Auf den Spuren des Thomas
Text: Natalie Zettl
Fotos: Andrej Reiser/Suhrkamp Verlag; Seelackenmuseum; Natalie Zettl; www.detailsinn.at
Auch dreißig Jahre nach seinem Tod gilt er als einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller – mit starkem Bezug zum Pongau: Thomas Bernhard ist mit seiner unverwechselbaren Literatur ein geschriebenes Stück Österreich.
Thomas Bernhard polarisiert: Man liebt ihn oder man hasst ihn. Oder ein bisschen von beidem. Genau diese Hassliebe scheint er auch selbst empfunden zu haben: Sie zieht sich durch seine Literatur wie ein roter Faden – und beflügelt: Jungautor Thomas Mulitzer lässt sich von Thomas Bernhards bissigem Schreibstil inspirieren.
Bewegtes Leben eines großen Autors
Thomas Bernhard wird als uneheliches Kind geboren und verbringt den Großteil seiner Kindheit bei seinem Großvater Johannes Freumbichler in Seekirchen. Schon als Kind entwickelt Thomas Bernhard eine Liebe zur Musik – später wird er am Mozarteum studieren. Erzogen wird Thomas Bernhard in einem nationalsozialistischen Internat, nach Kriegsende im katholischen Johanneum in der Salzburger Schrannengasse. Die Erlebnisse dieser Zeit verarbeitet er später in seiner Jugendautobiografie DIE URSACHE. EINE ANDEUTUNG.
1947 startet er eine Kaufmannslehre, erkrankt aber 1949 an einer Lungenentzündung, aus der eine Lungentuberkulose entsteht und von der er sich nur schwer erholt. In den nächsten beiden Jahren sterben Großvater und Mutter, Thomas Bernhard selbst verschlägt es in den Pongau. Er verbringt lange Zeit im St. Veiter Sanatorium Grafenhof, wo er auch seine lebenslange Freundin Hedwig Stavianicek kennenlernt, die er später als „Lebensmensch“ bezeichnet.
Der Pongau als Inspirationsquelle
Seine Aufenthalte im St. Veiter Sanatorium geben Thomas Bernhard einen Einblick in das Pongauer (Dorf-)leben, der nicht ohne Folgen bleibt: Mehrere Werke des Autors befassen sich mehr oder weniger offen mit dem Salzburger Gebirgsgau. Aus seinen Eindrücken aus St. Veit gehen die beiden Bücher DER ATEM (1978) und DIE KÄLTE (1981) hervor. Auch FROST (1963) wurde scheinbar vom Pongau beeinflusst – allerdings nicht von St. Veit, sondern von Weng, einem Ortsteil von Goldegg. Dabei geht Thomas Bernhard, wie es seiner Art entspricht, alles andere als zimperlich vor: Er ergeht sich in übertrieben negativen Beschreibungen der Dorfbewohner – vor allem die Wirtin in FROST wird drastisch geschildert und im Laufe des Romans unter anderem als Prostituierte beschrieben, die den Gästen Hundefleisch serviert. Diese Darstellung hinterließ gerade bei den Wengern einen bleibenden Eindruck, wie auch Schriftsteller Thomas Mulitzer beschreibt, der zu Weng einen starken persönlichen Bezug hat: „Von einigen Lesern wurde FROST als Tatsachenbericht missverstanden. Tatsächlich hatten meine Großeltern Anfang der Sechzigerjahre ein Wirtshaus in Weng im Pongau – das war natürlich nicht ganz unproblematisch.“
FROST und TAU
Trotz – oder gerade wegen – dessen radikaler Darstellung des Pongauer Dorflebens ließ sich der Autor Thomas Mulitzer von Thomas Bernhard inspirieren: Der heute 31-Jährige benutzt Bernhards Werk ganz bewusst als Vorbild für seinen Debütroman TAU. „Bernhard war des Öfteren Gast im Wirtshaus meiner Großeltern und so bin ich relativ früh mit seinen Texten in Berührung gekommen. Sein Werk hat mein Umfeld geprägt, also war es naheliegend, literarisch an ihn anzuknüpfen – gerade weil er in meiner Familie nicht sehr beliebt war.“
Trotz seiner Nähe zu Bernhards Literatur ist TAU ein eigenständiges Projekt: „Der Stil des ersten Kapitels ist sehr nah an FROST, dann geht mein Buch eigene Wege, obwohl es immer wieder Parallelen und Anspielungen gibt. Man kann TAU natürlich auch lesen, ohne FROST zu kennen.“ Wer den Blick ins Buch wagt, wird nicht enttäuscht: Thomas Mulitzers bissiger Schreibstil erinnert durchaus an sein literarisches Vorbild – und auch an drastischen Beschreibungen wird nicht gespart.
Lebendiges Andenken
Bei einem Besuch in Thomas Bernhards Kurort St. Veit spürt man deutlich, wie lebendig das Erbe des berühmten Autors auch heute noch ist. Im Seelackenmuseum nahe dem heutigen Rehabilitationszentrum sind zwei Räume für Fotos und Erinnerungsstücke rund um Thomas Bernhard reserviert. Auch seine Schreibmaschine hat dort einen Platz gefunden und thront majestätisch in der beleuchteten Glasvitrine. Hilda Brandstetter, bis vor Kurzem Kuratorin des Seelackenmuseums, ist ein erklärter Fan Thomas Bernhards: „Sein Schreibstil ist sehr packend und bis heute aktuell. Zudem war er eine außerst vielschichtige Persönlichkeit mit vielen Facetten.“ Auch in Sachen Hassliebe zum Pongau ist Hilda Brandstetter überzeugt: „Man merkt, dass ihn die Liebe zu St. Veit schließlich doch noch gepackt hat – unser Ort ist für ihn zu einem begehrten Ruhepol geworden.“
Auch der Thomas-Bernhard-Wanderweg, der sich durch das Rehabilitationszentrum rund um St. Veit zieht, ist eine Art lebendiges Andenken an den Autor.
Jeden Herbst finden in St. Veit die Thomas-Bernhard-Tage statt – in diesem Jahr zum 25. Mal. Am 11. Oktober 2019 wurde der österreichische Autor mit einer Lesung aus DIE KÄLTE gefeiert – und auch seiner zweiten Leidenschaft, der Musik, wurde Rechnung getragen.
Buchtipps:
FROST (Thomas Bernhard)
Ein Medizinstudent nimmt den Auftrag an, den Kunstmaler Strauch zu beobachten, der sich in das Gebirgsdorf Weng zurückgezogen hat. In seinen Aufzeichnungen hält er die Monologe und Visionen Strauchs fest, bis er entdeckt, dass diese Begegnung, die er glaubte, bewältigen zu können, ihn selbst überwältigt.
Verlag: Suhrkamp; Preis: € 10,30
TAU (Thomas Mulitzer)
Ein junger Mann nimmt den Auftrag an, im Gebirgsdorf Weng den Spuren des verstorbenen Autors Thomas Bernhard nachzugehen. Er quartiert sich bei seinem Großvater ein und beginnt eine 27-tägige Aufzeichnung, in der er Beobachtungen und Gespräche festhält – und auch ihn überwältigt schließlich die Vergangenheit, die er aufzuarbeiten sucht. Der Roman ist gespickt mit satirischen Elementen, die nicht nur Bernhard-Fans zum Lachen, Kopfschütteln und letztendlich auch zum Nachdenken bringen.
Verlag: Kremayr & Scheriau; Preis: € 22,90