
Criticus
Text: Mag. Angelika Kerschhuber
Fotos: Privat
Kommentar von Mag. Angelika Kerschhuber, Klinische und
Gesundheitspsychologin; Kinder-, Jugend- und Familienpsychologin
Mit Freude ins neue Schuljahr
Eingewöhnung in die Krabbelstube. Eintritt in den Kindergarten. Und dann schlussendlich: Schulbeginn. Übertritte im Leben, sogenannte „life-events“, die nicht zuletzt bei uns Eltern mit emotionalem und organisatorischem Stress verbunden sind. Ich übergebe mein Kind in „Fremdbetreuungshände“, es beginnt ein neuer Lebensabschnitt mit neuen Bezugspersonen und neuen Abläufen im Alltag. Dennoch ist wichtig zu wissen: Die Kinder dursten nach neuen Erfahrungen und sind stolz auf ihre Entwicklungsschritte. Deshalb ist es wichtig, die Vorfreude zu fördern, was schon mit diversen Vorbereitungen (Kauf der neuen Schulsachen, Üben des Schulweges,…) beginnt und nicht zuletzt bei unserer eigenen Haltung als Eltern endet: Vermeiden wir Botschaften wie „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens!“, sondern freuen wir uns mit unseren Kindern, jeden Tag die Möglichkeit zu haben, neue Kompetenzen zu erlernen, sowohl schulisch als auch zwischenmenschlich in der Selbstständigkeitsentwicklung. In meiner psychologischen Arbeit begegne ich immer wieder Eltern, die selbst schlechte Erfahrungen in ihrer Schullaufbahn erleben mussten. Wichtig ist hier, dem Kind einen unbeeinflussten, eigenen Schulstart zu ermöglichen – voller Zutrauen in die Kompetenz des eigenen Kindes, aber auch gespickt mit einem Vertrauensvorschuss dem System Schule gegenüber. In weiterer Folge sind über das Schuljahr ein guter Austausch und wertschätzende Kommunikation zwischen Eltern, Lehr- und Betreuungskräften das A und O.
Sollte der Schulstart den Kindern – im wahrsten Sinne – Bauchweh bereiten oder sonstige körperliche Beschwerden wie Unwohlsein, Kopfschmerzen oder auch Bettnässen hervorrufen, ist die elterliche Feinfühligkeit besonders gefragt. Hier müssen wir Sorgen und Ängste der Kinder ernstnehmen, ohne sie zu dramatisieren. Oftmals sind sie normale, vorübergehende Reaktionen auf die Veränderung, welche sich im Normalfall lindern, wenn sich neue Routinen wieder eingespielt haben. Sorgen oder Symptome über den Schulstart hinaus bestehen bleiben, sollte auch ohne zu zögern auf Beratungs- und Unterstützungsangebote wie z. B. Schulpsychologie zurückgegriffen werden.
Der Schulbeginn 2021 steht im Zeichen der Herausforderung der Pandemie. Einer prinzipiell dringend benötigten Haltung der Eltern, die Sicherheit, Gelassenheit und Zutrauen in das eigene Kind vermittelt, steht momentan viel Verunsicherung entgegen, wie das Schuljahr organisatorisch verlaufen wird. Die Schulabmeldungen häufen sich auch im Pandemiejahr 2021. Viele Eltern sind besorgt um mögliche negative Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf die Entwicklung ihrer Kinder. Als Familienpsychologin möchte ich diese Sorgen wahrnehmen und ernstnehmen und Eltern prinzipiell ermutigen, sich zu erlauben, hinterfragend, wachsam und mutig zu sein. Gleichzeitig möchte ich an alle systemkritischen Eltern appellieren, ebenso selbstkritisch zu reflektieren, ob es sich tatsächlich um eine Entscheidung zum Wohle des Kindes oder im Sinne des eigenen Bedürfnisses handelt. Leidet mein Kind tatsächlich an den Maßnahmen oder ist die Entscheidung eher aus meinem eigenen Groll über die aktuellen Entwicklungen heraus getroffen? Aus psychologischer Sicht gehört es bereits in der mittleren Kindheit zur wichtigsten Entwicklungsaufgabe des Kindes, Freundschaften zu Peers* aufzubauen. Spätestens in der Jugendzeit ist die Entwicklung einer emotionalen Autonomie von den Eltern zentral. In der Praxis erlebe ich immer wieder Familien, in denen die gutgemeinte Behütung schließlich in Überprotektion und Entwicklungshemmung mündet. Soziale Eingebundenheit und Autonomie sind psychologische Grundbedürfnisse, die somit nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Ebenso leistet das Zugehörigkeits-gefühl (z. B. „Ich bin Schüler der Schule XY“) einen wichtigen Beitrag in der Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung. Wenn sich die Familie für häuslichen Unterricht ausspricht, sollten unbedingt alternative Gruppenzugehörigkeiten und soziale Übungsfelder (Vereine etc.) forciert werden.