgerschaft angenommen und arbeitet derzeit an einem Spielfilm über eine Limonadendynastie, die die Stadtgeschichte mitgeprägt hat.

Können Sie in wenigen Worten beschreiben, was für Sie das Besondere an Tiflis ist? Worin liegt für Sie der Reiz dieser Stadt zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus, die Sie zu Ihrem Lebensmittelpunkt gewählt haben?
Ich möchte Ihnen das mit einem Bild beantworten: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Kino, um Ihren Alltag in Deutschland zu verlassen und landen in einem bunten, chaotischen und liebevollen Film, in dem fast immer die Sonne scheint, es an jeder Ecke guten Wein gibt – und das frischeste Biogemüse der Welt. Und plötzlich haben Sie die Möglichkeit, selbst in den Film einzutreten und in dieser Filmwelt zu leben… Fast jeden Tag, den ich hier lebe, entdecke ich etwas Neues – alles ist im Fluss und bietet Chancen, denn das ganze Land hat noch viel aufzuholen.
Das mag manchmal nerven, da viel nicht funktioniert – aber dafür kann man andererseits Dinge anstellen, die in Westeuropa undenkbar wären. Die Georgier haben glaube ich das Wort „Improvisation“ erfunden. Das erfordert aber auch ein Umdenken im eigenen Leben: dass man erst mal die Rationalität hinter die Emotionalität zurückstellen muss. Denn sonst wird man hier nicht glücklich.

Auf Besucher wirkt der morbide Charme der Altstadt mit den teilweise verfallenden Gebäuden im Gegensatz zu den futuristischen Neubauten der Stadt – die ja auch für den Modernisierungskurs stehen – oft spannend. Wie aber ist es für Sie, in diesem Spannungsfeld zu leben und den Alltag zu verbringen?
Der morbide Charme versetzt einen ja manchmal ins Italien der 60er-Jahre. Umgekehrt zeugen viele der neuen Bauten von der Aufbruchsstimmung in eine Zukunft, die ich selbst wahrscheinlich gar nicht mehr erleben werde. Gerade vor einigen Wochen ist das Gerüst für eine neue Seilbahn entstanden, die die Bewohner eines neu gebauten Design-Stadtteils auf dem Berg hinter der Altstadt direkt ins Zentrum bringt, um so Autoverkehr zu minimieren. Geht man ins Kreisverwaltungsreferat der Stadt, das in einem futuristischen Pilzbau untergebracht ist, dann wähnt man sich in einem Raumschiff – alles ist elektronisch in kürzester Zeit zu regeln. Andererseits trifft man auf viel Historie: Wenn ich zu meinem Büro laufe, dann vergeht kein Tag, ohne dass ich ein neues Detail in der Architektur der Häuser entdecke, das eine Geschichte aus einer anderen Zeit erzählt. Tiflis war ja nicht nur lange Teil des russischen Zarenreiches, sondern hat auch arabische, persische oder osmanische Wurzeln.

Tiflis ist dabei, sich den Ruf als „Paris des Ostens“ zurückzuholen. Was sollte sich jeder Besucher bei einem Trip in die Stadt unbedingt ansehen?
Tiflis war früher – und ist neuerdings wieder – eine Modestadt. Es gibt mehrere „Fashion Weeks“ hier, die für viele mit Rang und Namen in der jungen internationalen Mode-Szene zu Pflichtterminen geworden sind. Aber der größte Reiz hier liegt in der Vielfalt der Bevölkerung. Gesichter zu studieren, ist eine schöne Art, Tiflis kennen zu lernen. Kurzbesucher sollten sich Zeit für die Altstadt nehmen, einfach auch mal schlendern und nicht nur die Sehenswürdigkeiten abhaken. Ich empfehle auch den Weg hinauf zur Mama Daviti-Kirche, dem Pantheon der Georgier. Hier kann man nicht nur die Gruften der wichtigsten Poeten oder das Grab von Stalins Mutter bewundern, sondern hat einen wunderschönen Blick auf die Stadt. Dies ist einer der wichtigsten Orte für die Bewohner der Stadt. Nicht umsonst heißt der Berg, an dem das Pantheon liegt „Mtazminda“ (Heiliger Berg). Wenn man die Zahnradbahn nimmt, kann man auch bis hoch zum Aussichtsrestaurant fahren und einen Spaziergang im Vergnügungspark machen – das Riesenrad und der dominante Fernsehturm erinnern an sowjetische Zeiten.

Verraten Sie uns noch kurz Ihren persönlichen Lieblingsort?
Das Pantheon hatte ich ja schon erwähnt. Für mich gehört sicher auch das Bad Nummer 5 in der Altstadt unterhalb der Moschee zu meinen „Favorites“. Ich lasse mich hier von Barbier Aydin rasieren und einem der aserbaidschanischen Masseure abrubbeln und mit Kernseife einschäumen. Hier höre ich in der Sauna oder am Schwefelwasser-Becken entspannt armenischen Handwerkern oder georgischen Pensionären oder Rugby-Spielern zu und erfahre, was gerade das Stadtgespräch der Leute ist. Im Bäderviertel Abanotubani sind die Gemeinschafts-Bäder nach Männern und Frauen getrennt. Für Frauen ist das Bad Nummer 5 nicht so interessant. Da empfiehlt sich das die Pflasterstraße etwas höher gelegene „Mirsoevi“-Bad, denn hier arbeitet Frau Samaja, eine der besten Masseurinnen der Stadt. Das Puschkin-Bad ist inzwischen renoviert worden und empfiehlt sich für Paare oder Gruppen, die hier ihr eigenes Privat-Bad mieten können.