Hinter dicken Mauern

Text: Doris Thallinger
Fotos: www.kaindl-hoenig.com, Salzburger Burgen und Schlösser

Als Salzburg-Besucher sollte man sie gesehen haben und als Salzburger sowieso: die Festung Hohensalzburg. Dass das Wahrzeichen der Stadt aber noch einiges Unentdecktes bereithält, zeigt unsere Führung in die geheimen Ecken und Winkel.

So erlebt man die Festung Hohensalzburg nur selten: Menschenleer liegt sie im Licht der Morgensonne. Es ist die Ruhe vor dem Sturm – dem Ansturm der Besucher. Einheimische wie auch Touristen „belagern“ die Festung gerade in den Sommermonaten und genießen das Flair und die Entdeckungsreise in längst vergangene Zeiten. Eine Belagerung, die heute gewollt ist – im Unterschied zu denen des Mittelalters. Als wohl beliebteste Sehenswürdigkeit Salzburgs verzeichnete die Festung Hohensalzburg im Jahr 2019 1.379.000 Besucher. Auch wenn heute viele Teile der Festung öffentlich zugänglich sind, gibt es immer noch versteckte Ecken und Winkel, die aufregende Details der Festungsgeschichte freilegen. Und diese sind auch der Grund für unseren frühmorgendlichen Besuch auf der Festung Hohensalzburg. Noch bevor die anderen Gäste die Festung erklimmen, nimmt uns Burgverwalter Bernhard Heil mit auf die spannende Reise zurück ins Mittelalter ab dem 11. Jahrhundert, als die Burg 1077 erstmalig urkundliche Erwähnung findet.

Mit dem Hohen Stock begann die Baugeschichte der Festung Hohensalzburg im 11. Jahrhundert.

Zeichen der Macht
Der bayrische Erzbischof Gebhard geht damals schon mit der Zeit. Einer Zeit, zu der es als modern gilt, sich mit Hochburgen ein Statussymbol zu setzen. So entsteht der Wohnturm, noch heute als Hoher Stock ersichtlich. Im Laufe der Jahrhunderte wird rund um diesen Wohnturm weiter gebaut. Noch heute erkennt man an den senkrechten Kanten und den unterschiedlichen Größen der verwendeten Steine, wie sich der Hohe Stock bis Ende des 15. Jahrhunderts mehr und mehr zum palastartigen Bau entwickelt. Sehr bald entsteht auch die Kapelle, die sich bis heute zur Stadt Salzburg hin präsentiert, als eindeutiges Zeichen: Dies ist die Burg eines Kirchenmanns.

Für die Erzbischöfe und deren Entourage ist die Burg der Rückzugsort, wenn Gefahr droht. In Friedenszeiten weilen sie – weitaus komfortabler – in der Residenz. Schon bald erkennt man, dass sich die Form des Bergs ideal anbietet für den Bau einer Ringmauer, um die Burg weiter zu befestigen. Ein Turm nach dem andern ziert die Burg – nicht unbedingt aus militärstrategischen, sondern vielmehr aus optischen Gründen: „Mode und Eitelkeit spielen bei den Erzbischöfen der damaligen Zeit eine große Rolle“, verrät Bernhard Heil. Zudem werden mit zunehmender Verbesserung der Kanonen die Mauern immer massiver, aus den am schwersten zu schützenden Stellen werden Plattformen, um selbst Kanonen darauf zu platzieren. Als Reaktion auf Bedrohung werden massive Basteien errichtet. So vollzieht sich der Wandel von der mittelalterlichen Burg zur neuzeitlichen Festung.

