Mein wilder Garten

Den eigenen Garten wieder wild werden zu lassen, hat nichts damit zu tun, ihm keine Beachtung zu schenken, denn um Tieren und Insekten etwas Gutes zu tun, bedarf es vor allem zweierlei Dingen: einem genauen Hinschauen, was gebraucht wird und dem Loslassen von zu viel Ordnung. Belohnt wird man dafür mit einem Garten, der vor lauter Leben brummt.
Text: Dominic Schafflinger
Fotos: Anita Himmer, Florian Thaller, Adobe Stock

In Anita Himmers Garten summen unzählige Bienen durch die Luft: „Keine Angst, die stechen nicht, die Männchen der Wildbienen haben nicht mal einen Stachel“, meint sie und hat schon ein Bienenmännchen auf der Hand sitzen: „Die erkennt man daran, dass sie einen kleinen weißen Bart haben.“ In der Käferburg krabbeln die ersten Bockkäfer herum und am Tümpel zeigt sich eine Libelle. „Zu jeder Jahreszeit ist hier etwas anderes los, man muss sich nur die Zeit nehmen, genau zu beobachten und natürlich ein Ökosystem schaffen, in dem sich alle Tiere möglichst wohlfühlen.“

Naturgärten zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen viele heimische Pflanzen wachsen und Insekten, Vögel, Reptilien und kleine Säugetiere optimale Bedingungen vorfinden. Das setzt eine gewisse Wildheit voraus, denn ein Garten bestehend aus englischem Rasen, Pool und Kirschlorbeerhecke sperrt Nützlinge und seltene Tierarten aus. Dem entgegen stehen Wildblumenwiese, Naturteich und eine Hecke aus heimischen Stachelgehölzen. „Aber es geht hier nicht um Entweder-oder“, erklärt Gartenflow Gründer Florian Thaller, „sondern darum, kleine Änderungen umzusetzen, jeder geht so weit in Richtung Naturgarten, wie er selbst dazu bereit ist. Aber jeder Schritt hilft, um unsere Artenvielfalt zu unterstützen und zu bewahren.“

Ein kleines Stück Natur

„Jeder kann einen kleinen Beitrag zu mehr heimischer Natur leisten“, ist sich Anita sicher. Sie empfiehlt, mit heimischen Blumen zu beginnen: „Meine Tipps für den Garten sind die Stinkende Nieswurz, die gar nicht so schlecht riecht. Wollziest und Lungenkraut, das sich an halbschattigen Plätzen wohlfühlt, schaffen Lebensraum für Bienen und Glockenblumen bieten spezialisierten Arten Nahrung.“

Unerlässlich, um mehr Natur in den Garten zu lassen, ist das wilde Eck. „Man entfernt höchstens im Frühling kurz vertrocknete Triebe oder kürzt Gräser und Stauden, ansonsten lässt man wachsen, was wachsen will“, erklärt der Garten-Flo(rian): „Pflanzen wie Brennnessel, Beinwell oder Gundelrebe können sich hier ungehindert entfalten.“ Aber der Gärtner lässt auch eingewanderte Pflanzen, sogenannte Neophyten, ihren Platz: „Bärenklau oder indisches Springkraut blühen lange und geben viel Nektar für Bienen ab. Außerhalb des wilden Eckes müssen diese aber in Zaum gehalten werden, um nicht den ganzen Garten zu erobern.“ Ein weiteres kleines Natur-Eck ist der Dachgarten am Müllhäuschen. „Wer es nach dem Steingartenprinzip mit Hauswurz, Thymian und Felsennelke bepflanzt, muss nie gießen“, empfiehlt Anita und gibt noch einen Tipp für trockene Flecken, an denen nichts richtig wächst: „Das ist der perfekte Standort für Klatschmohn. Er hat keine Ansprüche und verwandelt sich im Sommer in ein Blütenmeer.“

Komposthaufen gehören ebenfalls zum Naturgarten, weil sie den Grundsatz unterstützen, möglichst wenig aus dem Garten zu entfernen und kaum etwas von außen einzubringen. Kompostierte Pflanzenreste dienen Kleinstlebewesen als Nahrung und liefern als nährstoffreiche Erde natürlichen Dünger für den gesamten Garten.

Tipp von Anita Himmer, Blühflächenbeauftragte der Gemeinde Henndorf und Expertin für naturnahe Gärten und Insektenhotels:

„Ein alter Sandkasten kann ganz einfach in ein Bienen-Sandarium umfunktioniert werden, die Ecken können abgegraben und mit Kies befüllt werden und um die Holzbalken werden Steine aufgeschlichtet, so wird er zum wertvollen Wohnraum.“

Ab durch die Hecke

„Forsythie, Bauernhortensie, Thujen und Kirschlorbeeren sind ökologisch betrachtet tote Zonen, sie bieten weder Nahrung noch Lebensraum und verstärken die Artenarmut“, erklärt Gärtnermeister Florian: „Schöne Lebensbringer sind Zaubernuss, Mönchspfeffer und die Felsenbirne.“ Für die Hecke gibt es noch viele andere heimische Möglichkeiten, wie grüne Berberitze, rote Heckenkirsche oder Weißdorn. Dieser ist ein besonders mystischer Dornenstrauch. Die alten Germanen betrachteten ihn als Schutzpflanze für Haus und Garten und die Kelten sahen ihn als Heimstatt für Feen und Elfen, dessen weißen Blüten im Mai und Juni verzaubern. Für Indian Summer Feeling sorgt der Scharlachweißdorn. Der Dirndlstrauch blüht im Frühjahr prachtvoll, liefert vielen heimischen Insekten Nahrung und trägt essbare Früchte, er ist ideal, um Hänge abzusichern. „Der Geheimtipp lautet Mischhecke statt Monokultur, so gibt’s das ganze Jahr immer was zu sehen und zu ernten“, verrät Florian.

