Tiny Living: Wohnen auf kleinstem Raum

Minihäuser sind auf das Wesentliche begrenzt, bieten keinen Platz für unnütze Dinge und schaffen Bewusstsein dafür, welche materiellen Besitztümer man wirklich braucht. Denn in einem Haus zählen nicht die Quadratmeter, sondern die Lebensqualität.

Die Vorteile der winzigen Häuschen liegen auf der Hand: Sie benötigen wenig Grundfläche, die Investitionskosten sind überschaubar, die Errichtung in Holzbauweise ist nachhaltig, ökologisch und ressourcenschonend, zudem lässt sich das Leben möglichst flexibel und mobil gestalten. Doch Vorsicht: Da Wohnen auf kleinstem Raum ein minimalistisches Einrichtungskonzept voraussetzt, wird bei diesem Schritt nicht selten das ganze Leben umge-
krempelt.

Für die Salzburger Wohnberaterin und Grafikdesignerin Simone Kamleitner begann die Reise damit, dass sie vor acht Jahren selbst in ein Tiny House zog, um ihr Leben in vielen Dimensionen zu reduzieren: „Ich selbst habe mit der Realisierung meines 30 m2 Hauses damals einen der wichtigsten Schritte in meinem Leben gesetzt. Erstens habe ich noch mehr reduziert als vorher, nicht nur Gegenstände, sondern auch Menschen. Meine Lebenseinstellung wurde verändert“, erzählt Simone Kamleitner von ihrem Umzug in ein Tiny House.

Vom Mikrohaus zum ganzen Dorf

Am Beispiel von Mikrohaus-Expertin Simone Kamleitner sieht man, dass aus dem Kleinen ganz Großes entstehen kann. Ab sofort wird das Mikrohausdorf in Schneegattern (Gemeinde Lengau) bezogen – ein Projekt, das die Inhaberin der Konzept- & Designagentur ME & ME aus ihren eigenen Erfahrungen heraus entwickelt und unter Bedacht auf heimische Materialien auf den Markt gebracht hat. Bislang wurden die ersten fünf Häuser im Mikrohausdorf in den Kategorien 50, 70 und 90 m2 verkauft, für die Errichtung weiterer Mikrohäuser gibt es bereits Interessenten. Das Dorf entsteht auf einem Pachtgrund der Bundesforste, der auf 88 Jahre gepachtet wurde. „Seitens der Bundesforste gab es die Auflage, dass wir fünf Häuser für den Startschuss verkauft haben müssen. Diese ersten fünf Häuser werden bis März 2024 bezogen“, erzählt Simone Kamleitner, die gedanklich stets an neuen Ideen tüftelt: „Mein Ziel ist es, irgendwann Themendörfer zu realisieren, wie Seniorendörfer oder Dörfer für Alleinerziehende – dafür muss die Zeit aber noch reif werden.“

Steigender Markt für komprimierte Wohnformen

Wohin sich der Trend bei Mikrohäusern zukünftig entwickeln wird, darüber kann nur spekuliert werden. Der Tatsache geschuldet, dass die Grundstücks- und Quadratmeterpreise explodieren und sich die Innenstädte immer mehr verdichten, wächst der Markt für komprimierte Wohnformen. Für die maximal effektive Ausnutzung von Bauland und Ausschüttung von Gewinn, bieten Immobilienfirmen und Bauträger möglichst kleine Wohneinheiten an. Doch je teurer das Wohnen im urbanen Raum wird, desto attraktiver werden alternative Downsizing-Modelle mit guter Lebensqualität für die Konsumenten – egal ob Miniwohnungen oder Tiny Houses.

Auch Simone Kamleitner vertritt die Meinung, dass Tiny Houses zukünftig auf einen nachhaltigen, aber hochwertigen Lebensstil abzielen werden. „Es geht nicht darum, in einer kleinen Baracke zu wohnen, sondern auf einem guten nachhaltigen und qualitativen Standard, jedoch kleiner und reduzierter. Ich glaube jedoch, dass die Zeit von Tiny Living erst kommt und dass es in eine autarke Richtung der Selbstversorgung – etwa mit Solarpaneelen, Bio-Toiletten oder Regenwasser-Auffanganlagen – abzielen wird.“

„Eine These besagt: Mehr als 100 Dinge braucht man nicht im Leben.“

Simone Kamleitner, Inhaberin der Konzept- und Designagentur ME & ME, in ihrem Mikrohaus.
In Schneegattern entsteht gerade das erste ME & ME Mikrohausdorf mit 12 Häusern im Eigentum.

