Kalt und kälter

Text: Doris Thallinger

… werden nicht nur die Tage, auch in den Herzen der Mitmenschen wird’s zunehmend frostiger, hat es den Anschein. Nun will ich aber gar nicht das alte Thema auspacken, wie wir alle miteinander umgehen, sei es Face-to-Face oder noch viel schlimmer, in den Weiten des World Wide Web.

Wir sind abgestumpft. Wenn ich frühmorgens die täglichen Schlagzeilen überfliege, taucht immer öfter die STS-Hadern „Kalt und kälter“ in meinem inneren Ohr auf. Wie entsetzt waren wir doch alle am 24. Februar dieses Jahres, als – für uns unfassbar – tatsächlich Russland den Angriff auf die Ukraine startete? Das schier unmöglich Geglaubte ist passiert und hat viele von uns in Angst versetzt. Wie kann so etwas passieren? In unserer tollen, zivilisierten Welt, in einem Land, dessen Grenze keine 500 Kilometer von Österreich entfernt liegt!

Seitdem sind sieben Monate vergangen. Und ganz ehrlich, kriegen Sie noch Gänsehaut, wenn von den aktuellsten Entwicklungen die Rede ist? Innerhalb nur weniger Monate ist jede Meldung quasi schon alltäglich geworden. Nicht einmal die Sorge um eine mögliche atomare Bedrohung lockt uns noch wirklich hinterm (hoffentlich auch diesen Winter warmen) Ofen hervor.

Dass auf anderen Kontinenten Kriege toben, Hunderte Menschen bei Umweltkatastrophen ums Leben kommen, Menschenrechte mit Füßen getreten werden, verfolgen wir vielleicht noch mehr oder weniger aufmerksam im Fernsehen – was hat das denn mit uns zu tun, was so weit weg ist? Wieder taucht eine Liedzeile des STS-Songs in meinem Ohr auf: „Was soll i ändern an die Probleme von am so fremden Land?“ Was ja auch stimmt, wo kämen wir denn hin, wenn wir uns jedes Problem dieser Welt persönlich zu Herzen nähmen? Nur, ganz ignorieren sollten wir nicht, was auf der Welt vor sich geht.

Und vielleicht einmal in Ruhe in uns hineinhorchen: Was berührt uns eigentlich noch? Was fühlen, spüren wir denn wirklich in unserem Innersten? Ist es in der Natur der Dinge, dass wir leben, um uns abzuhärten? Um abgebrüht zu sein, keine tiefen Gefühle mehr zuzulassen? Krampfhaft alles positiv sehen und Schlimmes abtun als eine Lektion, die wiederum nur positiv sein kann? Nein! Wenn ich kein Gefühl von Wut, Traurigkeit, Betroffenheit, (Mit-)Leid zulasse, wie kann ich dann noch die vielen schönen Gefühle in ihrer Fülle und Tiefe spüren? Gefühle sind was Gutes – leben wir sie aus, dann wird unser Leben bunter! Ganz nach STS: „Angst und Schmerzen soll’n mi wieder würg’n – und die Liebe möchte i bis in die Zehenspitzen spür’n!“ Damit wünsche ich Ihnen einen gefühlvollen, bunten Herbst – und sollte Sie jetzt ein Ohrwurm verfolgen, entschuldige ich mich aus tiefstem Herzen!

Ihre Doris Thallinger
Chefredakteurin