Pick-up: Nutzfahrzeug oder Spielzeug für Männer?

Text: René Herndl

Fotos: Hersteller, René Herndl

Das Lexikon klassifiziert einen Pick-up als Kleinlieferwagen. Das trifft den Kern nicht ganz, denn viele Pick-ups sind eher eine Kombination aus Geländefahrzeug mit Kabine für zwei bis fünf oder sogar mehr Personen und einer Ladefläche dahinter. Diese Auto-Gattung gehört zu einer der erfolgreichsten weltweit und kommt eigentlich aus den USA und Australien, wo sie Farmern und Kleinunternehmern für die täglich anfallenden Transporte diente.

In den USA führt die Ford F-Serie regelmäßig die Bestsellerlisten an, nur mogeln sich manchmal japanische Kompaktwagen nach vorn. Die F-Baureihe wird schon in der mindestens 13. Generation angeboten, natürlich auch mit V8-Motor, wie es die traditionell geprägte US-Kundschaft verlangt. Wobei es sogar noch eine Spur größer geht: Die Super-Duty-Ausführung der F-Serie ist mit bis zu 6,8 Liter großen V10-Benzinern motorisiert. Solche und oft auch getunte Modelle wurden zu Kultfahrzeugen für Stars und Sternchen, die einen starken Auftritt wollten. Neben den klassischen Pick-ups gab es in den USA aber auch Ausführungen mit typischen Limousinen-Vorbauten mit eher flachen, an die Dachlinie angepassten Ladeflächen. Bekanntester Vertreter diese Bauart war der El Camino von Chevrolet.

Pick-ups in Europa
In Europa ist nicht erst seit den 80ern des letzten Jahrhunderts alles eine Nummer kleiner. Als allradgetriebene Spielzeuge populär wurden, boten Hersteller wie Toyota oder Mitsubishi ihre eigentlich für den US-Markt bestimmten Pick-ups wie den HiLux oder den L 200 auch in Europa an. Auch der Caddy, ein kleiner Pick-up von VW, basierend auf dem Golf 1, war eigentlich für die USA vorgesehen, wurde aber ab 1983 auch in Europa angeboten. Dennoch fristeten Pick-ups ein Schattendasein, auch weil sie den Duft von Arbeit und wenig Komfort hatten. Aber seit Kurzem schaut die Sache ganz anders aus: Der Pick-up kommt, mitunter auch recht zivilisiert und fast luxuriös, bei uns zunehmend in Mode. Beispiel? Die neue X-Klasse von Mercedes. Die Basis dazu wird zwar, wie es dem Zeitgeist industrieller Massenfertigung entspricht, bei einem anderen Hersteller zugekauft, dann aber kommt der Anspruch der Schwaben zutage, der ein gewisses Maß an optischer und haptischer Exklusivität verlangt. Der X-Mercedes steht als Edelvariante eines Pick-ups da, vergleichbar einem SUV, der noch nicht ganz seine Gelände-Gene verloren hat, aber den Trend auf die Straße verlagert. Ganz vorne in der Hitliste der aktuellen Pick-ups steht der VW Amarok, der, wie die meisten dieser Klasse, sowohl mit Hinterrad- als auch Allradantrieb lieferbar ist und dessen Ausstattung von spartanisch bis zu luxuriös wählbar ist.

Arbeitsgerät oder Spielzeug?
Während die echten Geländeautos immer weniger werden, auch weil die Hersteller mit kompakten, trendigen und frontgetriebenen City-SUVs viel mehr Geld verdienen, bleibt eine Pick-up-Gelände-Kategorie erstaunlich standhaft und wird langsam größer. Die Merkmale von Offroadern, also Starrachsen, Blattfedern und Leiterrahmen, gibt es fast nur mehr hier und machen sie zum Synonym für extravagant zur Schau gestellte Härte und – meist kaum genützte – Praktikabilität. Man könnte ja auch etwas aufladen. Technisch ist die Zeit allerdings auch an den früheren Lasteseln nicht spurlos vorbeigegangen: Die alten und lahmen Saugdiesel sind modernen Hightech-Turbo-Dieselmotoren gewichen, der Fahrkomfort benimmt sich nicht mehr allzu bockig und sogar Assistenzsysteme sind installiert. Familienschmeichler sind sie aber immer noch nicht, wenngleich ein Doppelkabiner durchaus akzeptablen Komfort und Platz bietet. Beim Parkplatzsuchen braucht ein Pick-up aber auch viel Platz – er ist kein Stadtauto.
Auch die neuesten Modelle wie der Fiat Fullback, der Renault Alaskan, die diversen Ford-Modelle oder die fernöstlichen Vertreter von Nissan, Mitsubishi, Toyota oder Isuzu sind nicht nur durch ihre Bodenfreiheit optisch für den handfesten Gebrauch gebaut, auch wenn eine Geländeuntersetzung meist fehlt. Pick-ups sind und bleiben auch abseits der mitunter militärischen Nutzung keine weichgespülten Alltagsautos, auch wenn sie inzwischen alltagstauglich geworden sind.