Das Streben nach Perfektion
Text: Doris Thallinger
Die Schönen kommen, die Reichen halten Einzug! Ist Salzburg ohnehin das ganze Jahr über Hot Spot der A- bis Z-Promis, strebt das Spektakel ab Ende Juli endgültig seinem Höhepunkt zu. Die teuersten Roben werden ausgepackt, noch schnell wird die Mimik eingefroren, um ein paar Jahre jünger zu wirken, die Fett-weg-Spritze soll im letzten Moment noch dafür sorgen, dass Kleid und Anzug auch wirklich sitzen. Und, auch wenn nun das Festspiel-Publikum exemplarisch herhalten musste, betrifft es doch jeden von uns, halt in unterschiedlichen Ausprägungen und auf unterschiedlichem Niveau. Wer bitte ist denn schon zufrieden mit sich selbst? Ist das eine Kilo abtrainiert, stört schon die nächste Speckfalte.
Schneller, höher, weiter! Ist das wirklich der Weg, um sich seinen Platz in der Gesellschaft zu sichern? Müssen wir uns ständig optimieren, um nicht zu sagen neu erfinden, um unser Potenzial auszuschöpfen und die beste Version unseres Selbst zu werden? Die Krux: In Zeiten von Insta & Co geben wir uns Vergleichen hin, die jeglicher Realität entbehren! Das Thema unserer Entwicklung und Selbstoptimierung geben wir nur zu gern in die – mitunter gefährlichen – Hände der Technologie. Nicht nur, dass wir uns jeden Morgen von der Waage sagen lassen, wie genau sich die Fettpölsterchen verteilen, nein, wir beauftragen sogar Apps und allerlei technische Spielereien, die uns vorgeben, wie viele Schritte wir zu gehen haben, wie lange wir schlafen müssen, wie viele Minuten des Tages wir in aktivem Zustand und wie viele in Ruhe verbringen sollen, wie produktiv wir sein müssen, um das Optimum des Tages herauszuholen.
Das schönste Kompliment des Freundes ist nichts wert, wenn die App behauptet, dass man 2 % mehr Körperfett mit sich herumträgt als am Tag zuvor. Dem Muskelkater wird keinerlei Bedeutung beigemessen, wenn die Sportuhr sagt, dass noch 30 aktive Minuten zum erklärten Tagesziel fehlen! Willkommen im selbst erschaffenen Hamsterrad! Kann es denn sein, dass wir unzufrieden mit uns sind, nur weil ein Gerät das sagt? Das Problem liegt wohl in der Natur des Menschen: Es ist nie genug! Wenn wir nur genau schauen, finden wir immer wieder jemanden, der besser, schöner, (erfolg)reicher … ist.
Und haben wir ein Ziel erreicht, poppt auch schon das nächste auf. Bis wir so beschäftigt damit sind, dass wir ja gar keine Zeit mehr haben, unsere Erfolge und uns selbst zu genießen. (Zeit für sich selbst und seine realen Liebsten ist ohnehin ein knappes Gut geworden, seit man doch der ganzen Welt und fremden Menschen übers Smartphone folgen muss!) Ich halte ausgesprochen viel von stetiger, persönlicher Weiterentwicklung, mit einem großen ABER: Individualität und Authentizität sollten im Vordergrund stehen, nicht das Konkurrenzdenken, verzerrt durch Filter und Bildbearbeitungsprogramme, die heute schon Hinz und Kunz beherrschen. Am Ende sind wir alle nicht perfekt! Was aber viel schlimmer ist: Wir sind nicht mehr wir selbst!
Darum: Genießen wir diesen Sommer 2022 in Echtzeit, mit möglichst vielen realen Erlebnissen, lassen wir uns nicht hetzen, sondern horchen wir auf unser Gefühl für uns selbst. Ganz nach dem Motto: „SEIN“ und nicht „WERDEN“!
Ich wünsche Ihnen einen entspannten (Festspiel-)Sommer!
Ihre Doris Thallinger
Chefredakteurin