Interview mit Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt, MD, MSc, PhD
Text: Stephan Kaindl-Hönig
Fotos: MedUniWien
Medizinische Universität Wien, Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie, Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin
Wie kann man die Impfnebenwirkungen und Impfschäden moderner Impfungen darstellen? Dies auch in der Relation gesehen, dass es sich bei Covid-19 nicht um einen sehr komplexen Virus handelt, der beispielsweise wie bei der Grippe stark mutiert („Antigenshift“) und zur rechtzeitigen Verfügbarkeit ähnlich eines „Pokerspiels“ immer ein Jahr im Voraus geordert werden muss, ohne zu 100 % sagen zu können, ob man den richtigen Stamm erwischt hat.
Ganz prinzipiell muss man sagen, dass es bei jeder Impfung möglich ist, dass es zu sogenannten Impfreaktionen kommt. Darunter versteht man vorübergehende, aber ungefährliche Beschwerden, die im Rahmen einer Impfung prinzipiell auftreten können – da gehören Lokalreaktionen dazu, da gehört Fieber dazu, da können Gelenksschmerzen dazukommen. Das ist ganz einfach dadurch zu erklären, dass jede Impfung eine Immunreaktion auslöst, bei der Botenstoffe produziert werden – und die können diese Reaktionen auslösen. Sehr häufig wird das Thema Impfschäden in diesem Zusammenhang gleichgesetzt mit Impfnebenwirkungen, obwohl man klar unterscheiden muss. Die sogenannte Impfkomplikation, also ein krankheitsähnlicher Zustand im Rahmen des Impfschadens ist bei Impfstoffen einer jüngeren Generation ein extrem seltenes Ereignis, gerade wo die Technologie heutzutage extrem gut ist und auf Sicherheit sehr viel Wert gelegt wird. Das sieht man an den Zahlen – wir wissen jetzt zum Beispiel, dass in einem Zeitraum von den letzten zehn Jahren bzw. zwischen 2008 und 2017 – hier haben wir alleine beim Kinderimpfprogramm mehr als 8 Mio. Impfungen verimpft – insgesamt dreizehn Schadensfälle gemeldet und sieben nach genauer Prüfung de facto anerkannt wurden. Das heißt, an dieser Relation sieht man, dass das ein ganz, ganz seltenes Ereignis ist.
Zur Frage, wie häufig solche Impfreaktionen bei Covid-Impfungen zu sehen sind: Derzeit sind insgesamt elf Impfstoffe in der Phase 3, der letzten klinischen Phase. In den Studien davor, in Phase 1 und 2, hat man schon von Anfang an begonnen, das Augenmerk auf die Nebenwirkungen bzw. die Verträglichkeit beim Menschen, in Anbetracht der Dosis, die gegeben wurde, zu legen. Diese Sicherheitskriterien sind eine der äußerst wichtigen, die während aller klinischen Studien auf die Prüfung der Wirksamkeit mitlaufen und es wird hierzu entsprechende Dokumentation geführt. Bei den Daten, die wir jetzt vom ersten Impfstoff haben, der wahrscheinlich als Erster zur Zulassung kommt (das ist der Impfstoff der Firma Biotech bzw. Pfizer), sind insgesamt 43.000 Probanden ein Teil der Studie gewesen. Hier hat man sehr genau auf das Sicherheitsprofil geachtet und laut Aussagen der Hersteller gesehen, dass es zu keinen schweren Nebenwirkungen gekommen ist.
Die häufigsten Nebenwirkungen, die in den Studien registriert wurden, sind Kopfweh und Müdigkeit. Das heißt bis jetzt, dass wir hoffen, dass es doch ein gut verträglicher Impfstoff ist. Wenn bei einem neu zugelassenen Produkt bei der breiten Anwendung ein Signal auftritt, dass es zu unerwarteten bzw. unerwünschten Nebenwirkungen gekommen ist, wird dies sofort behördlich geprüft und es wäre auch die Möglichkeit, dass ein Produkt, das eine Zulassung erhalten hat, diese auch sofort wieder verliert.
