Golfball oder Alu-Dose?

Text: Doris Thallinger

Fotos: rangizzz; Roman Samokhin; Trueffelpix - stock.photo.com

Resilienz – ein viel strapazierter Begriff in unserer Zeit. Jeder spricht von ihr, jeder will sie haben. Aber: Was ist Resilienz wirklich? Wofür braucht man sie? Und vor allem: Wo bekommt man sie her?

Viktor F. erlebt, was sich niemand vorstellen kann und will. Seine Eltern werden ermordet, genau wie seine Frau. Er selbst wird psychisch und physisch gequält, leidet Hunger und muss Tag für Tag um sein Leben zittern. Aber er überlebt. Mehr als das, er behält die ganze Zeit über den Glauben an den Sinn in seinem Leben, die Hoffnung, er weiß trotz dieser inhumanen Umstände, wofür er am Leben bleiben will. Diese Tatsache gibt ihm die Kraft, diesen Willen zum Sinn zu erforschen, nach all dem Erlebten wieder aufzustehen und sein Leben sinnvoll weiter zu leben. Und er lässt die Menschheit an seinen Erfahrungen und seinen Erkenntnissen teilhaben. Mehr noch: Er entwickelt eine Therapie, um auch anderen Menschen zu helfen, ihren Sinn im Leben (wieder) zu finden.
Kein Roman, kein Film, keine erfundene Geschichte – Viktor F. ist der Wiener Neurologe und Psychiater Viktor E. Frankl, KZ-Überlebender und Begründer der Logotherapie. Die eingangs beschriebenen Gräuel erlebte er tatsächlich, nachdem er, seine Eltern und seine Frau 1942 deportiert worden waren. Nur er überlebte – nach Aufenthalten in vier Konzentrationslagern!

Trotzdem Ja zum Leben sagen
Anstatt sich der Opferrolle hinzugeben, verarbeitet Frankl seine Erlebnisse in seinem Werk „… trotzdem Ja zum Leben sagen – Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“. Darin analysiert er auch die Gründe, warum aus seiner Sicht er selbst und andere, wenige Mitgefangene, die unmenschlichen Zustände überlebten. Zentrale Botschaft ist, dass es auch unter den unmenschlichsten Umständen noch möglich ist, einen Sinn im Leben zu sehen. Denn es ist des Menschen Entscheidung, welche Haltung, welche Einstellung er einnimmt: „… die letzte der menschlichen Freiheiten, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen.“ Menschen, die selbst im Leiden einen Sinn sehen, sind besser in der Lage, Schwierigkeiten des Lebens zu meistern.
Viktor E. Frankl ist sicherlich ein Paradebeispiel für außergewöhnliche Resilienz. Wir haben nun das Glück, momentan in einer besseren Welt, zu einer friedlicheren Zeit zu leben – und dennoch haben auch wir Erlebnisse zu verarbeiten, Schicksalsschläge zu meistern. Wir müssen mit Niederlagen umgehen, Rückschläge einstecken, privat wie beruflich, sind konfrontiert mit Krankheit und Tod, mit Trennung und Schmerz, Sorgen und Nöten. Denn: Das Leben teilt sich in „Lernphasen“ und „Erholungsphasen“, wie Christoph Schlick, Gründer des Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse und des SinnZENTRUMs Salzburg, es ausdrückt. „Aber wem klar ist, wofür er aufsteht, dem gelingt es! Viktor Frankl zitierte einst Nietzsche: ‚Wer ein Wofür hat, erträgt fast jedes Wie‘. Und da sind wir schon beim Sinn. Wer etwas hat, das ihm wertvoll ist, wofür er brennt, der steht wieder auf. Wichtig ist, dass ich immer wieder hinhorche und hinfühle: Was ist mir denn eigentlich wichtig? Wofür stehe ich in der Früh auf?“ Und mit dem Sinn kommt die Resilienz.

