Theater als Raum für Experimente
Text: Doris Thallinger
Fotos: Fabian Schober, Dieter Hartwig, Studio Fjeld, Nicola Lieser
Im TOIHAUS Theater ist das Experiment von zentraler Natur. Kein Stück gleicht dem anderen, die Inszenierungen entstehen in einem immer wieder neuen, kreativen Prozess. Das Ergebnis sind berührende Aufführungen für Klein(st)kinder genauso wie zeitgenössische, experimentelle Theatererfahrungen für Erwachsene.
Schauplatz Black Box. Schwarz die Wände, am Boden, darauf ausgebreitet liegt ein riesiges helles Tuch. Cornelia Böhnisch, die zusammen mit Katharina Schrott das Toihaus Theater leitet, und die aus Brasilien stammende Künstlerin Anna Bárbara Bonatto vermessen den Raum und nehmen das Tuch auf. Sie beobachten jede Reaktion des Stoffes, analysieren die weichen, fließenden Bewegungen. Wie reagiert das Material? „Rückwärts gehen!“, kommt das kurze Kommando von Cornelia Böhnisch, die für die Choreografie des Stücks „Tilting Moments“ verantwortlich zeichnet. Dabei baut sie bereits auf die Erkenntnisse vorangegangener Proben. Jeder Parameter will beachtet werden, damit das Publikum zur Premiere am 30. September auf die beste Art und Weise eintauchen kann in die Geschichte, die das textile Material erzählt. „Es gibt so viele Möglichkeiten“, seufzt sie, beschließt, die eine oder andere Entscheidung zu vertagen und startet zusammen mit ihrer Kollegin einen kurzen Durchlauf.
Langsam fließt das gigantische Tuch knapp über dem Boden von einer Seite der Bühne zur anderen, bevor die Schritte der Choreografinnen schneller werden, ihre Bewegungen größer. Immer mehr Raum nimmt der Stoff ein, formt sich zu einer Welle, die auf den Zuschauer hereinbricht, um sich, dem Meer gleich, wieder zurückzuziehen und neu aufzubauen. Leise raschelt der Stoff bei jeder Wendung, zart streicht die Brise über die Gesichter der Zuschauer. Wolkengleiche Figuren bilden sich aus dem Tuch in ruhigen, sanften Bewegungen. Fast versetzt es in Trance, je länger man dem Schauspiel beiwohnt, gleich einer Meditation taucht man ein und entspannt.
Man kann das Wasser nicht glattstreichen
„Für ‚Tilting Moments‘ hatte ich eine ganz klare Idee, einen philosophischen Blitz: Man kann das Wasser nicht glattstreichen. Man kann nur warten, bis es glatt wird. Aber ist es überhaupt wichtig, dass das Wasser glatt ist? Ist es nicht lebendiger, wenn es in Wellen ist?“, erläutert Cornelia Böhnisch ihre Inspiration. Bereits im vergangenen Jahr war Textiles eine wichtige Inspirationsquelle für die künstlerische Arbeit im Toihaus Theater: „Schon im Kinderstück ‚Im Flatterland‘ haben wir mit textilen Materialien gearbeitet. Daraufhin wollten wir in die Materie weiter eindringen. Wir haben da noch so viel mehr Potenzial gesehen, vor allem vor dem Gedanken ‚Man kann das Wasser nicht glattstreichen‘. Wir zoomen noch weiter rein, bis zu dem Punkt, an dem es anfängt zu kippen, den Tilting Moment, wenn es nicht mehr nur schön ist, dem weißen Tuch zuzuschauen.“ Im Erwachsenenstück ‚Tilting Moments‘ wird vom Zuschauer verlangt loszulassen, herunterzufahren. Ist dieser Moment überwunden, kehrt Ruhe und Entspannung ein: „Ich denke, dass es ein sehr intensives Erlebnis für unser Publikum sein wird. Das ist mein Wunsch: wegzugehen von der Idee des Theaters als Konsumgut in Richtung achtsames Erleben. Die Grundidee ist, dass das Publikum selbst etwas Kathartisches durchlebt, seinen Tilting Moment erfährt!“
Die Suche nach dem Scheitelpunkt
Dieser Tilting Moment, der Kipppunkt, kann dabei alles sein, der Scheitelpunkt der Welle, der Moment, in dem im Zuschauer etwas passiert oder aber auch der Wendepunkt in der Dramaturgie des Stücks. „Wir wollen mit unserer Kunst, mit diesem Stück ein Statement setzen gegen die Aufmerksamkeitsökonomie: Was heißt es, runterzufahren? Was ist Downsizing in der Kunst?“
Was kann die Kunst für die Zukunft tun?
