8-Zylinder – Abgesang auf die Lust am Hubraum

Text: René Herndl

Fotos: Hersteller

Achtzylinder-Motoren gehören in Europa zu den bedrohten Arten. Das ist traurig, denn mit dem 8-Zylinder verschwindet wieder ein Stück technische Emotion, die Freude an der Kraft aus Hubraum, ohne Zwangsbeatmung oder Hybrid-Hilfe.

Der Benzinbruder trauert zunehmend um eine Ikone der Motorentechnik – den Achtzylinder-Motor. Gab es in den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts sogar noch kleinvolumige Achtzylinder (z.B. 2-Liter Kubikinhalt aufgeteilt auf 8 Brennräume!) wie im Ferrari 208, gehörte es auch bei sehr vielen Herstellern einfach zum guten Ton, quasi als Dokumentation der technischen Kompetenz, eine Achtzylinder-Motorisierung zumindest im Spitzenmodell anzubieten. Diese Tage sind vorbei. Und damit auch jene, als auch der Rennsport noch von diesen Aggregaten bestimmt wurde. Die Verbrauchsregularien machen aus der Lust am Hubraum-Sound und dem Röcheln aus dem Auspuff den verzweifelten Versuch, mittels Sound-Engineering kleinen Motoren mit 4 oder 6 Zylindern geile Töne zu entlocken, was jedoch keinesfalls die Kraft aus dem Drehzahlkeller ersetzen kann. Da hilft kein Turbolader oder Kompressor – der Reiz ist „perdu“.

Die Letzten der alten Art
Ohne hier auf die verschiedenen Bauarten eines „unvernünftigen“ Achtzylinders näher einzugehen – einige Exemplare gibt´s doch noch, wenngleich meist schon mit verbrauchsminimierenden Finessen kombiniert, mitunter sogar mit Alibi-Elektrozusätzen. Und das sogar in Amerika, wo der Hubraum immer eine große Rolle gespielt hat.
Einer der letzten echten Sauger, also ganz ohne irgendwelche Spielereien, kommt aus – man lese und staune – Japan: Der Lexus LC ist ein sportliches Vehikel ohne Allüren, (fast) ein Spaßmobil der alten Schule in neuem Gewand. So etwa wie der wahrscheinlich einzige Oldtimer, der seit gefühlten Jahrzehnten nahezu unverändert gebaut wurde, nämlich der Morgan Plus 8, wobei hier der Motor allerdings von BMW kam. Die Zukunft ist noch ungewiss, das Feeling aber ist nach wie vor einfach hinreißend, wenn man noch einigermaßen intakte Bandscheiben hat. Bei den Bayern hingegen schlägt der Downsizing-Trend unbarmherzig zu: Zurzeit stehen nur mehr 2 Modelle zum Verkauf, der brandneue 8er Coupé mit einem neu entwickelten Achtzylinder, natürlich mit Turboaufladung. Der Zweite, der M6, gilt nach wie vor als Legende unter den Sportlimousinen. Das war´s bei BMW. Bleibt abzuwarten, was da vielleicht doch noch nachfolgt – wie die Presse­abteilung ankündigt.

