Kinderlos? Kinderfrei!
Text: Doris Thallinger
Fotos: Antonioguillem, deagreez - stock.adobe.com, Reinhard Mayr, Luiza Puiu
Ich möchte keine Kinder bekommen. Ein einfacher Satz, eine ureigenste persönliche Entscheidung – sollte man meinen. Menschen, die sich für ein kinderfreies Leben entschieden haben, schlägt nach wie vor oft Unverständnis entgegen. Manchmal gar Anfeindungen, Neid und Vorurteile.
Wir leben in einer wunderbaren Zeit, genießen – auch als Frauen – das Privileg, selbstbestimmt darüber entscheiden zu dürfen, ob wir Nachwuchs in diese Welt setzen oder nicht. Oder? Wagen Sie das Experiment – tun Sie in einer Runde kund, bewusst und aus absolut freien Stücken, ein Leben ohne eigene Kinder führen zu wollen! Die Reaktionen fallen sehr unterschiedlich aus: Da ist der mitleidsvolle Blick aus den (übernächtigten) Augen einer mehrfachen Mutter, das hämische Grinsen eines Mannes im besten Alter („Die hat wohl keinen abgekriegt“), das entrüstete und ungefragte Statement eines Weltverbesserers, der meint, Sie tragen Schuld am Aussterben der Menschheit – oder zumindest an der Alterung unserer Gesellschaft („Wer soll denn einmal deine Rente zahlen?“).
Ja, der gesellschaftliche Druck für Kinderlose ist enorm, kein Wunder, propagieren Politik, Kirche und Gesellschaft selbst in unseren aufgeklärten Zeiten das althergebrachte Modell der Kleinfamilie als heiligen Gral. Frischfröhlich wird Muttersein mit Weiblichkeit gleichgesetzt, das Bildnis der kinderlosen Frau ist entweder das der verhärmten Jungfrau, der eiskalten Karrierefrau, der egoistischen Hedonistin oder der armen Kreatur, bei der es halt nicht klappen wollte. Tatsächlich existieren so gut wie keine positiv besetzten Vorbilder für ein glückliches Leben ohne Kinder.
Wider die Natur?
Bleiben Männer von diesem Argument noch einigermaßen verschont, muss Frau es sich gefallen lassen, als „nicht normal“ abgestempelt zu werden. Immerhin habe es die Natur vorgesehen, dass Frauen Kinder gebären, dass Menschen sich reproduzieren und so unsere Spezies vor dem Aussterben bewahren. Nun ja… was die Natur vorgesehen hätte, weiß heute so ziemlich jede Frau in der Ersten Welt zu verhindern: „Wenn wir von Natürlichkeit sprechen, wären das zwölf bis 15 Schwangerschaften im Leben einer Frau“, erklärt DDr. Christian Fiala, Leiter des Gynmed Ambulatoriums in Wien und Salzburg, „hier steht der individuelle Wunsch gegen den Druck der Natur.“ Er erkennt einen Trend in Richtung selbstbestimmtem Leben ohne Kinder: „Es ist mittlerweile ein beträchtlicher Prozentsatz an Frauen, die sagen, ich möchte meinen Lebensweg gehen, nach meinen Vorstellungen und Interessen.“ Jedenfalls plädiert er dafür, die Entscheidung für ein Kind gut zu reflektieren und abzuwägen und zitiert: „Lebe dein Leben, bevor du das Leben eines Kindes beginnst!“
Jede fünfte Österreicherin ohne Nachwuchs
Konkret blieben 19,2 Prozent der heute rund 50-jährigen Frauen in Österreich ohne Kinder. Die höchste Kinderlosigkeit europaweit verzeichnet Deutschland mit 23,8 Prozent (EU-Durchschnitt 18,5 %). Generell macht sich in den deutschsprachigen Ländern eine hohe Kinderlosigkeit bemerkbar. Die Gründe dafür sind naheliegend, erläutert Caroline Berghammer vom Institut für Soziologie der Universität Wien und vom Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: „Einer der Gründe, warum die Anzahl der kinderlosen Frauen steigt, liegt in der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesen Ländern. Besonders hart trifft es Frauen, die gute Karrierechancen in Aussicht haben, die in ihrem Job eine hohe Autonomie erleben und diesen als sehr erfüllend wahrnehmen. Die höchsten Anteile an kinderlosen Frauen verzeichnen die Berufsgruppen der Sozialwissenschaftlerinnen und Journalistinnen, generell Berufe, in denen es aufgrund der prekären Arbeitsbedingungen schwierig ist, langfristig zu planen und in denen Druck und Anforderungen sehr hoch sind.“ Zudem sei in unseren Breitengraden die Norm „einer guten Mutter“ sehr hoch angesetzt. „Von Müttern wird erwartet, sehr viel Zeit mit Kindern zu verbringen, zumindest zwei Jahre zuhause zu bleiben. Wer sein Kind einer externen Betreuung anvertraut, wird oftmals schief angesehen, eine Vollzeit erwerbstätige Mutter hat immer noch mit fehlender Akzeptanz zu kämpfen. Auch dieser Aspekt fließt mit in die Entscheidung ein.“
Der Unterschied in der Kinderlosigkeit zwischen höher und niedriger ausgebildeten Frauen ist in Österreich (im Vergleich zu anderen Ländern) besonders ausgeprägt. Rund 30 % der tertiär gebildeten Frauen (sogar 45 % der Professorinnen) bleiben kinderlos im Vergleich zu rund 15 % unter den mittel und niedriger gebildeten Frauen.