Dritter Punkt – das ist die Frage, ob es beim Corona-Virus zu einem Antigenshift kommt, ähnlich wie man das bei einer Influenza-Impfung kennt, und ob das ein Problem darstellen könnte, dass man diesen Impfstoff ununterbrochen wieder impfen muss, wie bei der Influenza. Soviel man bis jetzt weiß ist, dass es zwar zu Mutationen beim Corona-Virus kommen kann, aber diese sind derzeit keinesfalls vergleichbar wie bei Influenza, weshalb wir momentan nicht davon ausgehen, dass kontinuierlich Impfstoffadaptierungen erfolgen müssen. Die Frage für ein wiederholtes Impfen ist also eher eine Frage, wie lange der Schutz durch die Impfung induziert wird – wahrscheinlich kommt es zu keinem jahrelangen oder gar lebenslangen Schutz. Das sind aber Fragen, die wir noch nicht beantworten können und die in den nächsten Monaten bzw. in den nächsten Jahren anhand der vorliegenden Daten beantwortet werden können.
Bitte erklären Sie, um welche Ingredienzien es sich handelt – was wird in den Körper eingebracht, welche chemischen Substanzen?
Das ist eine komische Frage, die sicher daher rührt, dass die Leute sagen, sie bekommen irgendwie Gift mit dem Impfstoff zugleich eingespritzt – also die Trägerstoffe und all das.
Die Frage ist, wie Impfstoffe zusammengesetzt sind und wieviel Chemie in so einem Impfstoff enthalten ist. Natürlich ist dem so, denn „alles Leben ist Chemie“. Aber dies kann doch nicht gleichgesetzt werden mit „Chemie ist etwas Unnatürliches oder Gefährliches“. Im Impfstoff sind zum größten Teil bzw. zu 90 % Impfstoffantigene enthalten. Das sind Teile von Erregern – das kann ein gesamtes Virus sein, das abgetötet ist oder es können nur minimale Moleküle sein, die für eine schützende Immunantwort verantwortlich sind. Je nachdem, ob es sich um einen sogenannten Lebendimpfstoff handelt – das heißt, ein Virus, das vermehrungsfähig, aber doch abgeschwächt ist – oder einen Totimpfstoff, wo sich nichts mehr im Körper vermehrt, können zusätzlich noch sogenannte Hilfsstoffe beigesetzt werden. Diese sind in der Regel deshalb notwendig, damit man auch eine entsprechend gute Immunantwort aufbauen kann. Am häufigsten verwendet wird hierbei Aluminium, und zwar Aluminiumsalze, die beigegeben werden – aber in einer sehr geringen Menge und die bezüglich der Wirksamkeit und der Nebenwirkungsrate seit vielen, vielen Jahrzehnten getestet worden sind. Natürlich gibt es auch noch minimale Restsubstanzen in einem Impfstoff von der Produktion her – das können entweder Konservierungsmittel oder Restsubstanzen von Hühnereiweiß sein, wenn etwa das Virus in Hühnereiern produziert worden ist. Das wird aber sehr genau gereinigt, so dass solche Restsubstanzen wirklich nur im Nanogramm, also in geringsten Mengen, enthalten sein können.
Wenn man Sorge hat, dass ein Impfstoff etwas ganz Künstliches ist, müsste man sich immer daran erinnern, was es bedeutet, Medikamente zu nehmen, die aus verschiedensten chemischen Produkten bestehen. Im Grunde muss man immer sagen, die Dosis macht das Gift und in Impfstoffen sind die Inhaltsstoffe in so geringen Mengen vorhanden, so dass sie per se keine Toxizitäten ausüben können.
