Glanzrolle für
Deleila Piasko
Vom kämpferischen Netflix-Star zur sinnlichen Buhlschaft?
Text: Susanne Rosenberger
Fotos: Irina Gavrich, Anika Molbar, Salzburger Festspiele/Neumayr/Christian Leopold
Die 33-jährige Schweizer Schauspielerin Deleila Piasko ist nicht nur jung und hübsch, sondern zudem äußerst talentiert – weshalb sie sich in ihren Rollen ungern auf ihr Äußeres reduzieren lässt. In diesem Festspielsommer übernimmt sie als Nummer 38 der Liste an legendären Miminnen die Rolle der Buhlschaft und reiht sich damit hinter Valerie Pachner (2023), Verena Altenberger (2021-22) und Caroline Peters (2020) ein. Ihr zur Seite steht der österreichische Schauspieler Philipp Hochmair als Jedermann, der bereits 2018 als Einspringer für den erkrankten Tobias Moretti in dieser Titelrolle glänzte, nachdem er sich ab 2013 in seiner Ein-Mann-Rockversion „Jedermann (reloaded)“, getrieben vom experimentellen Sound der Band Die Elektrohand Gottes, intensiv mit dem Stoff vertraut gemacht hatte. Mit dieser Besetzung scheint ein neues Traumpaar für Salzburgs beliebtes Traditionsstück gefunden worden zu sein.
Es sei für sie eine große Ehre, die Rolle der Buhlschaft spielen zu dürfen und somit ein Teil dieses traditionsreichen Theaterereignisses zu werden, so Deleila Piasko im Frühsommer, als sie voller Vorfreude und Neugierde auf die Proben und die kreativen Auseinandersetzungen mit Robert Carsen und dem Ensemble blickte. Denn auch das restliche Ensemble in der Inszenierung des kanadischen Regisseurs Robert Carsen ist prominent: Dominik Dos-Reis als Tod, Christoph Luser als Teufel und Jedermanns guter Gesell, Kristof Van Boven als Mammon, Nicole Beutler als des Schuldknechts Weib und Regine Zimmermann in der Rolle des Glaubens. Die Premiere der Neuinszenierung vom Jedermann steht für 20. Juli 2024 auf dem Spielplan der Salzburger Festspiele, darauf folgen weitere 13 Aufführungen auf dem Domplatz bzw. bei Schlechtwetter im Großen Festspielhaus – alle Termine sind längst restlos ausverkauft.
Bühnen-Comeback
„Manchmal macht einem das Leben Geschenke!“, freut sich Deleila Piasko in einem Interview mit Christina Kaindl-Hönig (zu lesen im Magazin der Freunde der Salzburger Festspiele) über ihr Bühnen-Comeback: „Ich sehe die große Freilichtbühne vor dem Salzburger Dom als Herausforderung, freue mich darauf, unter freiem Himmel zu spielen und bin fasziniert von der langen Aufführungsgeschichte des Jedermann bei den Salzburger Festspielen.“ Wie Tradition und Zeitgeist immer wieder aufs Neue zusammengeführt werden, findet Piasko erstaunlich, die inhaltlich an Hofmannsthals Spiel vom Sterben des reichen Mannes im Hinblick auf die Buhlschaft vor allem die Lebenslust im Kontrast zu Vergänglichkeit, Tod und Sterblichkeit interessant findet. Als Frau unserer Zeit will sie die Rolle modern interpretieren und ihrem Partner Paroli bieten, ohne ausschließlich auf ihr Kleid reduziert zu werden.
Dass einem die Rolle mit dem kleinsten Text und der größten Aufmerksamkeit nicht einfach ohne Grund in den Schoß fällt, ist allseits bekannt. Der Regisseur Robert Carsen wurde auf Deleila Piasko in ihrer Rolle als antifaschistische Kämpferin Lisa Fittko in der Netflix-Serie Transatlantic aufmerksam, die ihr eigenes Leben riskiert, um verfolgten Menschen ihre Flucht vor dem NS-Regime aus dem besetzten Frankreich zu ermöglichen. Darüber hinaus hatten ihn auch weitere Auftritte von Piasko überzeugt, die er im Streaming gesehen hatte. Denn bereits während ihrer Zeit als festes Ensemblemitglied des renommierten Burgtheaters in Wien zwischen 2019 und 2022, werden Deleila Piasko Rollen in verschiedenen TV-Produktionen und Kinofilmen angeboten. So spielt sie etwa im deutschen Spielfilm Stasikomödie (2019) von Leander Haußmann eine Muse im Ostberliner Künstlermilieu vor dem Mauerfall – in jener Stadt, die Deleila Piasko während ihres Studiums an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch als Lebensmittelpunkt gewählt hatte. Derzeit ist sie beruflich bedingt viel unterwegs, lebt ohne festen Wohnsitz, verbringt viel Zeit in London und den Sommer über in Salzburg.
