Es war einmal das Personal…

Salzburgs Unternehmer klagen über einen eklatanten Mangel an Arbeitskräften. Doch diese sind nicht einfach in der Versenkung verschwunden, noch sind wir alle zu faul geworden. Ein Blick auf die Fakten jenseits aller Parteiideologien zeigt ein vielschichtiges Problem, das wohl so einfach nicht zu lösen sein wird.

2022 war es das erste Mal so weit, die offenen Stellen beim AMS übertrafen die Arbeitssuchenden. Im Gespräch mit Lorenz Huber, dem Leiter des Bereiches Sozial- und Arbeitsrecht der WKS zeigt sich, dass sich der Engpass durch alle Branchen zieht: „Was früher nur Fachkräftemangel war, hat sich nun zu einem waschechten Arbeitskräftemangel ausgewachsen“, so der Experte. Im August betrug die Arbeitslosenquote in Österreich 6,1 %, ein normaler Wert sollte man glauben. Aber ein Blick auf die Details offenbart anderes. Wien führt die Arbeitslosenstatistik in großem Abstand mit erschreckenden 10,6 Prozent an und verzerrt die Zahlen der Bundesländer massiv. Salzburg erreicht einen internationalen Top-Wert von 3,2 % und hat damit die Vollbeschäftigung erzielt, aber wie kam es dazu?

Im Juli 2023 kamen auf 10.164 Arbeitssuchende 10.211 offene Stellen in Salzburg. Somit gibt es mehr Angebot als verfügbare Arbeitskräfte.

Wirtschaftswachstum und Zuwanderung

Ein Faktor ist das Wirtschaftswachstum im Verhältnis zur Bevölkerungszunahme. Während die Wirtschaft in den letzten 3 Jahren im Schnitt 1 Prozent pro Jahr zulegen konnte, wuchs die Bevölkerung nur um 0,5 Prozentpunkte pro Jahr. Dieser Trend ist aber nicht neu. Eine wachsende Wirtschaft benötigt immer mehr Arbeitskräfte, um die Produktivität zu erhalten – und diese werden durch stagnierendes Bevölkerungswachstum immer rarer. Weil sich beispielsweise in Ostdeutschland die Löhne immer mehr angeglichen haben, gelingt es immer seltener, Fachkräfte in Mangelberufen ins Land zu holen. Das liegt auch an der schlechten Umsetzung der Rot-Weiß-Rot Karte, die einen Zuzug für qualifizierte Nicht-EU-Bürger ermöglichen soll. „Im letzten Jahr wurden 471 qualifizierte Arbeitskräfte im Rahmen der Rot-Weiß-Rot Karte in Salzburg bewilligt. Aber es ist ein Tropfen auf den heißen Stein,“ so Lorenz Huber: „Es hakt an der Anerkennung von Berufsausbildungen außerhalb der EU und an der branchenspezifischen Vergabe von Kontingenten. Der Hotelier kann für eine Reinigunskraft aus dem Ausland eine Bewilligung beantragen, aber eine Reinigungsfirma nicht. Hier braucht es dringend Liberalisierung.“

„Wir haben mehr Pensionisten, weniger Kinder, weniger Erwerbstätige und die arbeiten noch dazu in Teilzeit. Wird nicht bald eine Lösung gefunden, steuern wir auf einen dramatischen Engpass am Arbeitsmarkt zu.“

Lorenz Huber, WKS

Die demografische Pensionierungswelle

Wie in ganz Mitteleuropa ist Österreich auch massiv von den Auswirkungen des demografischen Wandels betroffen. Eine stagnierende Geburtenrate steht einer immer größeren Zahl an Pensionisten aus der ‚Boomer‘ Generation gegenüber. Diese besteht aus den kinderreichen Jahrgängen nach dem 2. Weltkrieg und der 60er Jahre. Schon jetzt stehen den 5,5 Millionen Österreichern im arbeitsfähigen Alter (20-65 Jahre) 1,8 Millionen Pensionisten gegenüber und es werden jedes Jahr mehr. 2040 wird auf zwei Menschen im arbeitsfähigen Alter ein Pensionist kommen. Das sind 800.000 mehr als jetzt. Diese Rentner können von den geburtenschwachen Jahrgängen nicht mehr nachbesetzt werden.