Während viele Sträucher unterschiedlichste Insekten anziehen, gibt es auch solche, die von Spezialisten bewohnt werden, so kann man sich seltene Schmetterlinge in den Garten holen. Faulbaum und Kreuzdorn sind die einzigen Futterpflanzen für die Raupen des Zitronenfalters und das Tagpfauenauge benötigt die Brennnessel, um ihre Eier abzulegen.

Vom Rasen zur Blumenwiese

Tipp von Gärtnermeister Florian Thaller: Samensäckchen beim Rewisa-Netzwerk bestellen, diese haben einen hohen Blühpflanzenanteil. In regnerischen Perioden bis Mitte April oder ab September säen spart regelmäßiges Gießen.

Ein kurzer grüner Rasen hat seine Berechtigung immer dort, wo die Kinder spielen oder man viel unterwegs ist, andere Plätze können ruhig etwas wilder sein. „Für die naturbelassene Blumenwiese sollte man auf das Mähen verzichten und aufhören zu düngen. „Schafgarbe, Königskerzen, Ehrenpreis, Spitzwegerich, Wiesenknopf und vieles mehr kauft man in der Gärtnerei und setzt es einfach ein. Am besten schaut man, was um den Garten herum wächst“, verrät Gartenmeister Florian und Expertin Anita ergänzt: „Wer erfolgreich Blumensamen säen möchte, muss erst den Rasen abtragen oder ordentlich vertikutieren, dass die Blumensamen wirklich in den Boden gelangen.“ Darauf zu warten, bis sich der Rasen von selbst in ein Blumenmeer verwandelt, braucht hingegen viel Geduld, denn in der Natur geht nichts von jetzt auf gleich.

Ein Heim für Tierchen und Tiere

Wer viel Nahrung für Insekten schafft, sollte nicht vergessen, ihnen auch gleich ein Heim zu geben, denn beides gehört im Naturgarten zusammen. Ein idealer Einstieg ist das Bienenhotel. Dieses kann man kaufen oder selbst aus Hartholz, Pfeifenstrauch und Bambus bauen. Wichtig ist, das Bienenhotel wetterabgewandt und trocken aufzustellen. Nur ein Viertel der Wildbienen lebt in Röhren, der Großteil legt seine Larven in Kies oder Sand, ein Sandarium bietet somit vielen weiteren Arten ein Zuhause. „Wenn dort aber Ameisen einziehen, kommt sicher keine Biene mehr,“ gibt Florian Thaller zu bedenken.

Für Käfer eignet sich eine Käferburg aus eingegrabenen Baumstämmen, in die sie ihre Gänge bohren – später besiedeln Pilze die alten Löcher. Auch liegendes Altholz oder Reisig bietet Insekten, Bienen und Käfern Unterschlupf. Wer es strukturierter mag, legt eine Benjes Hecke an, die zugleich als Naturhecke dient.

Diese Behausungen locken auch Reptilien, Vögel und kleine Säugetiere an, die sich von Insekten ernähren. So finden sich Eidechsen in der Käferburg, Igelfamilien in der Benjes Hecke und Vögel genießen ihr Festtagsbuffet. Mit künstlichen Nistplätzen für Meisen, katzensicher angebracht, lockt man diese langfristig in den eigenen Garten. „Die fleißigen Vögel sammeln Unmengen an Obstbaum-Schädlingen für ihre Jungen ein“, verrät Anita Himmer.

Wasser ist Leben

Als Letztes gilt es, einen Tümpel oder Naturteich anzulegen, damit alle Bewohner genug zu trinken haben. Wer dafür kein Plastik in der Erde vergraben will, für den gibt es eine fast vergessene Möglichkeit, informiert Florian: „Getrocknete Lehmziegel, in der gewünschten Form eingeschlämmt, sind komplett nachhaltig. Aber auch aus Holzfässern oder alten Badewannen lässt sich ein Feuchtbiotop anlegen.“ Damit Regenwassertümpel nicht zuwachsen, setzt man auf heimische Wasserschnecken und bei größeren Teichen spielt die richtige Bepflanzung eine entscheidende Rolle. Steine und Äste als Ausstiegsmöglichkeiten für Insekten dürfen auch nicht fehlen.

Unsere Artenvielfalt wird durch Monokulturen, Pestizide und Düngemittel immer mehr eingeschränkt. „Die Privatgärten sind die größte Hoffnung für die Artenvielfalt. Zusammen sind sie eine riesige Fläche und jeder Quadratmeter zählt“, so Anita, die sich seit Jahren für mehr Natur im Garten einsetzt: „Naturgärten haben den Vorteil, dass sie sich besonders gut für den Gemüse- und Obstanbau eignen, da genügend Nützlinge vorhanden sind, die Schädlingsbefall bekämpfen und man seinen Naturdünger selbst produziert. Aber am schönsten ist es immer noch, einfach aufmerksam zu beobachten, wie das Leben im eigenen Garten brummt und summt. Es ist eine kleine, aber unglaublich faszinierende Welt.“