Zweiklassengesellschaft
Unter den Motoren mit acht Brennräumen gibt es so etwas wie eine Zweiklassengesellschaft: Hier die Supersportler, die brachialen Kraftmaschinen, die oft weit jenseits der 500-PS-Grenze nur noch von betuchten Könnern oder exhibitionistischen Neureichen angeschafft werden, dort die Luxusvarianten kraftstrotzender Fortbewegungsmittel, die über jede Vernunft erhaben dem Luxusleben dienen. Wobei die Chinesen mit ihrem Hang zur Selbstdarstellung sicher viel zur Nachfrage großer und potenter Autos beitragen.
Zuerst zu den Supersportlern: Die diversen Varianten von Mc Laren sind hier beispielhaft, ebenso die verschiedenen Ferraris, die sich sowohl durch herzhaften Sound, als auch durch spektakuläre Leistungen auszeichnen. So bietet der Ferrari-V8 Turbo, dessen Motor 2018 wieder zum International Engine of the Year gekürt wurde, dank neuer Komponenten nun mit 600 PS und vor allem beim Fahren mit offenem Verdeck im Portofino ein kaum überbietbares Erlebnis. Ähnlich brachial, ganz ohne britische Contenance, gebärdet sich der Jaguar F-Type SVR, dessen Fünfliter-Kompressor-V8, der hier wie im F-Pace SVR oder im Range Rover Sport SVR 575 PS leistet. Der Unterschied liegt hier zwar auch ein bisserl in den Beschleunigungswerten, aber vor allem in der Optik. Was sich wahrscheinlich auch nicht ändern wird, wenn, wie gemunkelt wird, die ursprünglichen Ford-Achtzylinder vielleicht durch solche eines anderen Herstellers ersetzt werden sollten. Auch eine Ikone des Motorsports aus den USA, die Corvette, hat ein Herz mit acht Kammern. Doch da werden ebenfalls bald Änderungen anstehen: Das Konzept Hinterrad­antrieb–Frontmotor soll demnächst einem zeitgemäßeren weichen: Die kommende Corvette C8 wird wohl ein klassischer Mittelmotor-Supersportwagen mit einem neuen 6,2-Liter-V8-Kompressormotor mit zwei obenliegenden Nockenwellen. Leistung rund 700 PS. Da verblasst sogar ein Mercedes AMG GT mit ebenfalls über 500 PS zumindest leistungsmäßig (Mercedes hat übrigens die größte Modellvielfalt mit Achtzylindern, nämlich 28!). Von Mercedesmotoren profitiert seit kurzem auch Aston Martin, das seine schwächeren Modelle mit Stern-Pferdestärken ausstattet. Fast ein Stilbruch. Aber es gibt ja noch einen Zwölfender.
Die typisch-amerikanische Version des Achtzylinders wird von einem der bekanntesten Autos aus Übersee gestellt: Der Ford Mustang schöpft aus seinem 5-Liter-Aggregat vergleichsweise weniger PS als sportlichere Konkurrenten, vereint aber in sich auch jenen gewissen Komfort, der die Leistung relativiert. Hier wird die Zylinder­zahl zum Kult. Auch wenn manche Sondermodelle sich wie Machos benehmen. Wie etwa der Chevrolet Camaro. Ein US-Muscle-Car eben.

Luxus auf die Spitze getrieben
Ganz anders die Luxuskarossen, denen die Potenz auf das Blechkleid geschrieben steht, so, dass die bloße Erscheinung schon genügt. Da kommen vier Vertreter aus einem Konzern, wobei die Auslegung wohl unterschiedlich ist, weil man auch unterschiedliche Kunden­segmente bedient: Der Porsche Panamera Turbo S E-Hybrid Sport Turismo kombiniert einen Vierliter-V8-Motor (550 PS) mit einem Elektromotor (136 PS) zu einer Systemleistung von 500 kW (680 PS).
Der Cayenne Turbo dagegen begnügt sich mit seinem 550 PS starken Biturbo-Achtzylinder-Motor und der Fahr­dynamik eines Sportwagens im SUV-Format. Ganz anders der Bentley Bentayga, unter dessen Motorhaube sich ebenfalls die neue Generation des 4,0-Liter-V8-Otto­motors mit Doppelturboaufladung verbirgt und dessen Leistungsvermögen über jeden Zweifel erhaben ist. Ein Luxus-SUV für den auffällig zurückhaltenden Auftritt. Der Letzte aus dem Konzern, der Lamborghini Urus ist die Gradwanderung zwischen SUV und Sportwagen, ein Auto für Extremisten, sowohl was die Leistung als auch das Aussehen betrifft. Der Motor? Wieder der besagte 4,0 Liter V8 Biturbo-Motor, nur diesmal mit 650 PS. Der Urus ist übrigens mit einer Höchstgeschwindigkeit von 305 km/h der schnellste SUV der Welt.

Eine Komfortversion eines SUV-Achtzylinders dagegen ist eine hierzulande rare Erscheinung: Der Infiniti QX 70 als dezentes japanisches Statement. Das letzte Extrem kommt wieder aus den USA: Der Cadillac Escalade ist ein Riesen-SUV, der in jeder Hinsicht aus der –europäischen – Rolle fällt: außen ein Kasten, innen ein Komfortpaket, gepaart mit ausreichend Kraft aus einem 6,2 l-V8-Motor mit 426 PS und einem seidenweichen 8-Gang-Automatik­getriebe. Das Dahinschaukeln auf einem amerikanischen Highway wird zum Vergnügen. Das kann man dann nur mehr mit Luxuslimousinen vergleichen, die wesentlich eleganter an der Spitze ihrer Art mit Achtzylindern kaum an Komfort zu übertreffen sind, etwa dem Maybach oder dem Bentley Mulsanne.