Diese Frage steht im Fokus von Performance Fiction, einem Festival, das sich, 2021 gestartet, in diesem Jahr zu einer vierteiligen Reihe entwickelt hat. Es geht um künstlerischen Austausch, um Suche nach Wissen, Reflexion: „Wir stellen uns, dem Publikum und Experten die Frage: Was kann die Kunst für die Zukunft tun? Was kann die Zukunft für die Kunst tun? Auf der Suche nach Wissen, das es braucht, um auch künftig handlungsfähig zu sein, versteht sich das Theater als Experimentierraum. Wir greifen auf und reflektieren. Das alles bedeutet Theater für uns“, so Cornelia Böhnisch über die Grundintention von „Performance Fiction“.
Als Highlight des diesjährigen Performance Fiction Festivals findet am 8. Oktober die Premiere von FUR statt, konzipiert und choreografiert von Isabelle Schad. FUR ist eine Begegnung mit der japanischen Tänzerin Aya Toraiwa und ihrem Haar, das ihr bis zu den Knien reicht. Es bedeckt und bekleidet, wird zum Schutzraum und zur Prothese: eine fellähnliche äußere Schicht und Verlängerung des Körpers, der Energien, des Selbst. Das fragile Material enthüllt, was verborgen scheint – als Übergang zwischen der inneren und äußeren Welt. „Isabelle Schad zählt zu den Choreografinnen, die sich sehr tief in die Materialien einarbeiten, richtiggehend in die Materie eintauchen“, erklärt Böhnisch, „dadurch entstehen unglaubliche Bilder.“
Parallel dazu findet am 8. und 9. Oktober die Erfolgsproduktion „TON – Performance in a circle“ – eine Wiederaufnahme, dieses Mal in der Salzburger Kollegienkirche – statt. Das Publikum befindet sich in kreisförmig angeordneten Einzelkabinen in der Mitte der Bühne und wird in eine „Schicht“ aus sphärischen Elektronik-Klängen gehüllt, während die Performerinnen es eine halbe Stunde lang umkreisen. Nach der Premiere im Toihaus Theater und der Aufführung auf der Halleiner Pernerinsel ist das Stück nun in der Kollegienkirche in einem komplett anderen Setting zu erleben.
Festival für Klein(st)kinder
Österreichweit einzigartig ist auch das internationale Theaterfestival BimBam, das alle zwei Jahre im Toihaus Theater selbst sowie bei unterschiedlichen Veranstaltungspartnern in Salzburg und den angrenzenden Bundesländern stattfindet. Im Februar und März 2023 wird das BimBam Festival nun zum 9. Mal stattfinden. Katharina Schrott, die gerade an einem Treffen des Toihaus EU-Projekts teilnimmt, um Produktionen für BimBam anzusehen, freut sich: „BimBam ist ein wunderbarer Festivalmoment in unserem Theater und für unser Publikum. Darin wird eine Vielfalt an unterschiedlichsten Theaterformen für die Klein(st)en und Großen gezeigt. Die internationalen Gruppen, die zu BimBam eingeladen werden, setzen ihre Themen meist nonverbal, mit poetischen Bildern und musikalischen Kompositionen um. Mit seiner sehr feinen Qualität wird BimBam zu einer Türe, die für viele der erste Kontakt mit einem Theater bedeutet oder Anlass für den ersten Besuch im Theater ist. Auch in der internationalen Theaterszene hat unser Bim-Bam-Festival eine große Strahlkraft.“
Mehr als „nur“ Theater
Das Toihaus Theater Salzburg sieht sich als Theater für Musik, Tanz und Performance, Sprache, bildende Kunst und die Verbindungen zu anderen Kunstsparten und Ausdrucksformen. Jährlich entstehen vier bis sechs Produktionen für Kinder und Erwachsene. Der Fokus liegt in der Erschaffung poetisch-theatraler Momente für die Allerjüngsten sowie der experimentell performativen Arbeit an Stücken für Erwachsene, einem zeitgenössisch intergenerativem „Theater für alle“.
„Wir sind ein ganz toller Ort zum Experimentieren, wir haben die Chance, Dinge auszuprobieren, in jeglicher Richtung, ästhetisch, künstlerisch, generationenübergreifend. Wir sind nicht festgelegt auf eine Sparte. Das ist manchmal eine Challenge und manchmal ist es eine Oase“, erläutert Cornelia Böhnisch den Facettenreichtum.