Kultur geht weiter im Literaturhaus

Text: Natalie Zettl

Fotos: Literaturhaus Salzburg; Adobe Stock Photos

INTERVIEW mit Tomas Friedmann, Leiter des Literaturhauses Salzburg und Erfinder von LIVE-LESEN

Foto: Literaturhaus Salzburg

Was hat sich für Sie durch die Coronakrise geändert?

Beruflich wenig: Die Arbeit hat zuerst durch große Unsicherheit, dann wegen notwendiger Absagen, Verschiebungen, Video-Konferenzen, E-Mail-Flut, budgetärer und juristischer Fragen etc. zugenommen. Zwar fallen bis Sommer insgesamt über 100 Veranstaltungen im Literaturhaus weg – allerdings betreuen wir seit 22. März jeden Tag um 20 Uhr das literarische Anti-Corona-Programm LIVE-LESEN auf unserer Facebook-Seite. Mit dieser einzigen täglichen Literatursendung Österreichs sind wir erfolgreich, unterstützen Autoren und erreichen neues Publikum – bisher über 150.000 Interessierte. Die Planung, Organisation und Durchführung nimmt viel Zeit in Anspruch und macht große Freude. Privat halte ich mich an sinnvolle Regeln, wohne allein mit meinem Sohn und pendle zwischen Salzburg und Niederösterreich, wo meine Partnerin lebt. Dass ich wochenlang meine 86-jährige Mutter im Linzer Altersheim – auch mit Abstand, Mundschutz und Einhaltung aller Hygiene-Regeln – nicht besuchen durfte, ist schwer zu akzeptieren.

Autoren trifft die Krise – wie alle Künstler und Freischaffenden – besonders schwer. Wie kann man das abfedern?

Einerseits durch finanzielle Unterstützung seitens der Bundesregierung sowie der Landes- und Stadtregierungen. Ich plädiere seit Beginn – auch gegenüber Kulturstätten im In- und Ausland – für Abstandshonorare. D. h. alle Künstler, Autoren, Moderatoren, Schauspieler, Musiker, Übersetzer etc., die eingeladen wurden (und somit einen schriftlichen oder mündlichen Vertrag haben) und jetzt nicht auftreten dürfen, sollen ein Ausfallshonorar erhalten. Das muss jeder Veranstalter selbst berechnen – abhängig von der finanziellen Situation. Das Literaturhaus Salzburg zahlt jedenfalls allen 50 Prozent Abstandshonorar; Hotels und Flüge konnten wir überwiegend stornieren, Druckwerke etc. wandern in den Müll. Andererseits braucht es neben Soforthilfen jetzt mittel- und langfristige Strategien und Perspektiven wie Stückaufträge, Wettbewerbe, Stipendien, eine Diskussion über Kollektivverträge in der Kunst & Kultur und eine gebündelte Online-Plattform, verstärkte Buchankäufe aus österreichischen Verlagen für Bibliotheken (Schulen, Krankenhäuser etc.), Honorare für digitale Auftritte, TV-Interviews und Gastkommentare usw.

Wie kann man auch in der Krise die Literaturszene am Leben halten?

Durch verschiedene Taten wie z. B. Kontakt mit Autoren über Telefon, E-Mail und soziale Medien. Durch Aufrufe, Bücher – vor allem österreichischer Autoren – verstärkt in lokalen Buchhandlungen zu kaufen oder dort online zu bestellen. Durch Presseaussendungen, Gastkommentare, Interviews und Gespräche mit Kulturpolitikern und Kulturabteilungen. Und durch Projekte und Aktionen wie unser tägliches LIVE-LESEN, bei dem wir Autorinnen und Autoren eine honorierte Auftrittsmöglichkeit verschaffen.

Ich habe zudem etwas gehört über ein Projekt namens „Plaudertasche“…?

Ja, es gibt die Salzburger Kinderzeitung online – und im Oktober erscheint anlässlich 20 Jahre Plaudertasche das große Jubiläumsheft Nummer 80. Dafür engagiert sich mein Kollege Peter Fuschelberger vom Jungen Literaturhaus. Informationen dazu gibt es online.

Tatsächlich wurden geplante Maßnahmen für Kunst und Kultur blockiert, indem der betreffende Amtsbericht einfach nicht vorgelegt wurde. Was sagen Sie dazu?

