Alice im Wunderland

Text: Doris Thallinger

Fotos: Yulia Svetsky, Privat/Alisa Kolosova

Sie führt ein Leben, das sie sich nie erträumt hätte. Zwar war für Alisa Kolosova von Kindesbeinen an klar, dass sie Opernsängerin werden würde – ihre Träume gingen aber nie über die Grenzen Russlands hinaus. Ihr Talent und ihre Stimme haben die Mezzosopranistin mittlerweile in die ganze Welt geführt – und in ihr persönliches Wunderland.

Was für eine beeindruckende Frau – das ist einer der ersten Gedanken, die einem beim Anblick Alisa Kolosovas durch den Kopf schießen. Große, ausdrucksvolle Augen, ebenmäßiger Teint, volle Haarpracht und dazu eine Präsenz, die sehr einnehmend wirkt. Auf der Bühne wie im echten Leben. Auf der Bühne steht Alisa Kolosova mittlerweile schon lange. Im zarten Alter von fünf Jahren erhält sie ihre ersten Gesangsstunden – gesungen habe sie aber schon viel früher, die gesamte Familie ist der Musik zugetan. „Ich glaube, mit acht Jahren habe ich beschlossen, Opernsängerin zu werden!“, erzählt die temperamentvolle Russin lachend. Und auch wenn ihre Familie hinter ihr steht und das Talent erkennt, kann sich zu dem Zeitpunkt noch niemand vorstellen, dass die junge Alisa eines Tages auf den Bühnen der großen Opernhäuser auf der ganzen Welt singen wird. „Meine Träume waren viel kleiner“, versucht die heute 31-Jährige zu erklären. „Ich war nie im Ausland gewesen – darum konnte ich nur von den Dingen träumen, die ich kannte. Davon, in einem der Theater oder Opernhäuser in Russland auf der Bühne zu singen!“
Das Schicksal will es aber anders. 2007 nimmt Alisa an der „International Hans Gabor Belvedere Singing Competition“ in Wien teil, im Jahr darauf an der „Competizione dell’Opera“ in Dresden. 2009 wird sie nach Salzburg eingeladen, zur Teilnahme am Young Singers Project der Festspiele.Und in Salzburg schafft sie auch ihren Durchbruch: 2010 debütiert Alisa Kolosova bei den Pfingstfestspielen in Mozarts „La Betulia liberata“ unter Riccardo Muti.
Danach geht es für die Russin für drei Jahre als fixes Mitglied des Ensembles an die Wiener Staatsoper. „In Wien verbrachte ich eine der besten Zeiten meines Lebens!“, schwärmt sie. Kein Wunder, lernt sie hier auch ihren Seelenverwandten und späteren Ehemann Vitalij Kowaljow kennen und lieben. Seit Anfang 2014 sind Alisa Kolosova und der Sänger ein Paar, seit drei Jahren verheiratet und leben in der Schweiz zwischen Zürich und Luzern.

Auf der Bühne und im Leben
Derzeit verbringen die beiden nicht nur ihre freie Zeit miteinander – sie stehen auch zusammen auf der Bühne der Salzburger Festspiele. In Cherubinis Oper „Médée“ gibt Vitalij den korinthischen König „Créon“, während Alisa den Part von Medeas Dienerin „Néris“ singt. „In dieser Produktion bin ich als Néris ihre Schwester, ihre beste Freundin, ihre Vertraute – im Grunde die einzige Person, die Medea in einer Art und Weise nahesteht und sie nicht weit fortwünscht“, schildert Alisa ihre Rolle und deren Charakteristik. Die Neuinszenierung der Oper bei den Salzburger Festspielen beschreibt sie als sehr realistisch. „Das macht es so interessant und auch sehr intensiv. Ich denke, das Stück ist sehr nahe am Publikum und viele Menschen werden sich mit der einen oder anderen Situation identifizieren können.“

Mit Leib und Seele und viel Herzblut
Wichtig ist für Alisa, den ganzen Hintergrund, den Charakter ihrer jeweiligen Rolle zu kennen, um sie in ihrer vollen Energie, ihrem ganzen Sein erfassen und darstellen zu können. „Ich muss die ganze Geschichte dahinter verstehen, egal, wie groß oder klein die Rolle ist. Das ist die Schauspielerin in mir – ich wurde darin trainiert, den ganzen Charakter zu studieren, um ihn zum Ausdruck zu bringen.“ Und im Moment sind es die „Verdi-Girls“, die bei Alisa ganz hoch im Kurs stehen: „Das sind echte Frauen, stark und voller Energie!“
Mit Federica in „Luisa Miller“ und Fenena in „Nabucco“ warten bereits zwei dieser Rollen auf Alisa: Nach einigen Tagen Auszeit nach den Salzburger Festspielen geht es sofort weiter für die Mezzosopranistin, nach Chicago, wo Luisa Miller an der Lyric Opera of Chicago aufgeführt wird und danach nach Valencia und Amsterdam für Nabucco. „Aber danach kann ich ein paar Tage Urlaub machen und meinen Mann nach Kanada begleiten, wo er ein Engagement hat.“

Wie ein Traum
„Mein Leben fühlt sich für mich auch heute noch manchmal so an wie das von Alice im Wunderland. Ich erlebe so viele schöne Orte und Länder, die ich nie erwartet hatte, jemals zu besuchen! Ich hätte mir das nie erwartet, aber ich bin unglaublich glücklich, dass es so gekommen ist!“