Insbesondere Leonhard von Keutschach (1442–1519) trägt viel zur heutigen Gestalt der Festung Hohensalzburg bei: Mit allem, was wir heute als  „schön“ empfinden, was dem Komfort und der damaligen Vorstellung von Luxus dient, schafft er sich sein kleines Reich am Throne des Mönchsbergs. „Man kann sich das in etwa vorstellen wie Michael Jacksons ‚Neverland Ranch‘, eine eigene kleine Welt“, vergleicht Burgverwalter und Experte für die Festungsgeschichte Bernhard Heil. Nur schade für die Salzburger selbst, für sie bleibt die Festung Sperrzone, zu Friedens- wie zu Kriegszeiten.

Ab 1500 verlieren die Festungen gemeinhin ihre Bedeutung, die Zeit der Angriffe auf Burgen ist vorbei. Um 1525 wird die Burg jedoch noch einmal belagert – von der eigenen Bevölkerung. Zwar kann sie auch dann nicht eingenommen werden, in 14 Wochen „Exil“ auf der Burg erkennt der damalige Fürsterzbischof Matthäus Lang von Wellenburg jedoch den Schwachpunkt der Wasserversorgung und beauftragt den Bau einer Zisterne, obwohl zu diesem Zeitpunkt der Höhepunkt der Festungsgeschichte bereits vorbei ist.

Die Festung zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs
Noch einmal erfährt die Festung Hohensalzburg einen Bau-Schub, und zwar zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs um 1630. Erzbischof Paris von Lodron will nichts dem Zufall überlassen und bringt die Festung – verteidigungstechnisch gesehen – auf den aktuellsten Stand: Mauern werden durch Zwischendecken stabilisiert, weitere Basteien, wie zum Beispiel die Hasengraben Bastei, entstehen unter seiner Herrschaft. „Die Erweiterungen waren meist Reaktion auf neue Bedrohungen – oder aber sie dienten rein der Optik!“, schmunzelt Bernhard Heil und verweist auf das Beispiel der Kuenburg Bastei: „Verteidigungstechnisch macht diese keinen Sinn, vielmehr stellt sie die Symmetrie der Festung wieder her, als optischer Ausgleich zur Hasengraben Bastei.

Lebendiges Bauwerk
„Man muss die Burg als lebendes Objekt verstehen“, so Bernhard Heil weiter. „Erst entwickelt sie sich von der mittelalterlichen Burganlage zur modernen Festung. Aber auch danach bleibt sie nicht stehen, sondern entwickelt sich weiter bis heute zur touristischen Einrichtung. Wenn man Fotos von vor hundert Jahren mit dem Heute vergleicht, sieht man klar die Veränderung. Und auch in 100 Jahren wird sie wieder anders ausschauen!“

Nach diesem kurzen Abriss der Entstehungsgeschichte machen wir uns auf den Weg, einige der touristisch noch fast unberührten Winkel zu besichtigen. „Die Pfisterei, die Kuenburg Bastei, der Schlangengang samt Bürgermeisterturm sowie der Weinkeller sind in ihrem ursprünglichen Zustand belassen. Wären sie öffentlich zugänglich, müssten etliche Schutzmaßnahmen getroffen werden, wodurch sie ihren ursprünglichen Charme einbüßen würden“, erklärt Bernhard Heil. Zu besichtigen sind diese Orte nur im Rahmen einer individuellen Führung.

Die Pfisterei
Wie erwähnt sind viele Neuerungen auf Leonhard von Keutschach zurückzuführen, so auch die Pfisterei: Auf „Khellr, Kuchen und Pfiste“ verweist das Wappen an der Eingangstür: Kellerei, Küche und Bäckerei, erbaut 1503. Wie damals liegt der riesige Backofen vor uns – fünf Meter tief, bietet er schon vor mehr als 500 Jahren ausreichend Platz, um für die Erzbischöfe und deren Gefolge Brot zu backen. Beheizt wird der Ofen über die davor gelegene Feuerstelle – der Rauch zieht durch den sogenannten „Hut“ ab, dem Vorgänger unseres modernen Dunstabzugs. Daher stammt auch das Sprichwort: „Wenn der Hut brennt, ist Feuer am Dach!“ Gegenüber dem Backofen befindet sich ein gewaltiger Räucherkamin: „In Friedenszeiten wurde die Burg von der Stadt aus versorgt, in Zeiten der Belagerung hingegen sollten die Vorräte für ein Jahr ausreichen. Darum war es wesentlich, frisches Fleisch selchen, also haltbar machen zu können.“

1503 ließ Leonhard von Keutschach die Pfisterei errichten.