Fotos: deepblue4you; davepeetersphoto – istockphoto.com

Wieder groß werden
Ein schönes Sinnbild für Resilienz ist der Schwamm. Unter dem Druck der Hände gibt er nach und wird klein – doch kaum lässt der Druck nach, kommt er im selben Augenblick in seine Ursprungsform zurück, wird wieder groß. „Für mich ist das ein wunderschönes Bild, das beschreibt, was Resilienz ist. Wir sind wie der Schwamm – Schicksalsschläge, welcher Art auch immer, sind wie die Hände, die den Schwamm zusammendrücken. Die Frage ist: Wie lange dauert es, diesen Druck zu verarbeiten und wieder zur vollen Größe zu gelangen“, erklärt Sabine Reithofer, Unternehmensberaterin, Trainerin und Coach, die unter anderem Resilienz-Trainings anbietet.
Einen Schritt weiter geht Stefan Mandl, Inhaber des Instituts SINN NLP in Salzburg, mit einem Beispiel, wie Resilienz sogar die Performance verbessert – dem Golfball: „Die Performance, dass ein Golfball 250 Meter weit fliegt, kommt nicht aus der Kraft, sondern aus der Resilienzfähigkeit des Materials. Der Golfball wird in dem Moment des Schlags zusammengepresst wie eine Flunder und dehnt sich sofort wieder in unfassbarer Geschwindigkeit aus, ja, beult sich sogar aus. Dadurch entsteht die Power!“
Ein weiteres Sinnbild, mit dem Stefan Mandl gerne arbeitet, wenn es um Resilienz geht, ist die Getränkedose: Diese hält von oben erst einmal großem Druck stand. Kommt der Druck aber von der Seite (im leeren Zustand) knickt sie sofort ein und bleibt in diesem Zustand, kann auch kaum mehr repariert werden, ist nicht resilient. „Diese Beispiele zeigen, dass Resilienz nicht gleichzusetzen ist mit psychischer Widerstandskraft. Die Getränkedose ist anfangs auch stark und hält dem Druck, wenn er von oben kommt, lange stand. Man darf dem Druck ruhig einmal nachgeben, aber: Danach sollte man sich wieder regenerieren können“, so Mandl.
Ob man das schafft und wie lange man dafür braucht, hängt vom persönlichen Resilienzfaktor ab: „Diesen kann man selbst gestalten und trainieren“, weiß Sabine Reithofer. Um diesen Faktor zu „ermitteln“, empfiehlt sie die subjektive Selbsteinschätzung: „Es gibt sieben Säulen der Resilienz, die wesentlich sind, um wieder aufzustehen. Eine Variante, um den Resilienzfaktor zu benennen, ist es, die Ist-Situation jeder dieser Säulen selbst einzuschätzen und auf einer Skala von 1 bis 10 zu bewerten: Wo stehe ich in meinem eigenen Empfinden? Dadurch bin ich schon einmal angehalten, in mich hinein zu spüren, hinzuschauen und mir Ziele zu setzen: Wo will ich hin?“

Sich selbst finden – Resilienz stärken
Um die richtigen Schrauben zu drehen, ist es erst einmal sinnvoll, sich einfach mit sich selbst zu beschäftigen. „Geh in den offenen Diskurs mit dir selbst! Date dich selbst! Gönne dir schöne Stunden, in denen du dich mit dir selbst beschäftigst: Welche Gedanken gehen mir durch den Kopf? Kontrollieren mich meine Gedanken oder ich sie? Das ist wohl das einfachste und beste Rezept: sich mit sich selbst zu beschäftigen!“, weiß Sabine Reithofer.
Auch Stefan Mandl ist der Überzeugung, dass man kontinuierlich an sich und seiner Resilienz arbeiten sollte: „Im Prinzip sind es drei Schritte: Im ersten muss ich mir meiner Thematik, meiner „Antreiber“ bewusst werden. Wie schaut es mit meinem Selbstwertgefühl aus? Wenn ich diesen Punkt gefunden habe, diesen Antreibersatz, der immer wieder bei mir zuschlägt, dann brauche ich im zweiten Schritt Methoden, um im Alltag daran zu arbeiten. Einfach ausgedrückt: Sei nett zu dir! Erkenne deine Leistung an! Sag dir selbst, wie schön oder wie großartig du bist! Unser Unterbewusstsein glaubt viel zu oft, was wir denken oder sagen – hier können wir das einmal positiv nutzen! Und der dritte Schritt ist schließlich, dieses neue Verhalten so zu automatisieren, dass ich es – auch in Stresssituationen – auf Knopfdruck abrufen kann. So entstehen Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein… die Resilienz folgt dann ganz automatisch!“