Optimale Stauraumlösungen

Simone Kamleitner ist aber nicht nur Mikrohaus-Pionierin und leidenschaftliche Raum- und Grafikdesignerin, sondern auch Expertin im Ausmisten und Loslassen, denn Entrümpeln gilt als Basis für ein minimalistisches Einrichtungskonzept. „Sehr viel Raum wird ja nur für Gerümpel benutzt, sei es der Dachboden, der Keller oder die Garage – darum baue ich die Häuser auch ohne Keller, nur mit einem Mini-Lager“, erzählt sie uns, „denn viele Menschen behalten ihre Habseligkeiten nur, weil sie ausreichend Platz zur Verfügung haben.“

Geschickte Stauraumlösungen in einem schlichten reduzierten Design werden nicht nur für Tiny Houses empfohlen. Wer sich dabei an die Einbauschränke von früher erinnert, die über die ganze Wand bis an die Decke reichten, hat bereits die optimale Lösung vor Augen. „In einer ruhigen, hellen Farbe gehalten, geraten diese total in den Hintergrund, ersetzen einen zusätzlichen Raum und bieten unendlich viel Stauraum“, fasst Kamleitner die Vorteile zusammen, „und das Beste daran: Du hast hier alles gesammelt auf einem Fleck und kannst den Rest des Hauses oder der Wohnung ganz modern und schlicht halten.“

Wähle alle Möbelstücke, die in ihrer Funktion langfristig Freude bereiten sollen, in klassischen, zurückhaltenden Farben (Beige, Grau, Weiß). Auch wenn der erste Blick im Möbelhaus bei einem extravaganten, auffällig gemusterten Möbel hängen bleibt, ist dringend vom Kauf abzuraten. Trendfarben der Saison und die gewisse persönliche Note lassen sich ohnehin am besten mit austauschbaren Accessoires wie Teppiche, Vorhänge, Kissen oder Deko reinbringen.

Reduzieren ist in

Die Expertin empfiehlt, beim Entrümpeln in jenen Räumen zu beginnen, in denen du dich am meisten aufhältst. Arbeite dich dann Raum für Raum vor, widme dich aber immer nur einem einzigen Raum. Erst zum Schluss kommen der Keller, die Garage oder das Außenlager dran, denn diese Räume wirst du zum „Zwischenlagern“ brauchen.

Als Grundsatzfrage beim Ausmisten solltest du dir bei jedem einzelnen Objekt überlegen, ob du wirklich daran hängst und ob du es im letzten Jahr auch nur einmal benutzt hast. Falls dies nicht der Fall ist, sortiere die Teile in einzelne Schachteln mit der Aufschrift Verschenken, Verkaufen, Spenden, Entsorgen. Kleidungsstücke, die nicht eindeutig den Weg in eine dieser Schachteln finden, können ein Jahr lang im Keller oder auf dem Dachboden aufbewahrt werden. Sollten dir diese Teile ein ganzes Jahr nicht abgehen, dann weg damit!

Ab in die Box

Apropos Deko und Kleinkram: „Greife bei Accessoires lieber zu größeren Teilen, dafür weniger und schlichter. Kleine Schnick Schnack Sachen braucht kein Mensch, sie lassen den Raum nur überfüllt, unstrukturiert und unordentlich wirken“, rät die Wohnberaterin. Wer Angst um seine Erinnerungsstücke hat, sollte sich eine Erinnerungsbox anlegen, in der alle wichtigen Geschenke, Erinnerungen und Fotos gesammelt werden. Einmal im Jahr wird die Box zur Hand genommen und den liebgewonnenen Erinnerungen aufmerksam alle Zeit geschenkt – damit steigert sich der emotionale Wert dieser Dinge sogar noch mehr.

Generell sollte man sich vor jedem Kauf überlegen, ob man den Gegenstand wirklich braucht und ob man ihn tatsächlich verwenden wird? Oder besitze ich dasselbe etwa schon in einer anderen Variante? Wo verstaue ich es zuhause und wo geht es hin, wenn ich es nicht mehr brauche? Schon die bildliche Vorstellung reicht oft aus, um sich gegen die Anschaffung zu entscheiden. Denn am meisten Sinn machen garantiert jene Dinge, die man gar nicht erst kauft.

Text: Susanne Rosenberger
Fotos: ME & ME, Klaus Doppler/Visus