Natürliche Schönheit

Text: Andreas Feichtenberger

Fotos: Andreas Feichtenberger, Tourism Nova Scotia; Robert Klein - istockphoto.com

Karibische Strände, romantische Leuchttürme, glitzernde Seen, unberührte Natur – auf Nova Scotia kommen Ruhesuchende voll auf ihre Kosten, zumindest wenn sie das wollen. Wer Action sucht, reitet in Kanadas zweitkleinster Provinz einfach auf der weltgrößten Gezeitenwelle, beobachtet einen der schnellsten Wale der Welt oder paddelt auf dem Atlantik.

Neuschottland, eine kleine Halbinsel vor der Ostküste Kanadas, sucht sich ihren Platz in der Hitliste der touristischen Reiseziele. Noch kann Nova Scotia als Geheimtipp bezeichnet werden, denn das maritime Flair, die menschenleeren Strände, die unendlichen Wälder, die sich vor allem im Herbst in ein farbenprächtiges Blättermeer verwandeln, und die ebenso vertraute wie fremde Kultur stehen aktuell noch im Schatten der zahlreichen großen Nationalparks Kanadas. Nachvollziehbar ist es nicht, denn die Atlantikprovinz zählt mit Sicherheit zu den Natur-Highlights der nordamerikanischen Ostküste und eignet sich perfekt für eine unvergessliche Rundreise. Wir absolvierten sie in einem Wohnmobil.

Maritimes Städtchen
Starten lässt es sich am besten in der Hauptstadt von Neuschottland, in Halifax. Mit seinen 400.000 Einwohnern ist die Stadt überschaubar. In zwei Tagen lassen sich die wichtigsten Sehenswürdigkeiten zu Fuß gemütlich besichtigen – dazu zählen der historische Hafen, die Festung Halifax Citadel, die auf einem Hügel über der Stadt thront, das Maritime Museum of the Atlantic, das die größte Sammlung an Titanic-Funden beherbergt oder auch eines der zahlreichen Fischrestaurants und Pubs – allen voran die Alexander Keith’s Brewery, deren Gründer schon eine Art Nationalheld von Halifax geworden ist. Eine ebenso unterhaltsame wie spannende Möglichkeit, die Stadt zu erkunden, sind die Harbour Hopper Tours. Mit Amphibienfahrzeug geht es zuerst zu Land und später zu Wasser quer durch Halifax. Einen Abstecher ist auch der Fairview Cemetery wert. Auf dem Friedhof ruhen 121 Opfer der Titanic-Katastrophe, von denen einige niemals identifiziert wurden – auch J. Dawson ist hier begraben, der Cameron einst zu seinem Film inspiriert haben soll und die Stätte zu einer Art Wallfahrtsort für Filmfans macht.

Geschützte Sterne
Halifax ist aber bei weitem nicht die einzige Stadt, die die Besucher in ihren Bann zieht. Etwas südlich davon befindet sich das wahrscheinlich berühmteste Fischerdorf der Halbinsel, Peggy’s Cove. Wenn man Touristen trifft, dann dort und zwar in rauen Mengen. Busweise werden hier Besucher angekarrt und verhelfen dem Städtchen so zu weltweiter Berühmtheit. Warum man es trotzdem nicht auslassen darf? Wer einmal den Leuchtturm auf den weißen Felsen, umgeben von tosenden Wellen, vor die Linse bekommen hat, wird diesen Moment nicht mehr vergessen. Hinzu kommen die vielen bunten Häuser, die malerischer nicht hätten platziert werden können. Im kleinen Hafen schunkeln einige wenige Fischerboote in den Wellen. Die Touristen sind so schnell vergessen, wie sie bei der Ankunft verflucht wurden. Noch einige Kilometer weiter im Süden stößt man auf den Ort Lunenburg, der heute zum UNESCO Weltkulturerbe zählt. Wer durch die Gassen schlendert, fühlt sich zurückversetzt in ein anderes Jahrhundert. Die vielen farbenprächtigen Holzfassaden, mit den pittoresken Holzschildern vor den Türen, die leicht in der Meeresbrise schaukeln, machen Lunenburg zur wahrscheinlich schönsten Stadt der Provinz. Am Hafen lässt es sich in der Abendsonne frisch gefangenen Hummer und viele andere Meeresspezialitäten genießen, in den zahlreichen Souvenir-Läden finden selbst die anspruchsvollsten Shopper das perfekte Mitbringsel.

Wer gerne Whisky und Co. verkostet und außergewöhnliche Tropfen schätzt, ist bei der Ironworks Distillery in Hafennähe gut aufgehoben. Apropos Brennerei: Die bekannteste, die Glenora Distillery, befindet sich im Norden von Nova Scotia, auf Cape Breton Island, das wir später noch besuchen. Bevor es aber in den Norden geht, muss noch eine Nacht im Kejimkujik-Nationalpark verbracht werden, ein paar Kilometer südlich von Lunenburg. Der Sternenhimmel dort ist einzigartig. Nicht ohne Grund wurde die Region zum Lichtschutzgebiet ernannt – einfach auf den Rücken legen, staunen und auf gutes Wetter hoffen. Apropos staunen: Ganz in der Nähe des Nationalparks befindet sich der Carters Beach. Wenn man es nicht besser wüsste und das kalte Wasser uns nicht eines Besseren belehren würde, man könnte glauben, an einem Strand in der Karibik zu stehen – ein absolutes Must.