Dabei planen in jungen Jahren nur wenige explizit, keine Kinder zu bekommen: 5,8 % der 20-24-Jährigen gaben in Österreich Mitte der 1990er an, kinderlos bleiben zu wollen. Tatsächlich kinderlos blieb in Österreich jedoch schließlich ein sehr viel höherer Anteil von rund 20 %. „Gründe für Kinderlosigkeit gibt es vielerlei, jedoch passiert es selten, dass junge Menschen bereits bewusst die Entscheidung treffen, keine Kinder zu wollen“, weiß Caroline Berghammer, „dass diese dann kinderlos bleiben, ergibt sich aus einem langfristigen, komplexen Prozess. Erst steht die Ausbildung im Vordergrund, bzw. der Start in die Berufslaufbahn, auch die Partnerschaft spielt eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, Kinder zu bekommen oder nicht. Darüber hinaus darf man die Fruchtbarkeit nicht überschätzen: Ab 35 Jahren wird es für Frauen zunehmend schwieriger, schwanger zu werden, was vielen nicht bewusst ist.“ Was jedoch nicht bedeutet, ab einem gewissen Alter „sicher“ zu sein, wie Christian Fiala betont: „Die Fruchtbarkeit nimmt zwar ab, Frauen können aber dennoch bis zum Wechsel schwanger werden!“
Die Suche nach dem Glück?
In ihrem Buch „Die K-Frage – Was es heute bedeutet, (k)ein Kind zu wollen“ beschäftigt sich Johanna Dürrholz unter anderem damit, was einem Kinderwunsch (oder eben dem Fehlen desjenigen) zugrundeliegt: Bekamen Menschen in den vergangenen Jahrhunderten Kinder, um sich wirtschaftlich abzusichern, um das Feld zu bestellen, um eine Altersvorsorge zu haben und, natürlich, weil sie nicht verhüten konnten, so haben sich die Gründe in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt und liegen heute mehr im emotionalen Bereich. Und dennoch: Selbst heute definiert für manche die Elternschaft auch den Status in der Gesellschaft.
„Aus der Perspektive der Gattung ist vollkommen klar, warum Menschen Kinder bekommen. Aus der Perspektive des Individuums ist es allerdings rätselhafter, als man meinen könnte“, zitiert Sarah Diehl in ihrem Buch „Die Uhr, die nicht tickt“ die Anthropologin Jennifer Senior. Demnach gebe es eine große Diskrepanz zwischen den oft idealisierten Erwartungen, dem vermeintlichen Glücks- und Sinnversprechen, das mit Kindern einhergeht, und den tatsächlichen Anforderungen und Belastungen, mit denen man in der Elternrolle konfrontiert ist. In vielen Studien wurden bereits Glück und Zufriedenheit im Vergleich Kinderloser zu Eltern untersucht. Und dabei sind es nicht unbedingt die Eltern, die in Sachen Glück und Zufriedenheit überlegen sind! Eine Langzeitstudie der Universität Princeton mit knapp 3 Mio. Befragten kam zu diesem Schluss, dass sich Nachwuchs nicht positiv auf die Paarbeziehung auswirkt – eher im Gegenteil. Bernhard Riederer (Institut für Demographie der Österreichischen Wissenschaften & Institut für Soziologie der Universität Wien) kommt im Zuge seiner Forschung zum Thema Elternschaft und Wohlbefinden zu dem Schluss, dass es sowohl positive als auch negative Effekte gibt: so sind Kinder im Durchschnitt gesehen (!) nicht besonders ausschlaggebend für Glück und Wohlbefinden. Der Zusammenhang zwischen Elternschaft und Wohlbefinden variiert systematisch. Eher negative Auswirkungen zeigen sich bei sehr früher Elternschaft, einer höheren Anzahl an Kindern (3 oder 4) und bei Alleinerziehenden mit geringem Einkommen.
„Während niemand ernsthaft auf die Idee käme, von Frauen oder Paaren eine Begründung zu verlangen, warum sie ein Kind bekommen, werden Kinderlose permanent aufgefordert, sich für ihren Lebensentwurf zu rechtfertigen. Unterschwellig, manchmal auch ganz unverhohlen, wird unterstellt, ein Dasein ohne Kind sei Ausdruck der Unfähigkeit, Verantwortung zu leben, und mithin Sinnbild der wachsenden Entsolidarisierung der Gesellschaft.“
Sarah Diehl, in: Die Uhr, die nicht tickt.
