Ewig dein, ewig mein…
Text: Doris Thallinger
Fotos: iStock – mangostock, WavebreakmediaMicro , Pixel-Shot, zinkevych, itakdalee; Porträts: Privat
Treue – der höchste Wert in der Beziehung, im Leben zu zweit. So ziemlich jeder wünscht sie sich für seine Partnerschaft. Und doch – statistisch gesehen geht jeder Zweite fremd. Ein Wert im Wandel?
Die Frühlingsgefühle haben uns fest im Griff! Sowohl bei den Singles als auch bei Paaren, wobei der Unterschied hier sein sollte, dass für Letztere klar ist, mit wem sie diese bestenfalls ausleben. Betonung auf SOLLTE, richtig: Denn stetig lockt die Versuchung – und das Fleisch ist schwach.
Man könnte meinen, in Zeiten wie diesen, in denen niemand tatsächlich unfreiwillig an einen Partner gebunden ist, es wirtschaftliche, religiöse oder gesellschaftliche Regeln und Gegebenheiten nicht mehr notwendig machen, an der Seite eines vielleicht gar nicht so geliebten Partners zu bleiben, habe auch die Untreue ausgedient. Immerhin hat jeder zu jeder Zeit die (theoretische) Möglichkeit zu entscheiden, ob, wie lange und mit wem er zusammen sein und zusammenleben möchte. Warum also fremdgehen?
Nun, da sind zum einen die notorischen Fremdgeher, ihnen wird ein Partner allein nie ausreichen und sie können und wollen nicht ohne den Reiz des Neuen und Verbotenen. Wer das Spiel mit dem Feuer dermaßen braucht, könnte möglicherweise an massiven Bindungsängsten oder anderen psychischen Problemen leiden. Zudem macht die dauerhafte bzw. immer wiederkehrende Untreue auch regelmäßiges Lügen notwendig.
Wenn etwas fehlt
Der Großteil jener, die untreu werden, haben jedoch gar nicht nach diesem Abenteuer gesucht. „Die meisten Menschen, die wegen Außenbeziehungen zu mir kommen, haben nicht aktiv danach gesucht“, so Paartherapeutin Martina Weinhandl. „Oft haben die Partner die Verbindung zueinander verloren, pflegen im Alltagsstress ihre Beziehung schon seit geraumer Zeit nicht mehr, und dadurch fehlt diesen Menschen etwas. Sie fühlen sich nicht mehr gesehen, gehört, wertgeschätzt, geliebt, und sie nehmen einander als selbstverständlich wahr.“ Sie vergleicht eine Außenbeziehung, also eine Affäre, mit einem Schwamm, der den Beziehungsbaum befällt: „Ein Schwamm kann sich nur am Baum festsetzen, wenn dieser bereits geschwächt ist. Und genauso ist es bei Beziehungen.“ Wer in der eigenen Beziehung das Gefühl hat, nicht gesehen zu werden, nicht genug Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu bekommen, wird unruhig. Und dann kann es leicht passieren, bei jemandem außerhalb der Beziehung schwach zu werden, der einem genau das gibt, was man in der Beziehung schmerzlich vermisst.
„Es geht bei Seitensprüngen und Affären nicht immer zwangsläufig um Sex“, bestätigt auch Thomas Schaller, Psychotherapeut in Salzburg. „Es geht darum, dass in der Beziehung irgendwas fehlt, eingeschlafen ist. Man will wieder Gefühle spüren, sich besonders fühlen. Und auch wenn es nach einem altmodischen Ansatz klingt, Frauen, die fremdgehen, vermissen tendenziell eher die Liebe und Zuneigung in ihrer Beziehung, während für Männer öfter die sexuelle Komponente Ausschlag gibt. Und Männer wie Frauen sehnen sich nach der Bewunderung und Aufmerksamkeit durch jemand Neuen, der ihr Selbstwertgefühl wieder pusht.“ In den seltensten Fällen ist also nur einer der Täter und der andere das Opfer. Beziehungsarbeit fordert immer den Einsatz beider.
Gestehen oder schweigen?