3 Meter Wellen
Nun geht es Richtung Cape Breton. Die Region ist vor allem durch den Cabot Trail berühmt geworden. Diese Küstenstraße führt auf 300 km um die Nordspitze der Halbinsel und zählt zu den schönsten der Welt. Hier treffen sich Biker, Autofahrer, Camper und Wanderer. Kein Nova Scotia-Reisender lässt diese Etappe aus. Höhepunkt ist der Cape Breton Highlands Nationalpark. Die Straße ist im Sommer also durchaus stark befahren, die Touristenströme ver-teilen sich aber ganz gut. Am Weg zum Highlight Neuschottlands passieren wir aber noch eine weitere Besonderheit – the Bay of Fundy. Zwei Mal am Tag bewegen sich in dieser gewaltigen Bucht 160 Milliarden Tonnen Wasser rein und wieder raus. Das ist mehr als das Wasser aller Süßwasserflüsse der Welt zusammengerechnet. Und genau das beschert der Bay of Fundy einen einzigartigen Rekord: die höchsten dokumentierten Gezeiten der Welt, denn der Unterschied zwischen Flut und Ebbe kann bis zu 16 Meter betragen. Das machen sich die Kanadier natürlich zunutze. Die starken Gezeitenbewegungen locken nämlich riesige Meeressäuger an, die hier tonnenweise Futter finden – Wale. Unter ihnen auch der Finnwal, der zweitgrößte und einer der schnellsten der Welt. Die meisten Anbieter von Touren sind sich ihrer Sache so sicher, dass sie für Walsichtungen einfach einmal eine Garantie abgeben. Und auch der Abenteuertourismus hat hier eine sichere Geldquelle gefunden: Tidal Bore Rafting. Hier gibt es mit mehr als 3,5 Meter Höhe die größten Gezeitenwellen auf der ganzen Welt. Mit einem kleinen Motorboot, einem Zodiac, geht es hinaus aufs Wasser. Was gemütlich, fast langweilig beginnt, entpuppt sich nach ein paar Minuten als ein Abenteuer, das man mit Garantie sonst nirgendwo erleben kann – das rechtfertigt letztlich auch den vergleichsweise wirklich hohen Preis.

Elch-Paradies
Also geht es weiter nach Norden Richtung Cape Breton. Wir passieren einige Strände beispielsweise im Five Islands Provincial Park oder auf Caribou Island. Die Strände hier haben alle eine Gemeinsamkeit: Sie sind wunderschön, gezeichnet von den Gezeiten und meistens menschenleer. Endlich erreichen wir den Cape Breton Highlands Nationalpark, berühmt für seine einzigartige Flora und Fauna. Er ist übersät mit kurzen und langen Wanderwegen, der berühmteste von ihnen ist der Skyline Trail, an dessen Ende man mit einem fantastischen Blick auf den Atlantik und den Cabot Trail belohnt wird. Wer sich auf den Touren ruhig verhält, hat gute Chancen Koyoten, Weißkopfseeadler, Bären und vor allem Elche zu sehen. Wer in der Abenddämmerung mit dem Wagen durch den Nationalpark fährt, muss schon ein außergewöhnlicher Pechvogel sein, wenn er keinen Elch zu Gesicht bekommt. Auch auf Cape Breton gibt es zahlreiche Möglichkeiten zur Walbeobachtung, die wir genutzt haben und eine riesige Familie von Pilotwalen begleiten durften. Und auch hier wurden wir in puncto Strand wieder fündig, im Cabots Landing Provincial Park. Endlose Sanddünen, strahlender Sonnenschein – aber leider auch viele Quallen.
Vom nördlichsten Punkt unserer Reise ging es also wieder Richtung Süden. Ein kurzer Stopp in der Festung Louisbourg, dem größten Renovierungsprojekt von Nordamerika. In der französischen Festungsstadt des Jahrhunderts wird Geschichte wieder lebendig. Echte Schauspieler gehen hier ihrem Tagwerk nach und da kann es auch schon mal passieren, dass man von Soldaten angehalten und kontrolliert wird oder dass man Zeuge einer Schlägerei wird – also besser keinen Widerstand leisten. Kurz vor Halifax treffen wir auf das verschlafene Örtchen Sherbrooke und entdecken mehr durch Zufall ein kleines Juwel: Sherbrooke Village, ein Original-Dorf aus den 1860er Jahren, in dem das Leben von damals nachgestellt wird – quasi Louisbourg im Kleinformat. Von hier ist es letztlich nur mehr ein Katzensprung nach Halifax.
Ein letzter Abend in einem der Restaurants an der Strandpromenade, mit dem Nationalgericht Hummer und dem Blick auf den glitzernden Ozean.