Zusätzlich fehlen steuerliche Anreize, um auch nach dem Regelpensionsalter noch weiter im Berufsleben zu bleiben, das tatsächliche Antrittsalter liegt sogar weit darunter. „Wir haben bei der Beschäftigung Älterer noch ungehobene Potentiale, weil in Österreich nur 31 % der Personen zwischen 60 und 64 Jahren beschäftigt sind. Wichtig wird es jedoch sein, ältere Arbeitnehmer beim Verbleib im Erwerbsleben zu unterstützen, so zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung“, so WKS Experte Huber. Soziologe Nikolaus Dimmel, der an der Uni Salzburg lehrt und forscht, bringt es auf den Punkt. „In Skandinavien genießen Menschen, die länger im Berufsleben bleiben möchten, Steuererleichterungen und reduzierte Sozialversicherungsbeiträge. In Bayern schneidert man Arbeitsplätze auf ältere Arbeitnehmer zu, nur in Österreich sind wir, in dem Bezug eher keine Insel der Seligen, sondern zugespitzt formuliert eine der Blöden, weil Unternehmen diesen Gruppen weithin keine maßgeschneiderten Arbeitsbedingungen bieten können oder wollen.“

Die geburtenstarke Babyboomer-Kohorte beginnt sich aus dem Berufsleben zu verabschieden und an jungem Nachwuchs kommt wenig nach. Quelle: Stadt Salzburg
2040 werden 60.000 Stellen im herstellenden Gewerbe fehlen, fast 30.000 im Gesundheits- und Sozialwesen und zirka 10.000 Lehrer. Das entspricht dem heutigen Gesamtpersonalstand in Oberösterreich. (Quelle WKO)

Wertewandel und Teilzeit

Seit den 70er Jahren ist die Teilzeitarbeit auf dem Vormarsch, damals brachte sie beispielsweise Mütter in das Arbeitsleben, die sonst zuhause geblieben wären. In der Stadt Salzburg sind heute 32,6 % in Teilzeit, somit ist jeder dritte Beschäftigte in Teilzeit angestellt. Bei beiden Geschlechtern steigt die Teilzeitquote, wobei der Anteil bei Frauen 50,7 % und bei Männern 12,6 % (2022) beträgt. Hier wirkt der Ausbildungsgrad interessanterweise antagonistisch. Je besser die Ausbildung bei Männern, desto höher die Wahrscheinlichkeit auf Teilzeit, bei Frauen verhält es sich genau umgekehrt. „Wir haben im Juni eine Umfrage unter unseren Mitgliedsbetrieben nach ihrer Einschätzung zu den Gründen für Teilzeitarbeit ihrer Mitarbeiter durchgeführt. 55 % gaben den Wunsch nach besserer Work-Life Balance an, 49 % sprechen von fehlenden Anreizen im Steuersystem bei Vollzeit und 31 % beklagen fehlende Kinderbetreuungsplätze“.

Laut der deutschen TAZ stellen deutsche Personalabteilungen inzwischen nur mehr ungern junge Leute ein, weil diese zu viel fordern: keine Vollzeit, Homeoffice als Regel und flexible Arbeitszeiten. Dazu käme noch fehlender Wille in Krisenzeiten auch mal durchzubeißen und Überstunden in Kauf zu nehmen, um den Laden am Laufen zu halten. „Dass die Jugend weniger arbeitet, kann ich empirisch nicht belegen. Aber es ist schon so, dass nicht die Betriebe nur Teilzeitkräfte einstellen wollen, sondern es sind oftmals die Arbeitnehmer, die das fordern“, erzählt Lorenz Huber über seine Erfahrungen als Wirtschaftsvertreter. Soziologe Dimmel erklärt das Phänomen unter anderem damit, dass gerade in den österreichischen Ballungszentren die Anschaffung von Wohnungseigentum aus Erwerbseinkommen ohnehin nicht mehr realisierbar sei: „Die alte meritokratische Aufstiegslegende, die besagt, wenn du arbeitest, dann schaffst du dir was, hat ihre Bindungswirkung verloren. Wenn ich eh weiß, dass ich mir keinen Wohlstand erarbeiten kann, dann versuche ich es erst gar nicht und genieße das Hier und Jetzt.“