Film statt Theater
Für Deleila Piasko ist die prestigeträchtige Rolle als Buhlschaft zugleich eine Rückkehr nach Österreich als auch auf die Theaterbühne. Denn im Jahr 2022 verließ Piasko das Ensemble des Burgtheaters und konzentrierte sich in Folge verstärkt auf TV-Serien, Kinofilme und Streaming-Produktionen. In der deutschen Fernsehserie Der Schatten (mit dem Deutschen Fernsehpreis 2023 ausgezeichnet) unter der Regie von Nina Vukovic, spielt Piasko die Berliner Journalistin Norah Richter, die über die einzelnen Episoden hinweg zunehmend manipuliert, desorientiert und in Wahnvorstellungen getrieben wird, bevor ihr am Ende die Enttarnung einer perfiden Intrige gelingt.
Die bereits genannte Dramaserie Transatlantic, die auf Netflix bislang neun Millionen Abrufe verzeichnete, wurde inspiriert von der wahren Geschichte des US-Journalisten Varian Fry, der Erbin Mary Jayne Gold und der Hilfsorganisation „Emergency Rescue Committee“ und beruht auf dem Buch The Flight Portfolio. Eine internationale Gruppe junger Menschen organisiert in Marseille im Jahr 1940-41 einen Fluchtweg zu Fuß über die Pyrenäen, um Verfolgten aus dem Land zu helfen – darunter befinden sich zahlreiche von den Nationalsozialisten gesuchte Literatur- und Kunstschaffende. Die Züricherin spielt darin die österreichische Widerstandskämpferin Lisa Fittko, die sich gemeinsam mit anderen Fluchthelfern in einer Villa am Rande von Marseille versteckt hält – hier spielen sich Flüchtlingsschicksale, Liebesverstrickungen, unerwartete Allianzen und Spionage vor historischer Kulisse ab.
Erst kürzlich wurde im Mai 2024 die sechsteilige ARD-Serie Die Zweiflers veröffentlicht, in der die Geschichte der deutsch-jüdischen Familie Zweifler und ihrem Delikatessen-Imperium in Frankfurt am Main erzählt wird – inmitten von Veränderungen, Traditionen und neuen Beziehungen. Deleila Piasko spielt an der Seite von Sunnyi Melles und Aaron Altaras ein Mitglied dieser dysfunktional verstrickten Familie über drei Generationen. Die ARD-Produktion feierte im Juni beim International Series Festival in Cannes Weltpremiere und gewann gleich in drei Kategorien.
Starke Frauenfiguren
Die Schauspielerin selbst wuchs ebenfalls in einer jüdischen Familie auf, besuchte einen jüdischen Kindergarten und sieht ihre Herkunft dabei als Teilidentität ihrer selbst an. Bereits für Transatlantic musste sie sich intensiv mit dieser Materie beschäftigen und sich auf die Themen Flucht und Krieg einlassen. Besonders der unbändige Mut der Gruppenmitglieder der Hilfsorganisation „Emergency Rescue Committee“ hinterließ bei Deleila Piasko einen bleibenden Eindruck, ebenso der Humor, mit dem die Fluchthelfer das Leben und die Liebe trotz allem feierten.
Bis vor kurzem stand Piasko im Filmstudio Basel in der Hauptrolle für den Kinofilm Lili von Thomas Imbach vor der Kamera, einer Verfilmung von Arthur Schnitzlers Novelle Fräulein Else. Das historische Drama spielt im Engadin in den 1920er-Jahren und zeigt die 19-jährige Lili schwankend zwischen der Loyalität zu ihrer Familie und ihrer persönlichen Integrität.
Auch wenn Deleila Piasko bislang in ihrer Laufbahn häufig für historische Stoffe und starke Frauenfiguren besetzt wurde, so etwa für Anne Frank am Stadttheater Bern, reizen sie weniger die dramatischen Rollen als vielmehr die Komödien. Ihren Beruf möchte sie jedenfalls auf verschiedene Arten ausleben können, sowohl auf der Bühne als auch vor der Kamera.
Zur Person:
Deleila Piasko, 1991 als Tochter einer Tänzerin und eines Physikers in der Schweiz geboren, absolviert ihr Schauspielstudium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und hat erste Engagements an der Volksbühne Berlin, in Bern und in Dresden. Mit der Saison 2019/20 wechselt sie nach Wien ins Ensemble des Burgtheaters, wo sie in Vögel von Wajdi Mouawad, antigone. ein requiem von Thomas Köck nach Sophokles und in Felicia Zellers Der Fiskus spielt. In den letzten Jahren macht sie durch zahlreiche Rollen in Film- und Fernsehproduktionen, etwa in Leander Haußmanns Stasikomödie, der Sky-Serie Die Ibiza Affäre oder in der Netflix-Serie Transatlantic auf sich aufmerksam. Im Sommer 2024 erobert sie als Buhlschaft im Jedermann die Bretter der Bühne am Domplatz.