Editorial

Jackpot! Jackpot?

Ein verregneter Sonntagnachmittag, ich sitze am Computer und denke (zugegebenermaßen wieder einmal auf den letzten Abdruck) über mein Editorial nach. Immer wieder poppt am Bildschirmrand die Aufforderung auf, Lotto zu spielen – Vierfach-Jackpot! 4,5 Millionen Euro liegen im Topf und warten auf einen Gewinner. Und schon verliere ich mich in Tagträumen. 4,5 Millionen Euro, was würde ich damit anstellen? Eine nette Immobilie, ein neues Auto, ein Luxus-Urlaub, ein paar längst überfällige Investitionen… Und dann? Dann wartet ein – vorerst – sorgenfreies Leben. Ein glückliches Leben! Und ich male mir aus, wie ich von ausgedehnten Shoppingtrips mit Taschen bepackt zurückkehre, bei denen alles seinen Weg in meine Tasche gefunden hat, was mir gefällt. Bis mir einfällt, dass ich eigentlich gar nicht so gern shoppen gehe und meine Kleiderkästen ohnehin überquellen.

Dann eben Reisen ohne Ende. Einmal, zweimal rund um die Welt, alle Sehenswürdigkeiten dieses Planeten entdecken, die schönsten Strände, tollsten Hotels, einfach alles hinter mir lassen. Bis mir einfällt, dass ich gar nicht das ganze Jahr über nur unterwegs sein möchte, dazu bin ich viel zu heimatverbunden und auch ein bisschen heimwehgeplagt. Gut, mehr als ein Auto brauche ich eigentlich auch nicht und alles Mögliche, was mir noch so einfällt, das ich gern in meinem Besitz wüsste, sind in Wahrheit Peanuts in Anbetracht von 4,5 Millionen Euro.

Und noch während ich darüber nachdenke, was ich alles kaufen könnte, wie ich mir mein Leben vereinfachen und schöner gestalten könnte, passiert etwas in mir. Ich werde traurig (ja, ich schaffe es tatsächlich, dass mich sogar meine eigenen Tagträume traurig machen). Denn plötzlich verliert in dieser Welt des Reichtums alles an Wert, was mir im echten Leben so viel Freude beschert: Das Kleid, das endlich, endlich im Sommerschlussverkauf reduziert und damit leistbar geworden ist. Der Urlaub, der sich nach arbeitsreichen Wochen und Monaten so richtig verdient anfühlt. Jedes Schnäppchen, über das ich mich freue. Die Menschen, die meinetwegen gern ihre Zeit mit mir verbringen. Der eiskalte Bergbach, in den ich mich wahrscheinlich nicht mehr stürze, wenn zuhause der Infinity Pool auf mich wartet. Wenn ich mir das nun alles, ohne mit der Wimper zu zucken, leisten kann, dann gibt es nichts Besonderes mehr im Leben, nichts, worauf ich hinfiebere, nichts, was noch so wertvoll für mich ist, dass ich darauf gern auf anderes verzichte.

Vermutlich halten Sie mich jetzt für naiv, denn es gibt sicherlich immer noch ausreichend Dinge, die ich mir auch mit 4,5 Millionen Euro nicht leisten kann. Die Frage ist nur, will ich die? Brauche ich die? Oder wachsen vielleicht sogar die Sorgen mit dem zusätzlichen Besitz? Die Angst, den Reichtum wieder verlieren zu können? Kann ich die Zeit mit meinen Freunden noch so unbeschwert genießen? Und hat die Natur einen höheren Erholungsfaktor für mich, wenn der Wald mir gehört? Würde ich die Größe haben, alles, was ich nicht unbedingt selbst brauche, an andere weiterzugeben, die weniger Glück im Leben haben? Und schließlich, wie groß ist dann wirklich noch die Motivation, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten, selbst, wenn man den Job liebt, den man tagtäglich ausübt. Wofür würde ich jeden Tag aufstehen? Um den Reichtum zu vermehren oder um daran zu arbeiten, alles auszugeben? Nein, der Garant, glücklich zu sein, ist er nicht, der Jackpot. Am Ende sind es halt dann doch die kleinen Dinge, die das Herz tanzen lassen. Und die kosten nicht unbedingt Millionen.

Ihre Doris Thallinger
Chefredakteurin