Seit 1994 steigt der Teilzeitanteil im Verhältnis zu den Vollzeitstellen.
Lt. WKS wird es immer schwieriger Vollzeitpersonal zu finden. Quelle: Agenda Austria
Anmerkung: Bis 2003 erfolgte die Klassifikation Vollzeit oder Teilzeit nach einer Grenze von 35 Stunden. Seit 2004 erfolgt die Klassifikation nach Selbstzuordnung.

Mismatch und Drehtürprinzip

„Obwohl es gleich viele Arbeitssuchende wie offene Stellen gibt, findet doch nicht jeder Arbeitnehmer eine Arbeit“, stellt Soziologe Dimmel klar: „Das liegt daran, dass es eine große Gruppe von Arbeitssuchenden gibt, die sich nicht langfristig und nachhaltig vermitteln lassen. Das AMS betreut österreichweit ein Viertel aller Arbeitslosen nach dem Drehtürprinzip.“ Zusätzlich stehen die Unternehmen vor dem Problem, unter den Arbeitssuchenden nicht jene Professionisten zu finden, die sie gerade suchen. „Die Betriebe nutzen jetzt alle Potentiale und geben auch Personen eine Chance, die auf den ersten Blick auf Grund von Vermittlungseinschränkungen noch nicht dem Suchprofil entsprechen“, so Lorenz Huber. Trotzdem finden 140.000 Jugendliche aktuell keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, weil ihnen eine Ausbildung fehlt. „Das Problem ist, dass wir in Österreich schon nach der Volksschule zu selektieren beginnen und man sich schon mit 15 für einen Beruf entscheiden muss. Da fallen dann viele überforderte junge Menschen aus sozialökonomisch benachteiligten Verhältnissen aus dem System und bleiben unvermittelbar“, so Dimmel.

„Wenn es darum geht, die Erfahrung älterer Arbeitnehmer auch nach der Pension noch im Betrieb zu halten, sind wir in Österreich eine Insel der Blöden.“

Nikolaus Dimmel, Uni Salzburg

Mit Bangen in die Zukunft blicken

Fakt ist, schon jetzt ist der Arbeitsdruck, der auf jedem Erwerbstätigen lastet, massiv. „Man erkennt das an der Industriestundenproduktivität. Die Arbeitskräfte sind um einiges produktiver geworden, die Löhne haben damit aber nicht Schritt gehalten. Zugleich leisten die in der Arbeitswelt Integrierten erhebliche Mehrarbeit. Die insgesamt geleisteten Überstunden entsprechen etwa 200.000 Vollzeit beschäftigten Arbeitskräften“, so Soziologe Dimmel. Die Abwärtsspirale, in der immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Arbeit übernehmen, dabei ausbrennen, sich in die Pension oder in die Teilzeit verabschieden, hat schon längst begonnen sich zu drehen. Zusätzlich erkennt der Nachwuchs, dass sich viel Arbeit kaum mehr lohnt. Doch die Bekämpfung des Arbeitskräftemangels ist nicht das Stellen einer Schraube, sondern bedarf vieler Ebenen, wie Ausbildung, Kinderbetreuung, Attraktivierung von Vollzeitarbeit und Arbeitsplätzen sowie effektive Vermittlung aller Arbeitssuchenden. Bleibt die Politik so untätig wie bisher, enden wir in einer Rezession mit hohen Wohlstandsverlusten.

Ein Blick auf die Bundesländer offenbart Topwerte für den Westen. Nur Wien hat ein echtes Arbeitslosenproblem und verzerrt die österreichweite Statistik.
Quelle: Statista

Text: Dominic Schafflinger
Fotos: Nikolaus Dimmel, Adobe Stock, Andreas Kolarik