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Resilienz auf Rezept?
„Resilienz, Selbstheilung, Sinnfindung – dies sind weiche Dinge, die man nicht erzwingen kann“, so Christoph Schlick. „Man hätte am liebsten eine Sinn-Tablette oder eine Resilienz-Salbe. Ganz so simpel ist es nicht – aber es gibt ganz einfache Rezepte: Zum Beispiel einen Moment still zu sein, achtsam zu sein, eine Verbindung mit der Natur einzugehen oder auch negative Situationen in ihre Bestandteile zu zerpflücken und die positiven Aspekte daran zu finden, das sind Rezepte, die resilient machen!“
Nach der Lehre Frankls hat der Körper Selbstheilungskräfte, ist ein resilientes System – wir müssen ihm nur die Chance dazu geben. Und dafür reichen oft Kleinigkeiten: „Ein Gedanke der Logotherapie ist, dass wir immer einen gesunden Kern haben, Frankl nennt das die „Geistige Person“. Und dieser Kern hat die Fähigkeit, aus mir heraus zu treten und aus einer Meta-Position auf mich zu schauen, in Distanz zu gehen. Das muss man aber üben! Zum Beispiel, indem ich mit mehr Humor über mich selbst nachdenke! Ein anderes Beispiel, wie man in Distanz gehen kann, sind kleine „Aussteiger“. Sagen Sie in einer Stresssituation doch einfach nur einmal das Wort ‚Interessant‘. Damit ist schon eine Distanz geschaffen und Sie können die Situation neu bewerten.“
Ähnlich funktioniert in den USA die „First Aid Toilet“ – auf die Toilette zu gehen, ist immer erlaubt – und hilft in Stresssituationen, tief durchzuatmen und sich zu sammeln.

Die ewige Suche nach dem Sinn
Frankl wusste: Die Fragen nach dem Lebenssinn eines Einzelnen kann niemand beantworten. Man kann nur helfen zu entdecken, welcher Sinn in den einzelnen Situationen des Tuns liegt. „Nehmen wir an, eine Situation, die wir erleben, ist nicht gut. Dann ist es hilfreich zu fragen: Ist wirklich mein ganzer Job, meine ganze Beziehung, … mühsam? Es zahlt sich aus, genauer hinzuschauen und zu splitten – so entdeckt man die Aspekte, die sehr wohl gut an einer Situation sind. Und der Sinn, der liegt in den kleinen Dingen!“