Viele Menschen denken, dass Covid-Impfstoffe das Prozedere einer europäischen Zulassung nicht in der üblichen Genauigkeit durchlaufen müssen, wie Doppel-Blindstudien,…
Die ersten Phasen sind tatsächlich verkürzt worden. Das ist aber deshalb möglich gewesen (normalerweise sind das mehrere Jahre, die dazu notwendig sind, bis man einen Impfstoffkandidaten in die klinische Testung geben kann), weil hier sogenannte Impfstoffplattformen gesetzt wurden, so dass relativ rasch ein Impfstoffkandidat produziert werden konnte. Darunter kann man sich fertige Gerüste vorstellen, in die je nach gewünschter Wirkung ein anderes Impfstoffantigen eingebracht wird. Die Herstellung erfolgt immer auf gleiche Weise und kann daher rasch erfolgen. Für die klinische Austestung eines Impfstoffkandidaten müssen aber immer drei klinische Phasen durchlaufen werden. Unabhängig davon, wie lange die klinischen Phasen dauern (das ist meistens eine Frage der Organisation), ist das Wichtigste am Ende des Tages, dass die Daten vorliegen, ob die Sicherheit, die Immunität und die Wirksamkeit gewährleistet worden sind. Nur, wenn diese Daten vorliegen, kann eine Zulassung – zumindest was die europäische Zulassungsbehörde betrifft – erteilt werden und das ist ganz sicher auch bei Covid der Fall. Was man in der Abfolge gegenüber den anderen Zulassungsverfahren verändert hat, ist, dass man in Europa einen sogenannten Rolling-Review-Prozent eingeführt hat. Schon während die Studien laufen, lassen die Firmen den Behörden kontinuierlich Daten zukommen. Es ist also eine kontinuierliche, begleitende Prüfung der Datenlage möglich – was eine enorme Zeitersparnis bedeutet, zudem kann auf diese Art und Weise ganz einfach ein besserer Ablauf in diesem Zulassungsverfahren gewährleistet werden. Das ist sozusagen das, was zu einer Verkürzung der Entwicklungsdauer der Impfstoffe führt, aber nicht deshalb, weil die klinische Testphasen prinzipiell verkürzt, ausgelassen oder in einer anderen Form als üblicherweise durchgeführt worden sind. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, der hier ganz klar kommuniziert gehört.
Die Anzahl der Geimpften wird maßgeblich zur erfolgreichen Eindämmung notwendig sein. Ist das nicht letztlich auch eine Frage der Verantwortung seinen Mitmenschen gegenüber, sich impfen zu lassen und als Einzelner seinen persönlichen Beitrag zu leisten, um eine weitere Verbreitung zu vermeiden?
Prinzipiell ist das eine wichtige Sache – man muss aber auch fragen, wie sieht die Realität aus und wie wird tatsächlich die Impfstrategie ausschauen. Momentan ist es so, dass wir davon ausgehen, dass die Impfstoffe primär die Erkrankung verhindern bzw. den Schweregrad der Erkrankung. Wir wissen nicht, bis zu welchem Grad eine Impfung tatsächlich auch die Weitertragung einer Infektion beeinflussen kann. In der ersten Generation der Impfungen wird man klares Augenmerk auf die Impfung der Personen legen, die schwer erkranken und sterben können, um die Zahl der Todesfälle sowie die Spitalsaufenthalte bzw. Hospitalisierungen und die Aufnahmen an den Intensivstationen verringern zu können. Die zweite Gruppe, die hier maßgeblich geimpft werden kann, soll zum Eigenschutz und zum Schutz der Patienten sein, also vor allem jene, die in der Pflege und im Gesundheitswesen tätig sind und somit durch ihren Beruf besonders exponiert sind für Covid. Erst danach kann man sich überlegen, ob/wann man die Impfung auf Populationsebene ausweiten wird. Sehr viel davon abhängig wird sein, wieviel Impfstoff wir überhaupt zur Verfügung haben. Man geht davon aus, dass man in dieser ersten Welle der Zulassungsverfahren nicht genügend Impfungen für alle haben wird. Es ist zwar angedacht, dass man – je mehr Produkte auf den Markt kommen – jedem Österreicher, der sich impfen lassen will, auch eine Impfung angedeihen lässt – aber realistisch muss man sagen, das wird am Anfang nicht der Fall sein. Daher ist für mich die wichtigere Frage, wie die Priorisierung aussehen wird und wie man sie umsetzen kann, als dass eine Angst besteht, dass man quasi gezwungen wird, diese Impfung durchzuführen. À la longue ist es natürlich wichtig, dass sich möglichst viele impfen lassen – vor allem, wenn man die Daten hat, ob die Weiterverbreitung der Infektion verhindert werden kann. Man geht also davon aus, je mehr Leute geimpft werden (bis zu 70 %), desto leichter kann man diese Epidemie auch einfangen, abmildern oder verhindern bzw. stoppen. Das wird aber sicherlich keine Frage sein, die sich im ersten Quartal, möglicherweise auch im ganzen nächsten Jahr stellen wird, sondern das wird eine Situation sein, die uns mehrere Jahre begleiten wird.