Editorial

Gerät die Welt aus den Fugen?

Ein Satz kommt mir in letzter Zeit immer wieder unter – in unterschiedlichsten Gesprächssituationen, von den verschiedensten Gesprächspartnern: „Bin ich froh, dass ich schon alt bin.“ Oder „Gut, dass ich das nicht mehr erleben werde – hoffentlich!“ Es scheint, als seien Zuversicht und Vertrauen in eine gute Zukunft am absteigenden Ast. Kaum jemand scheint derzeit noch daran zu glauben, dass „alles“ besser wird. Im Gegenteil, man rechnet mit weiteren Krisenherden, Kriegsgeschehen und Chaos – und zwar sogar unweit unserer vermeintlichen Insel der Seligen. Die Wirtschaftsprognosen geben im Moment ebenso wenig Grund zum Jubeln wie Klimawandel, Zerstörung der Umwelt oder die weltweite politische Entwicklung. Nein, die Szenarien, die man sich momentan ausmalt, sind nicht die schönsten. Wenig Grund zur Hoffnung.

Mit dieser Aussicht auf die nächsten Jahre und Jahrzehnte verwundert es nicht, dass neuesten Studien zufolge die Jahre der Jugend und des jungen Erwachsenseins heute nicht mehr zu den glücklichsten des Lebens zählen. Über Jahrzehnte hinweg nahm die Glückskurve einen U-förmigen Verlauf: Glückliche Kinder- und Jugendjahre gingen über in die Phase des jungen Erwachsenseins voll Freude, Neugier aufs Leben und Zuversicht, bevor Sorgen und Ängste gegen Lebensmitte die Glückseligkeit trübten. Danach, bis ins Alter, nahmen die Zufriedenheit und das Gefühl des Glücklichseins wieder zu.

Heute zählen die Jugendjahre nicht mehr zur glücklichsten Zeit des Lebens. Die Glücksforschung zeigt: Junge Menschen sind zunehmend unzufrieden mit ihrem Leben. Anstelle von Vorfreude aufs Leben, dem Drang nach Abenteuern und Wachstum, dem Wunsch, etwas zu schaffen sind Unsicherheit, Angst und Sorge getreten.

Die Glücksforscher und Urheber dieser Studien sehen den Grund dafür einerseits tatsächlich in der Entwicklung des allgemeinen Weltgeschehens, andererseits vermuten sie den Grund in der Omnipräsenz von Social Media, Smartphone und Co. Der ständige Vergleich schürt Selbstzweifel und Unzufriedenheit – bis hin zur Angst vor dem realen Leben.

Immer öfter habe ich das Gefühl, dass ich und meine Generation der heute Erwachsenen, mitten im Leben Stehenden das große Los gezogen haben. Nicht mehr geprägt von Kriegsschicksal und Mängeln der Nachkriegszeit wie vielleicht unsere Großeltern und Eltern, aber immer noch inbegriffen im Aufschwung, alle Zeichen standen darauf, dass die Welt (die schon gut war), immer noch besser werden würde. Bereits verwöhnt von Wohlstand waren oder sind wir die Generation der Erben, der Nutznießer. Unsere Jugend war weder geprägt von Armut noch von Zukunftsängsten, insbesondere nach Ende des Kalten Kriegs schien beinahe alles möglich. Diese Euphorie würde ich der Jugend auch heute wünschen. Und dabei stellt sich die Frage: Ist es uns schon zu gut ergangen? Ist es denn notwendig, dass auf eine Hoch-Phase ein Niedergang folgt? Und: Wird sich die Geschichte wiederholen? Ich hoffe nicht. Für mich, uns und vor allem für die jungen Menschen und kommenden Generationen.

Ihre Doris Thallinger
Chefredakteurin