Reflektierte Entscheidung
Ein Kind zu bekommen (oder eben nicht), ist wohl die weitreichendste Entscheidung im Leben. Ohne Kompromisse, irreversibel und zu 100 % lebensverändernd, sollte diese gut durchdacht sein – und schlussendlich aus den richtigen Gründen gefällt werden. Kinder sind weder Sinn- noch Identifikationsstifter, wie Sarah Diehl festhält, sie kitten keine Beziehungen, sind nicht das Heilmittel für eigene Probleme oder Projektionsfläche für eigene versäumte Chancen und Träume. Sie sind auch nicht der Garant dafür, im Alter bestens versorgt zu sein. Sie sind menschliche Wesen mit Bedürfnissen und Ansprüchen, die den Eltern auch viel abverlangen.
Die Hintergründe eines Kinderwunsches, aber auch der Entscheidung, kinderfrei bleiben zu wollen, sind von größter Bandbreite, zutiefst persönlich und individuell. Eine Entscheidung, die jeder für sich zu tragen hat, samt aller Konsequenzen, und die auch kein anderer zu bewerten hat. Insofern wäre ein wenig mehr Akzeptanz und Toleranz wünschenswert – auf beiden Seiten!
Eine Betrachtung zum Thema gewollter Kinderlosigkeit schlägt neuerdings Wellen: Kinderlos der Umwelt zuliebe. Johanna Dürrholz beschreibt die großbritannische Bewegung „Birthstrike“ als junge Frauen, die sich bewusst dafür entscheiden, keine Kinder zu bekommen, um so das Klima zu retten. Eine Studie der schwedischen Forscher der Universität Lund besagt, dass 58,6 Tonnen CO2 eingespart werden, wenn ein Kind weniger zur Welt kommt. Laut Sarah Diehl ist auch ein Forscherteam der Universität von Oregon zu dem Ergebnis gekommen, dass die Entscheidung, kein Kind zu bekommen, einen 20 Mal höheren Effekt auf eine positive Umweltbilanz mit sich bringt, als konsequent zu recyclen, ein Hybridauto zu fahren, Strom und Wasser zu sparen etc. Eine große Auswirkung auf die Geburtenraten erwartet Caroline Berghammer jedoch nicht: „Ich bin skeptisch, wenn man bedenkt, wie viel einfacher es ist, Vegetarier zu werden, und wie wenige Menschen zugunsten des Klimas auf Fleisch verzichten.“
Bleibt nun also die Frage stehen: Handeln Kinderlose oder Eltern egoistischer? Sollte man tatsächlich die Menschen, die keine Kinder wollen, dafür bestrafen, dass sie nicht nach vorherrschenden gesellschaftlichen Normen leben? Denn nicht nur diese sind schuld an einer Überalterung (darauf, dass wir aussterben, gehe ich in Anbetracht einer weltweiten Überbevölkerung gar nicht ein) der Gesellschaft. Und die Geschichte zeigt, dass Wohlstand und Wachstum immer mit einer geringen Geburtenrate einher gingen. Darüber hinaus braucht die Gesellschaft, der Staat auch die Menschen ohne Kinder, die ohne Unterbrechung ihrer beruflichen Laufbahn in die Vorsorgekassen einzahlen und mit ihrem Steuerbeitrag ohne zu murren, Einrichtungen für die Kinder anderer mitfinanzieren und so jede Subvention kinderreicher Familien mittragen. Und diese sollen vielleicht auch noch sanktioniert werden mit höheren Beiträgen, geringerer staatlicher Pension etc.? Wenn die Gesellschaft vom Modell der klassischen Kleinfamilie nicht abrücken will, sollte sie besser die Situation der Frauen verbessern, die grundsätzlich Kinder wollen, jedoch nicht zugunsten ihrer Karriere und ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit!
Der Fruchtbarkeit ein Ende setzen
Menschen, die sich sehr sicher sind, keine Kinder bekommen zu wollen, sind natürlich verantwortlich zu verhüten, idealerweise langfristig. Das Thema Sterilisation betrifft Mann wie Frau. Zur Auswahl stehen die Vasektomie des Mannes oder die Eileiterunterbindung der Frau, die eine Spur aufwändiger ist. DDr. Christian Fiala hält dennoch, auch für die langfristige Verhütung, die Hormonspirale für die derzeit intelligenteste Lösung: „Bei einer Vielzahl der Frauen bleibt damit auch die Periode aus. Die Sterilisation ist zwar eine endgültige Lösung, jedoch bleibt die Periode bestehen.“ Er bedauert, dass heute das Bewusstsein für Fruchtbarkeit und Schutz durch Verhütung abhandengekommen ist: „Gerade die jüngere Generation hegt die Illusion, gar nicht so leicht schwanger werden zu können.“
Buchtipp:
Johanna Dürrholz: Die K-Frage – Was es heute bedeutet, (k)ein Kind zu bekommen.