Auch Getreide ist ausreichend vorhanden, gelagert im Schüttkasten. „Darin wurde das Getreide nicht in Säcken gelagert, sondern aufgeschüttet. Der Getreidemeister, auch Schüttmeister genannt, hatte die Aufgabe, das Getreide regelmäßig zu wenden und zu belüften.“ Ganz besonders interessiert uns nun aber nicht der Schüttkasten, sondern das, was darunter verborgen liegt.

Der Weinkeller
1509 – der Schüttkasten besteht bereits – ist es Leonhard von Keutschachs Wunsch, einen Weinkeller zu haben. Und zwar UNTER dem Schüttkasten. So wird kurzerhand der Boden geöffnet und ein imposanter Kellerraum in den darunterliegenden Fels geschlagen. Noch heute zeugen Spuren von Hammerschlägen im gewachsenen Stein von den schweren Arbeiten. Noch eins drauf setzt 120 Jahre später Paris von Lodron mit dem Wunsch nach einem noch viel größeren Keller. Heute vermutet man, dass tatsächlich ganze Eisblöcke für den Sommer in diesem gelagert wurden.

Eingang zum Weinkeller unter dem Schüttkasten.

Schlangengang und Bürgermeisterturm
Der nächste Halt unserer Tour zeigt anschaulich die Baufortschritte, die die mittelalterliche Burg zur Festung werden lassen. Der Schlangengang – wahrscheinlich benannt nach den kleinen, wendigen Kanonen namens „Feldschlange“, die hier zum Einsatz kommen – wird um 1480 als äußere Verteidigungslinie errichtet. Zum einen soll er als besonders stabile Mauer Eindringlinge abwehren, zum anderen bietet der auf der Mauer angelegte Gang die Möglichkeit, aktiv Richtung Nonnberg zu schießen. Der Schlangengang mündet in den Bürgermeisterturm. „Der Name hat nichts mit einem Bürgermeister zu tun, sondern mit dem Meistern, also dem Unterdrücken der Bürger.“ Strategisch sind diese Verteidigungslinien perfekt positioniert: „Mit acht bis zehn Torwachen konnte man die gesamte Burg verteidigen.“

Die Kuenburg Bastei
Schließlich führt uns unsere Entdeckungsreise IN die Kuenburg Bastei: „Das Spannende ist, dass sie innen hohl ist und damit die Möglichkeit bietet, sie auch von innen zu besichtigen“, macht Bernhard Heil neugierig auf diesen seltenen Einblick.

Unterschiedliche Bauweisen im Vergleich: links Bruchsteinmauer, rechts Quadermauer.

Ursprünglich besteht an dieser Stelle bereits eine „Kleine Mauer“ als Bastei. Während Michael von Kuenburgs Regentschaft bricht ein Teil dieser Mauer ein. Obwohl verteidigungstechnisch nicht relevant, lässt er davor die mächtige Kuenburg Bastei errichten. „Die Festung sollte von weither gut ausschauen“, so Bernhard Heil, „mit der Kuenburg Bastei war die Symmetrie wieder hergestellt.“ Dass sich hinter den dicken Mauern ein Hohlraum befindet, entdeckt man erst 1950, als sich die vordere Mauer weiter nach vorne bewegt und stabilisiert werden muss. Glück im Unglück für uns, denn so gewinnt man einen spannenden Eindruck, was hinter diesen monumentalen Mauern steckt und gewinnt weitere Einblicke in den Festungsbau.