Und das gilt auch für die Situation NACH einem Seitensprung. Die Gretchenfrage, ob man gestehen soll oder nicht, muss individuell beantwortet werden, jedoch: „Die Wahrheit kommt meistens ans Licht, je früher man einen Seitensprung von sich aus gesteht, ohne ertappt zu werden, umso leichter wird die Beziehung damit fertig“, erklärt Thomas Schaller. Und auch Martina Weinhandl setzt auf proaktive Ehrlichkeit: „Das Geheimnis in der Brust bewirkt immer eine Kluft. Natürlich kann man nicht vorhersehen, wie der Partner reagieren wird. Aus meiner Erfahrung in der Paartherapie weiß ich aber, dass alle, die einen Vertrauensbruch erlitten haben, sagen: Ich will alles wissen, auch dann, wenn es mir weh tut.“
Fakten auf den Tisch
Auch wenn es gegen den Instinkt spricht, laut Martina Weinhandl ist die proaktive Ehrlichkeit absolute Grundvoraussetzung, um die Beziehung zu heilen. „Dabei sollte man das, was passiert ist, auch keinesfalls kleinreden oder herunterspielen. Denn für den betrogenen Partner ist die Außenbeziehung des anderen niemals eine Kleinigkeit ohne Bedeutung. Wird der Seitensprung bagatellisiert, fühlt sich der Partner zu all seinem Schmerz zusätzlich auch noch unverstanden und bekommt obendrein Angst, dass so ein Vertrauensbruch jederzeit wieder passieren könnte.“ Wesentlich ist, sich in den Partner einzufühlen, seinen Schmerz zu verstehen. „Erst wenn der Betrogene merkt, dass der andere seinen Schmerz spürt, dass er mit ihm fühlt, erst und nur dann kann eine solche tiefe emotionale Wunde heilen.“
Ein zartes Pflänzchen namens Vertrauen
Wunden, die ein Vertrauensbruch nach sich zieht, heilen schlecht. „Vertrauen ist wie eine Pflanze. Wenn man darauf getreten ist, kann man sie nicht einfach reparieren oder wieder aufbauen. Ist die Vertrauenspflanze schwer beschädigt, muss man sie lange Zeit gut pflegen, gießen und düngen, schlichtweg: die Bedingungen schaffen, damit die Pflanze wieder wachsen kann. Aber wachsen muss sie selbst“, so Martina Weinhandl.
Doch Achtung, jede neue Lüge, die aufgedeckt wird, versetzt der Pflanze einen neuen Tritt – und das Vertrauen sinkt nicht nur auf null, sondern in die Minuswerte und ist irgendwann nicht mehr zu retten.
Push für die Beziehung
Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Wenn wirklich beide Partner bereit sind, sich mit ihrer (nicht erst durch den Seitensprung) angeknacksten Beziehung auseinanderzusetzen, stehen die Chancen ausgezeichnet, die Untreue eines Partners gut zu überwinden. Wobei dringend geraten sei, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen, zu groß ist sonst die Gefahr, dass Verletzungen und erlittene Traumata einfach unter den Teppich gekehrt werden und dort in aller Ruhe schwelen, bevor es schließlich – vielleicht Jahre später – zur Explosion samt Flächenbrand kommt.
Geht man die Sache aber richtig, ehrlich und mit der Intention an, dieses Erlebnis zusammen zu verarbeiten, erlebt die Beziehung nicht selten einen wahren Höhenflug: „Ein Seitensprung kann sogar ein Start in etwas Neues, viel Schöneres sein, nämlich in eine verbesserte, gewachsene, innige, rundum erneuerte Beziehung“, so Weinhandl. „Es ist nicht selten eine derartige gewaltige Krise, die, wenn sie gründlich und ehrlich aufgearbeitet wird, die Partner viel enger zusammenwachsen lässt als je zuvor.“
Schwan oder Bonobo?
Liegt es aber vielleicht sogar in der Natur des Menschen, seine Gene möglichst weit gestreut weitergeben zu wollen? Weiter als es mit nur einem einzigen Partner überhaupt möglich ist? Eine schwierige Frage, die nur Spekulationen zulässt. Selbst die Tierwelt gibt keine Hinweise auf eine allgemeingültige Antwort, bringt die Natur doch alles hervor, vom sexuell umtriebigen Bonobo bis hin zum lebenslang treuen Schwan.