Das ist inakzeptabel. Die Künstler und Kulturschaffenden werden sich das nicht nur merken, wir werden das auch nicht schweigend hinnehmen. Während sich das Kulturministerium in Wien – trotz missglückter Pressekonferenz – sowie das Land Salzburg wirklich bemühen, in dieser schwierigen Situation zu helfen, versagt die Stadtregierung unter ÖVP-Bürgermeister Preuner. Die städtische Kulturabteilung trifft dabei keine Schuld, sie sind für uns verlässliche Partner, das Problem entsteht durch politisches Zögern und Zaudern. Genau das brauchen wir jetzt nicht, sondern klare Haltung, rasche Entscheidungen sowie gute Kommunikation. Jetzt ist es an der Zeit zu beweisen, dass Salzburg die Bezeichnungen „Kulturstadt“ verdient – und dazu muss man die Künstler und Kulturvermittler hören und ernst nehmen.

In Ihrer Pressemitteilung zur Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung sind einige mahnende Worte zum Thema „Verbot von freiem Denken“ enthalten… Sehen Sie die Meinungsfreiheit aktuell in Gefahr?

Österreich ist eine Demokratie – trotz Corona-Krise funktioniert das Leben weitgehend gut. Manche Einschränkungen, wie Versammlungs- und Demonstrationsverbote, Überlegungen zur flächendeckenden Handy-Überwachung oder zum Teil schlampige Stress-Kommunikation haben den Rechtsstaat an Grenzen gebracht, die wir vor ein paar Monaten noch für unmöglich gehalten haben. Sorgen macht mir die Beobachtung einer Art „Alltagsfaschismus“, damit meine ich, wenn z. B. sonst nette Nachbarn die Polizei rufen, weil zwei Jugendliche im Park sitzen, wenn im Supermarkt eine Frau auf einen Mann zeigt, der zwei Käsepackungen aus dem Regal genommen, eines zurückgelegt und somit angeblich verbotenerweise ein Produkt zu viel berührt hätte, oder wenn im Netz Verschwörungstheoretiker, Verharmloser und rechtsextreme Erreger um die Meinungshoheit buhlen und dabei etwa auf Flüchtlinge losgehen, die das Virus eingeschleppt hätten. Anfangs entstand der Eindruck einer oft zu braven Presse, die sich auf Infektionszahlen und den Transport von Aussagen der Regierungssprecher konzentriert. Inzwischen ist es anders, Parlament und Opposition sind aufgewacht, die Institutionen funktionieren und kritische Stimmen werden gehört.

Wie wird die Zukunft des Literaturhauses aussehen?

Wir feiern 2021 unseren dreißigsten Geburtstag, haben viele Pläne und Ideen und sind frohen Mutes, dass Menschen nicht nur auf die Wiederherstellung eines „Normalzustands“ hoffen, in dem die Ökonomie das Sagen hat, sondern offen sind für Fragen und für Themen, die in der Literatur immer schon behandelt werden: Liebe und Schmerz, Tod und Glück, Solidarität und Sehnsucht, Identität und Macht, Beziehungen und das Abschüssige der Existenz. Geschichten und Poesie wird es immer geben, weil es ein Grundbedürfnis des Menschen ist, mittels Sprache Welt zu erfahren. Darum mache ich mir über die Zukunft des Literaturhauses Salzburg überhaupt keine Sorgen. Bei uns kommt ja auch das Leben zur Sprache!

Was ist Ihre Vorstellung von einer Welt nach Corona?

Als Optimist müsste ich jetzt antworten: Die Welt wird dazulernen. Als Realist fürchte ich, dass jene Kräfte, die politische und wirtschaftliche Entscheidungen treffen, noch immer nicht verstehen wollen, dass es eine neue Form des fairen Zusammenlebens in Freiheit, Wohlstand und Gesundheit für alle Menschen braucht, um Frieden zu sichern und dem Klimawandel erfolgreich Widerstand zu leisten. Aber wie heißt es so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

DEMNÄCHST AUF LIVE LESEN:
Autor Clemens Berger mit seinem neuen Roman „Der Präsident“ (4. Mai)
Slam-Poetin Precious Nnebedum (7. Mai)

Mehr Infos auf der Website des Literaturhauses Salzburg.