Selbstbestimmtes Arbeiten in einer digitalen Arbeitswelt?
Text: Ass. Prof. Dr. Silvia Traunwieser
Digitalisierung verändert die Arbeitswelt auf umfassende Art und Weise. Die Austauschbarkeit und Ersetzbarkeit menschlicher Arbeitskraft durch digitale Technologien stößt jedoch dort (noch) an ihre Grenzen, wo es um Spontaneität, Kreativität und Empathie geht. Insbesondere durch die COVID-19 Pandemie wurde sichtbar, wie wichtig Innovationen, aber auch kreative Mitarbeiter, die rasch und selbstständig agieren, für Unternehmen sind, um mit Unsicherheiten und Herausforderungen umzugehen. Eine wesentliche Schlüsselrolle für Mitarbeiterkreativität spielt dabei deren Autonomie. Personale Autonomie und selbstbestimmtes Arbeiten sind jedoch im fremdbestimmten Arbeitsalltag nicht ganz so leicht umzusetzen.
Die Notwendigkeit zu raschem, kreativem Agieren, dem Abändern, Optimieren und Verbessern von plötzlich nicht mehr vorhandenen Strukturen und möglichen Abläufen – das hat die COVID-19 Pandemie deutlich aufgezeigt. Innovation als technische, wirtschaftliche oder soziale Verbesserung braucht kreative Mitarbeiter. Doch wie kann Kreativität unterstützt und gefördert werden?
Autonomie stellt einen wesentlichen Aspekt von Kreativität dar. Es geht um autonome Personen, die reflektieren, wie sie entscheiden, handeln, leben, aber auch arbeiten wollen, die sich mit ihren Zielen auseinandersetzen und damit identifizieren. Mitarbeiter benötigen Freiräume zum Denken, um Ideen zu finden, zu reflektieren, aber auch um Verschiedenes auszuprobieren und umzusetzen. Das klingt soweit recht gut, doch zeigt die Realität oft ein anderes Bild. Das sogenannte „creativity gap“ ist eine Konsequenz von starren Strukturen, Produktivitätsvorgaben und Bestrebungen zur Risikovermeidung. Hinzu kommen digitale Technologien, die die personale Autonomie noch weiter reduzieren. Menschliche Entscheidungen werden durch Algorithmen-determinierte Systeme nicht nur unterstützt. Ein Algorithmus kann vielmehr zu einer automatisierten Konsequenz führen, die die menschliche Entscheidung ersetzt: beispielsweise, ob ein Kunde kreditwürdig ist, jemand zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird oder nicht u.s.w. Je nachdem, wie ein Algorithmus eingesetzt und verwendet wird, greift dieser mehr oder weniger in die bis dato autonome Entscheidung ein.
Doch nicht nur digitale Technologien unterwandern Autonomie, auch das Recht definiert Arbeit gem. § 1151 ABGB durch Weisungen, Kontrollmöglichkeiten, Zeit- und Ortsfestlegungen als fremdbestimmt. Aktuell findet eine Aufweichung dieser „Unselbstständigkeit“ durch neue und flexiblere Arbeitsformen statt. Doch: Wie kann nun selbstbestimmtes Arbeiten in sozial ungleichen Beziehungen in Ansätzen gelingen? Eine Selbstverwirklichung in und mit Arbeit ist u.a. möglich, wenn die eigenen Talente und Fähigkeiten, die Individualität eingebracht werden können. Dies erfordert jedoch auch eine einigermaßen komplexe und interessante Tätigkeit, die nicht immer vorhanden ist. Die größte Herausforderung besteht vermutlich darin, Mitarbeitern eine gewisse Form von Unabhängigkeit zu verschaffen. Anders ausgedrückt geht es um ein Arbeitsumfeld, das in Teilen frei von Einflussfaktoren, Zwängen und Manipulation ist. Um die kreativen Ideen der Mitarbeiter zu forcieren, ist nicht immer der leichteste, geradlinigste und schon gar nicht der übliche Weg zielführend. Ein Umdenken, ein Ausprobieren neuer Varianten, aber auch Umwege sind gerade in diesen Zeiten erforderlich, brauchen jedoch eine gewisse Portion Mut. Dementsprechend sind Führungskräfte gefordert, ein Umfeld zu schaffen, in dem die eigenen Ziele zumindest ansatzweise verwirklicht werden können. Eine Begegnung auf Augenhöhe unterstützt die Beziehung in gegenseitiger Anerkennung. Denn die kreativsten Ideen helfen nicht, wenn sie ins Leere verlaufen. Es braucht reale Optionen, selbst auf Arbeitsabläufe Einfluss ausüben zu können, um Arbeit selbstbestimmt zu gestalten und Organisationen mitgestalten zu können.