Warum aber ist Resilienz gerade in unserer Zeit ein so großes Thema?
Die Umstände waren doch wahrscheinlich noch nie so günstig, um erfolgreich und glücklich zu sein. „Wir leben in der Luxussituation, uns über viele Dinge keine Gedanken machen zu müssen, sämtliche Bedürfnisse, die niederschwelliger sind, sind bereits befriedigt. Das Schöne daran: Wir wollen daran arbeiten, ein schönes Leben zu haben, schöne Beziehungen, Sinn zu finden. Die Denkprozesse finden jetzt statt, weil es uns gut geht“, meint Sabine Reithofer.
Andererseits waren wir auch noch nie so sehr unseres eigenen Glückes Schmied und dadurch eben auch unseres eigenen Unglücks Schmied. Es gibt keine Ausreden mehr – und der Druck steigt!
Der Druck steigt aber auch durch die gesellschaftliche Entwicklung, wie Stefan Mandl meint: „Wir Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen den Austausch, wir müssen mit anderen in Resonanz gehen – und das bedeutet, etwas zu geben und etwas zu bekommen. Wenn man nun mit einem „leeren Gefäß“ in Resonanz geht, kann man nichts zurück bekommen und wird innerlich immer leerer. Solch leere Gefäße sind für mich zum Beispiel Facebook, Instagram usw. Der Versuch, etwas zu geben, ohne dass etwas Substantielles zurück kommt, führt dazu, dass die Menschen immer weniger Sinn in dem sehen, was sie machen.“
Auch Christoph Schlick sieht den Druck, vor allem aber die Geschwindigkeit, die unser Leben vorantreibt, als Mitgrund für die vermehrte Suche nach Sinn und Erfüllung: „Das Tempo ist so hoch geworden, der Druck viel größer und uns erreicht jetzt der Gegenschlag des Pendels: ‚Das kann doch nicht alles sein! Dieser Leistungsdruck, das rasche ökonomische Wachstum – ist es das wirklich?‘ Darüber ist das Gefühl, dass das, was ich tue, sinnvoll ist, verloren gegangen. Wir haben nur noch wenige Momente, an denen wir wirklich das Gefühl von Geborgenheit spüren, von Angekommen-Sein. Ja, wir haben einen hohen Standard erreicht, aber es fühlt sich nicht gut an. Wir brauchen Modelle, wie wir dies kombinieren können: den Standard beizubehalten und trotzdem entschleunigter zu leben.“

Foto: Susi Graf

Stefan Mandl hat das Neurolinguistische Resilienztraining entwickelt.

Foto: Sabine Reithofer

Sabine Reithofer bietet Resilienztrainings an

Foto: Christoph Schlick

Christoph Schlick, Gründer des SinnZENTRUMs Salzburg


Viktor E. Frankl
… trotzdem Ja zum Leben sagen – Psychologe erlebt das Konzentrationslager.

Denis Mourlane
Resilienz – Die unentdeckte Fähigkeit der wirklich Erfolgreichen.

Christoph Schlick
Was meinem Leben wirklich Sinn gibt – Die wichtigsten Lebensfragen klären.

Die sieben Säulen der Resilienz
Resiliente Menschen zeichnen sich durch hohe Werte in diesen sieben Faktoren aus (nach Dr. Karen Reivich und Dr. Andrew Shatté):

  1. Emotionssteuerung: Als negativ empfundene Gefühle werden als solche wahrgenommen und Maßnahmen gesetzt, dass sie positiv oder zumindest neutral empfunden werden. Dinge, die Druck ausüben, nicht sofort als negativ auffassen, sondern erst einmal neutralisieren, aus der Vogelperspektive betrachten.
  2. Impulskontrolle: Erste Impulse werden bewusst und effektiv gesteuert, insbesondere in Stresssituationen, ohne sich davon ablenken zu lassen.
  3. Kausalanalyse: Bei einem emotional erlebten Zustand wird der Grund dafür identifiziert, um die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, damit es einem wieder bessergeht und auch, um immer wiederkehrende Fehler zu vermeiden, Muster aufzulösen und keine Ressourcen zu verschwenden.
  4. Empathie: Sich in andere hineinzuversetzen hilft, die Perspektive zu wechseln.
  5. Realistischer Optimismus: die Haltung, dass Dinge sich zum Positiven wenden werden, allerdings basierend auf tatsächlichen Umständen und mit einem ehrlichen Blick auf die Realität. (Lösungs-orientierung statt Problemorientierung)
  6. Reaching-Out/Zielorientierung: Wer resilient sein will, braucht klare Ziele vor Augen, lässt sich von Rückschlägen nicht zu schnell entmutigen, weiß aber auch, wann es an der Zeit ist, ein Ziel aufzu-geben, um sich einem anderen zuzuwenden.
  7. Selbstwirksamkeitsüberzeugung: die Überzeugung, dass man sein eigenes Schicksal in der Hand hält und durch eigenes Zutun sich selbst und die Situation verändern kann. „Ich bin nicht Opfer, ich bin Schöpfer meiner Welt!“
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Christoph Schlick über Viktor E. Frankl und die Logotherapie