Ein Treue- bzw. Untreue-Gen gibt es, auch wenn manche dies gern behaupten, wohl nicht, sehr wohl jedoch Unterschiede in der Persönlichkeit und im Charakter des Menschen. „Manche lieben es, Neues zu entdecken, Abenteuer zu erleben, andere wiederum sind am glücklichsten, wenn das Leben immer seinen fixen Lauf geht,“ erklärt Thomas Schaller. „Das macht auch in der Sexualität keinen Unterschied.“
Riskante Erwartungshaltung
Mit der Sesshaftwerdung des Menschen hat sich in dessen Kultur auch die Treue zu einem einzigen lebenslangen Partner eingebürgert, damals eine wirtschaftliche Notwendigkeit, eine von Seiten der Religion vorgegebene Tugend. Selbstverständlich war auch in der guten, alten Zeit nicht alles Gold, was unverdächtig glänzte – Ehebruch war zwar verpönt und mit Sünde behaftet, fand aber hinter verschlossenen Türen sehr wohl statt. Da Trennung und Scheidung keine Optionen waren, gingen die Affären noch viel geheimer vonstatten, waren, da gesellschaftlich verpönt, offiziell nicht existent.
„In unserer Zeit geht man viel lockerer mit dem Thema Treue um“, konstatiert Paartherapeut Schaller: „Das Selbst, das eigene ‚egoistische‘ Glück rückt immer stärker in den Fokus. Heute heißt es ‚Treue im Hier und Jetzt‘ anstelle von ‚Treue ein ganzes Leben lang‘.“ Diverse Studien bestätigen: Dauerten früher Beziehungen zwar länger an, kam dafür Untreue häufiger vor als heute. Der Trend geht zu immer kürzeren Beziehungen, in denen dafür die Partner einander treuer sind. Dieses Beziehungsmodell bezeichnen die Paartherapeuten Lisa Fischbach und Holger Lendt in ihrem Buch „Treue ist auch keine Lösung“ als serielle Monogamie. Sie sehen überzogene Erwartungen als Feind der Liebe: Man wünscht sich exklusive, emotionale Bindung, außerdem Erregung, Abwechslung und Leidenschaft – und beides von und mit nur einem einzigen Menschen – konserviert für die Ewigkeit. „Wir machen aus der Tiefe des Lebens ‚lebenslänglich‘ und wundern uns hinterher, warum das Zusammensein an Glanz verloren hat“, formulieren sie in ihrem Plädoyer für mehr Freiheit in der Liebe und fordern ein Ende des Diktats einer einzigen Form, sich zu lieben.
Alternative Beziehungsformen
Beziehung bedeutet immer auch eine Einschränkung. Will man diese umgehen, stößt man auf mehr oder weniger neue, zumindest aber bislang eher seltene Beziehungsformen. Entscheidet man sich für einen Hauptpartner „für immer“, der die emotionalen Bedürfnisse befriedigt und – mit gegenseitigem Segen – wechselnde Partner für sexuelle Erlebnisse hat, spricht man von offener Beziehung. Während man sich gegenseitig sexuelle Ausflüge gestattet, bleibt die emotionale Bindung dem Hauptpartner exklusiv vorbehalten. Klingt nach einem fairen Arrangement, scheitert in der Praxis allerdings oftmals daran, dass nur einer der (Ehe-)Partner wirklich eine offene Beziehung leben möchte und der andere sich notgedrungen damit einverstanden erklärt.
Polyamorie wiederum stellt nicht nur die sexuelle, sondern auch die emotionale Treue in Frage. Ist es möglich, mehr als eine Person zu lieben? Was den Vorteil aller Freiheiten und die volle Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten mit sich bringt, birgt aber naturgemäß auch großes Potenzial für Eifersucht und Konflikte. Dem stimmt auch Thomas Schaller zu: „Liebe ist immer unterschiedlich, ich liebe nicht alle gleich. Schon als Kinder haben wir EINEN besten Freund, EIN liebstes Spielzeug, EINEN Lieblingslehrer, der Mensch sucht schließlich doch nach einer gewissen Exklusivität.“
Buchtipps
Victor Chu: Liebe, Treue und Verrat – Von der Schwierigkeit, sich selbst und dem Partner treu zu sein
Shirley P. Glass: Die Psychologie der Untreue
Shirley Glass erklärt, wie es sogar in glücklichen Beziehungen durch zunächst fast unmerkliche Grenzüberschreitungen zu Affären kommen kann, wo die Fallen lauern und wie man nach dem traumatisierenden Ereignis der Entdeckung die zerbrochenen Seelen wieder heilen kann.
Holger Lendt, Lisa Fischbach: Treue ist auch keine Lösung – Ein Plädoyer für mehr Freiheit in der Liebe